Probleme einer Wissenschaftspolitik, die keine ist, oder: Wissenschaftspolitik in Bremen

Zur Mitte des vergangenen Monats November sah es aus, als stünde eine Lösung für die sich in Bremen seit Jahren dahinschleppende Jacobs University bevor. Ein Konsortium aus  dem Deutschen Forschungszentrum Künstliche Intelligenz (DFKI), SAP und dem chinesischen Softwareunternehmen Neusoft sollte den Campus übernehmen und irgendwie zu einem deutschen Ausbildungszentrum für Künstliche Intelligenz mit irgendwie 3000 Studienplätzen umbauen. Viel mehr wusste man nicht Mitte November 2020. Immatrikulierte sollten für noch drei Jahre die Gelegenheit bekommen, ihr Studium zuendezubringen, die, was Bremen betrifft, im Absprung befindliche Jacobs Foundation hatte zugesagt noch einmal 60 Mio. € zuzuschießen. Ihre Anteile sollten diesem Plan zufolge für einige Monate an das Land Bremen übergehen, das diese dann bald an das o. g. Konsortium weiterzuleiten gedachte. Zu groß war die Unlust des Landes geworden, der klammen Universität weiter und weiter Geld vorbeibringen zu müssen, deshalb war die Erleichterung, das Fass ohne Boden am Bein bald los zu sein, groß. Die Bremer Wissenschaftsbehörde freut sich jedenfalls darauf, mit Vertreter*innen eines faktisch einem autoritären Staat gehörenden Unternehmens über die Zukunft einer Universität sprechen zu dürfen.

Passiert ist nun – zur Mitte des Folgemonats – noch immer nicht wirklich etwas; der angekündigte Letter of Intent, dessen Unterzeichnung Mitte November für die auf die Veröffentlichung des Vorhabens folgende Woche angekündigt war, ist noch immer nicht erfolgt. Es drängt sich der Gedanke auf, dass das alles nur eine Idee war, die dann vielleicht doch nicht standhielt, oder doch. Nichts Genaues weiß man nicht. Es fällt aber ein Schlaglicht auf die Usancen Bremer Wissenschaftspolitik oder besser ihr Vorsichhinoperieren im Schatten. Schon der Stellungnahme aus der Wissenschaftsverwaltung, die in der FAZ kolportiert wurde, ist anzumerken, dass man es im Bremer Wissenschaftsverwaltungsbetrieb nicht so gewohnt ist, im Scheinwerferlicht zu stehen. Andernfalls hätte man nicht verlauten lassen, dass Demokratieerwägungen in den Abwägungen der Bremer Wissenschaftsverwaltung nur eine sekundäre Rolle spielen und man sich gerne mit Vertreter*innen eines autoritären Regimes an den Tisch setzt. Zudem stünde man der Frage, ob die Beteiligung eines chinesischen Staatsunternehmens an der deutschen KI-Forschung nicht doch eine fragwürdige Seite haben könnte, nicht derart blank gegenüber. Dies umso mehr, bei einem Thema, bei dem die Verschränkungen von Technischem und Politischem so weitreichend sind, wie bei der Künstlichen Intelligenz.

Aber zunächst einmal zurück zum Anfang. 1999, 2000 und 2001 als die damals noch IUB heißende heutige Jacobs University aufgesetzt wurde, stand die unternehmerische Hochschule noch hoch im Kurs. In seiner Rede am 20.09.2001 zur Eröffnungsveranstaltung schmetterte Helmut Schmidt, dass das deutsche Hochschulwesen genau solch eine Universität brauche. „Gerade jetzt bräuchte es eine Einrichtung wie die IUB“,[1] fand der alternde Sozialdemokrat. „Gerade jetzt“ war bezogen auf die 9/11-Anschläge, die 9 Tage zuvor stattgefunden hatten. Schmidt sah in der IUB aber auch die Chance zu den USA aufzuschließen, weil, so fand er damals, die deutsche Bildungspolitik der vergangenen Jahrzehnte eine verfehlte sei.

Etwas nüchterner aber auch positiv gestimmt war dann der Wissenschaftsrat in seiner Stellungnahme zu der Frage, ob man die IUB in die Hochschulbauförderung des Bundes aufnehmen könne. [2]Diese Frage beantwortete der Wissenschaftsrat mit ja, seine Stellungnahme zeigt aber auch, warum die Euphorie, die damals einige mit der Gründung einer Privatuniversität in Deutschland verbanden auf zwar wohltönenden aber etwas  tönernen Füßen stand. Denn der Wissenschaftsrat bemerkte, dass gut 50 % der für die IUB bis 2005 aufzubringen Mittel aus öffentlichen Quellen stammen würden(WR, S. 77) ohne die von Anfang an für existenziell notwendig gehaltenen Drittmitteln, bei denen es sich schließlich auch um weitestgehend öffentliche Mittel handelt, mit einzubeziehen. Dies müsse nach 2005 anders werden, befand der Wissenschaftsrat damals. Und auch die groß angekündigte Zusammenarbeit mit der Rice Universität konnte der Wissenschaftsrat damals allenfalls in Ansätzen erkennen, was gleichermaßen für die Bemühungen galt, eine internationale Professor*innenschaft zu gewinnen, diese wurde zum Zeitpunkt der Einrichtung zu 80 % und zu 80 % männlich bestückt. Begründet wurde ersteres damals mit dem Argument, dass es auf internationalen angelsächsisch geprägten Berufungsmärkten schwierig sei, Leute zu gewinnen, die imstande gewesen seien, die Fächer in der gewünschten Breite zu vertreten

Einige Jahre später 2005 sah es noch nicht viel besser aus, weshalb es eine große Erleichterung war, dass die Jacobs Stiftung 200 Mio. € einbrachte[3] und damit die Hochschule bis auf weiteres rettete. Seither heißt die fünf Jahre zuvor für so nötig gehaltene Einrichtung Jacobs University. Wie sie auch hieß, die Bremer Politik, nicht so sehr, die in der Stadt ja stets etwas minderbedeutsamere Wissenschaftspolitik fremdelte immer mit der Privatuniversität. Mittlerweile gab es die Exzellenzinitiative und -strategie und hatte sich die Universität der zu einer im Kreis der bundesdeutschen Universität anerkannten Instanz gemausert, was sich dann auch im Exzellenzstatus, den die Universität Bremen von 2012 bis 2019 innehatte äußerte. Zudem war die unternehmerische Universität nicht mehr so hoch im Kurs wie dereinst, was in Bremen umso mehr galt nachdem die Linkspartei in die Bremer Regierungskoalition eingetreten war. Da halfen dann auch nicht mehr die lahmen „strukturpolitischen Argumente“, die auf die Lage des Jacobs- Campus im strukturwandelsgebeutelten Bremen-Nord abhuben.

Nun also hat der Bremer Senat erklärt, die Anteile der Jacobs-Foundation übernehmen zu wollen, mit dem Ziel sie so schnell es geht, an besagtes Konsortium aus SAP, einer Privatpublicpartnership namens DFKI (s. o.) und des chinesischen Konzerns Neusoft abzugeben. Über die künftige Ausrichtung dieser Neuen Jacobs Universität oder besser Hochschule ist noch wenig bekannt, die Zusammensetzung des Konsortiums lässt allerdings kaum die Vermutung zu, dass eine grundlagenorientierte Ausrichtung das Ziel ist. Somit ist unklar, was auf mittlere Sicht aus den nichtinformatischen Teilen der Professor*innenschaft werden kann.

Die KI-Strategie des Landes, dessen Vollversion mir heute noch nicht vorliegt, lässt, was ihre Vorboten in den Medien oder das Eckpunktepapier[4] betrifft, nicht erkennen, dass es bei der KI-Strategie des Landes um Grundlagenorientierung gehen wird. Alle bis jetzt öffentlich vorliegenden Papiere haben (anders als die KI-Strategie der Bundesregierung)[5] einen klar wirtschaftspolitischen Sound es geht um Anwendungen in der Industrie nicht um Demokratiebezüge. Im Eckpunktepapier findet sich gar kein Bezug auf die Rolle universitärer Forschung, nirgendwo ist die Rede davon, dass Künstliche Intelligenz die Zukunft der Informatik betreffend, neue Rahmenbedingungen schafft, zu denen, wie in der Frühgeschichte der Disziplin auch sozialwissenschaftliche Fragestellungen und Berührungspunkte zu Soziologie und Politikwissenschaft gehören könnten.

Künstliche Intelligenz ist – so scheint es – der Bremer Politik ein vornehmlich industriepolitisches Thema. Vor dem Hintergrund, hier künftig eine ganze Hochschule, die sich dem Thema verschreiben will, zu haben, ist solch eine Engführung nicht nur demokratiepolitisch überraschend, sondern auch Chancen allzu bereitwillig geringschätzend. Die Frage stellt sich, ob auch diese Entwicklung Folge der für die Stadt typischen Schwäche und Irrelevanz von Wissenschaftspolitik ist, der, weil ihr kritische Massen fehlen, auch das Vermögen fehlt, sich gegen instrumentelle Zugriffe anderer Politikfelder zu verwahren. Entsprechend behandelt die Landespolitik KI nicht als ein Thema, das entscheidend dafür ist, wie wir künftig mit Wissen untereinander interagieren, sondern als primär industriepolitisches Feld. Als Politikfeld mit eigenen Logiken und Ansprüchen hat eine wissenschaftspolitische Stimme in der Stadt bislang eine zu geringe Rolle gespielt, was sowohl Ursache für als auch Folge von der Verortung der Wissenschaftsadministration im Kontext mit Fischerei und Häfen ist. Für mehr als eine Abteilung einer Senatsverwaltung reicht es in Bremen – wie es aussieht – nicht. Das bleibt einerseits nicht ohne Folgen für die bundespolitische Wahrnehmbarkeit von Bremer Wissenschaftspolitik und sorgt andererseits mit dafür, dass im Bremer landespolitischen Diskurs hin wieder Wissenschaftsorientierung fehlt.

„Durch die Orientierung der Hochschulbildung in vielen Bereichen an den Bedarfen von Wirtschaft und Gesellschaft leistet der Hochschulbereich einen wertvollen Beitrag zur Deckung des Bedarfs an hochqualifizierten Fachkräften in Bremen und der Region“, lässt die Senatorin für Wissenschaft und Häfen auf der Homepage ihrer Verwaltung schreiben.[6] Womit schon einmal geklärt ist, dass man in dieser Stadt nicht Wissenschaft einfach so, aus Neugier oder Wissensdurst treibt, nein man treibt sie für die anderen Felder oder für „Innovationspotential und Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen“. Damit ist ein Ton gesetzt, der geerdet klingen soll und so vielleicht in der Stadt auf weniger Vorbehalte, dass da was Teures, das nichts bringt geschieht, trifft, offene Zukunft, Exploration dessen, was sein kann, ist damit jedoch nicht zu machen.

Möglich, dass all das der historische Schlagschatten der Kaufmanns- und Hansestadt ist, ein historisches Trägheitsmoment, dass in Handelsstädten stets dafür gesorgt hat, spät mit Universitäten am Start zu sein, weil man immer glaubte, sie nicht zu brauchen. Hamburg, Bremen, Frankfurt, all diese Städte hatten ihre Universitäten erst sehr spät, wobei Frankfurt mit 1914 in dieser Trias noch Frontrunnerin war und Bremen mit seiner Gründung in den 1970er die Nachzüglerin unter den Nachzüglerinnen war. Nirgendwo aber steht, dass städtische Eigenlogiken in Stein gemeißelt sein müssen. Vielleicht auch eröffnen die sich zunehmend konkretisierenden Problemlagen der Bremer Innenstadt der Stadt Gelegenheit, sich als eine Stadt der Wissenschaft neu zu erfinden. Bespielungsbefürftiger sozialer Raum ist ja dort genug da. Einen Versuch könnte es wert sein.

 

p.S.  Am 15. Dezember ist nun der TAZ zu entnehmen[7], dass Lopriano der Präsident der JU mit sofortiger Wirkung sein Amt niedergelegt hat, weshalb, warum lässt sich nur vermuten. Ganz vorne unter den möglichen Vermutungen, würde ich die These sehen, dass auch er denkt, dass haushalterisch motivierte Industriepolitik eben doch keine Wissenschaftspolitik ist.

p.p.S. vom 11.01.2021 Das Delmenhorster Kreisblatt (Link ist leider nicht möglich) berichtete nun heute, dass die im November von der Senatsverwaltung verkündete Lösung für die JU immer unwahrscheinlicher geworden ist. Nicht nur sei der verabredete Letter of intent nicht unterzeichnet worden, es heiße (munkelt man) auch die Bundesregierung habe Bedenken an der gefundenen Lösung mit der chinesischen Beteiligung gehabt. Angeblich, war da zu lesen, schaue der Bremer Senat sich nun nach einem neuen Vertragspartner um. Mit dem Jahreswechsel sind die Anteile der Jacobs Stiftung an eine gemeinsame GmbH des Landes zusammen mit der Universität Bremen übergegangen. Ich beneide niemanden, die oder der sich berufsbedingt bewertend zu diesen Vorgängen äußern muss.

 

 

[1] Die ganze Rede ist leider nicht mehr im Netz zu finden, der auf der Homepage der Jacobs Universität stehende Link dahin ist tot. Ausschnitte stehen hier: https://www.jacobs-university.de/drupal_lists/archives/pressreleases/02021/index.html

[2] https://www.wissenschaftsrat.de/download/archiv/5069-01.pdf;jsessionid=7D6F5EBF42CC3C5C7651729B8CF2C251.delivery2-master?__blob=publicationFile&v=3

[3] https://www.faz.net/aktuell/politik/inland/international-university-bremen-harvard-ist-der-massstab-1381197.html

[4] https://www.senatspressestelle.bremen.de/sixcms/detail.php?gsid=bremen146.c.320991.de

[5] https://www.bmbf.de/files/Nationale_KI-Strategie.pdf

[6] https://www.wissenschaft-haefen.bremen.de/wissenschaftspolitik-51810

[7] https://taz.de/Bremer-Privat-Uni-steht-ohne-Chef-da/!5738438/?s=09