Bundesverwaltungsgericht sorgt für mehr Transparenz im Bundestag

Vor etwas mehr als zwei Wochen (am 25. Juni) hat der Bundesgerichtshof die Bundestagsverwaltung dazu verdonnert, Gutachten der Wissenschaftlichen Dienste des Bundestages gegenüber anfragenden Journalisten offenzulegen. Grundlage dafür ist das Informationsfreiheitsgesetz (IFG), dessen Gültigkeit (so wie schon vorher von der Universität Mainz (s. Blogbeitrag vom 10.06.)) auch von der Bundestagsverwaltung in Frage gestellt worden ist. Grund, eine Einsichtnahme in Gutachten der Wissenschaftlichen Dienste der Bundestagsverwaltung abzulehnen, war diesmal die Auffassung, dass diese Gutachten der Mandatsausübung der Abgeordneten zuzurechnen seien und deshalb vom IFG ausgenommen werden müssten. Das hat vor nicht ganz zwei Jahren das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg auch noch so gesehen und die Bundestagsverwaltung sieht es offenbar bis heute so, nicht allerdings das Bundesverwaltungsgericht. Im Prozess soll – einem Artikel des Tagesspiegels zufolge – der Anwalt der Bundestagsverwaltung argumentiert haben, dass wenn Gutachten der WD öffentlichen seien, auf Seiten der beauftragenden Bundestagsabgeordneten das Vertrauen zerstört werden würde (und dass das Gericht sich seiner diesbezüglichen Verantwortung bewusst werden müsste). Weiterhin wurde die Auffassung vertreten, die Gutachten seien für Dritte gar nicht interessant, da sie direkt auf die Fragen der Abgeordneten zugeschnitten seien. Das sind beides wirklich rätselhafte und erstaunliche Argumente, über die man lange nachdenken könnte…
Worum aber geht der Streit wirklich. Von den hoffentlich nicht so zahlreichen guttenbergähnlichen Fällen, in denen sich MdBs Teile ihrer Promotionen oder unter ihrem Namen veröffentlichter Positionspapiere aus Gutachten des WDs zusammengestückelt haben (weshalb Intransparenz hier aus Sicht derjenigen, die so etwas machen, zentral ist) mal abgesehen, wirft der Dissens ein interessantes Schlaglicht darauf, wie sich die Bundestagsverwaltung das Ineinandergreifen von Wissenschaft und Politik vorstellt. Wissenschaftliches Wissen ist in dieser Vorstellungswelt scheinbar eine Art Munition, etwas das man einsetzt oder im Schrank lässt, wie es gerade passt. Politische Gegner wissen dann, wenn es gut läuft, nicht, was man bei seiner Positionsbildung alles ignoriert hat. Diese Fähigkeit, das Ignorieren wissenschaftlichen Wissens im Bedarfsfall folgenlos verbergen zu können, will die Bundestagsverwaltung offensichtlich verteidigen!
Sie räumt damit der Politik im Umgang mit wissenschaftlichem Wissen ein uneingeschränktes Primat ein, das Einsatz aber auch begründungsloses Ignorieren wissenschaftlichen Wissens erlauben soll; einem aufgeklärten Verständnis einer demokratischen Wissensgesellschaft entspricht das nicht. Dieses Problem wirkt in meinen Augen weit schwerer, als die noch im Oberverwaltungsgerichtsurteil 2013 vorgetragenen vertrauensbezogenen Argumente (OVG Urteil Zeilen 49 f., s. Link oben). Wenn Politik das Ignorieren von wissenschaftlich verfügbarem Wissen noch nicht einmal begründen muss, schwächt das langfristig den intellektuellen Horizont der Politik, denn auch, wenn Argumentqualität nicht im Kern der Politik zu verorten ist, ganz unerheblich sollte sie in der politischen Positionsfindung nicht sein.
Was wird sich nun ändern? Nun die BV wird gezwungen sein, alle Expertisen ihres Wissenschaftlichen Dienstes zu veröffentlichen (auch die in den Medien Vielerwähnten zur Guttenbergdiss und zu UFOs), zumindest aber diese an Anfragende herauszugeben. Man wird dann auch kontrollieren können, wie gut die Arbeiten der WD sind (wahrscheinlich sind sie gut) und sich dabei auf mehr als nur auf die bereits jetzt schon freiwillig von der Bundestagsverwaltung veröffentlichten Ausarbeitungen stützen können. Das kann im Sinne einer wissenschaftlichen Qualitätssicherung eigentlich nur gut sein. Das selektive Veröffentlichen von Arbeiten des WDs wird aufhören müssen. Definitiv zu verschmerzen ist, dass damit einigen Bundestagsabgeordneten ein auf Wissenschaftsignoranz basierendes Politikinstrumente aus der Hand geschlagen wird. Bundestagsabgeordnete werden nun Wissen, das sie selektiv zu verwenden oder als ihr eigenes auszugeben gedenken, mit eigenen Mittel beschaffen müssen, die Bundestagsverwaltung und ihre wissenschaftlichen Dienste stehen dafür nicht mehr zur Verfügung und das ist nach Lage der Dinge ziemlich gut so.