Das Allen Institut ist eine privat finanzierte nichtprofitorientierte Forschungseinrichtung, die aus Stiftungskapital des zweiten Microsoft-Gründers (Paul Allen) finanziert worden ist. Allen ist laut Wikipedia die vierzigstreichste Person der Welt, er hat etwa zwei Milliarden Dollar für diverse philanthropische Zwecke aufgewandt. Das Allen-Institut, in das etwa die Hälfte des eben genannten Geldbetrages geflossen ist, betreibt Hirn- und Zellforschung, schwerpunktmäßig solche, die auf den Umschlag großer Datenmengen abstellt. An dem seit einigen Jahren in Seattle gelegenen Institut arbeiten etwa 300 Leute.
Dort wurde nun etwas gemacht, was der gängigen Logik des Wissenschaftsbetriebs, wie wir ihn kennen, deutlich entgegenläuft. Sie haben große Mengen Daten darüber veröffentlicht, was in Hirnen von Mäusen, die sich langweilen passiert (online unter dem Namen Allen Mouse Brain Connectivity Atlas). Sie haben das nicht als Veröffentlichungen, Zeitschriftenaufsätze, Papers, noch nicht einmal Preprints veröffentlicht, stattdessen haben sie einfach die Daten für alle frei verfügbar gemacht und online gestellt.
Mark Humphries Research Fellow an der Fakultät für Life Sciences der Universität Manchester hat auf Medium.com geschrieben, das sei eine gute Nachricht für die Lebenswissenschaften, die Hirnforschung für die Wissenschaft als ganze hingegen eine traurige. Letzteres weil normale Wissenschaftler*innen in normalen wissenschaftlichen Institutionen so etwas nie machen würden. Täten sie so was, bekämen sie vermutlich Ärger mit ihre Administrator*innen und akademischen Führungskräften. Stattdessen werden in den öffentlichen not for profit Forschungseinrichtungen Veröffentlichungen produziert, wie es nur geht. Alles werde veröffentlicht, entlang der Linie dessen, was man als Least Publishable Unit bezeichnet. Es geht dabei ganz tonnenideologisch um die große Zahl und bei der Forschungsplanung selbstverständlich darum, Projektvorschläge mit einem Maximum an Kostenerzeugungsversprechen genehmigt zu bekommen. Daten sind da nur der Rohstoff für die eigene Paper Produktion, man stellt sie nicht einfach online.
Es ist schon nicht ganz ohne Ironie, dass private Forschungsinstituts des unbekannteren zweiten Microsoft Gründers braucht, um dem restlichen Wissenschaftssystem zu zeigen, dass man auch heute im ganz klassischen Sinne Wissenschaft sine ira et studio betreiben kann.* Sine Ira klappt in den Lebenswissenschaften recht gut, sine studio nun eher nicht so, wegen des Publikationseifers. Dass das Allen Institute davon nicht so angesteckt ist, wie alle anderen, zeigt die Art, wie es die Daten nicht veröffentlicht, vielmehr der Fachöffentlichkeit zur Verfügung gestellt hat.
Vergleichbar in der sozialwissenschaftlichen Welt wäre damit das Sozioökonomische Panel (SOEP), das allerdings kein universitäres und erst recht kein privat finanziertes Unterfangen ist, sondern eine forschungsbasierte Infrastruktureinrichtung und über die Leibniz Gesellschaft öffentlich zu 2/3 vom Bund zu einem Drittel vom Sitzland Berlin finanziert wird. Das SOEP ist insofern eine Ausnahmeeinrichtung. Auf länger Zeiträume ausgelegte Forschungsstrukturen von solcher Bestandsdauer und Reichweite sind selten. Geisteswissenschaftliche Analogie lassen sich nicht finden. Am ehesten dem nahe käme eine geisteswissenschaftliche Forschung, die sich ausschließlich an fachlichen Fragen orientiert, an Drittmitteleinnahmen desinteressiert ist und Kooperationen nur dann eingeht, wenn das zu interessanten Forschungsperspektiven führt. Beim Luhmannschen Forschungsprogramm Theorie der Gesellschaft mit seinen berühmten Nullkosten war das so, das ist eben dann auch einer der Gründe, warum in der Soziologie heute die Auffassung vorherrscht, ein derartiges Forschungsprogramm ließe sich heute nicht (mehr) wiederholen.
Möglich ist das, was das Allen Institut macht, weil das Institut als Organisation keine mit Forschungsleistungen verkoppelte Geldinteressen haben muss und diese – wie es scheint – auch nicht hat. Das unterscheidet das Allen Institut von fast allen anderen Wissenschaftseinrichtungen. Sie brauchen dort keine Kooperationen mit Partnern einzugehen, die Interessen daran haben, Wissen zu verschleiern oder den Zugang zu Wissen zu erschweren. Drittmittelgeber, die bei der Auswahl von Forschungspersonal entscheidend mitreden wollen oder sich vorbehalten bei Veröffentlichungen ihre Zustimmung zu erteilen brauchen die ebensowenig.
Nun gibt es dennoch gute Gründe, privaten Forschungseinrichtungen, privatphilanthropisch** finanzierter Forschung kritisch und skeptisch gegenüber zu stehen, allein schon aus demokratietheoretischen Überlegungen. Aus inhaltlichen Gründen auch. Private könnten Forschungsagenden setzen, mindestens aber beeinflussen und u. U. dafür sorgen, dass nur hippe Sachen wie Weltraumfliegerei oder bestimmte Krankheiten, von denen sie betroffen sind, erforscht werden. Grundlagenforschung könnte dabei unterbleiben lautete eine vielfach geäußerte Befürchtung. Für eine demokratische Meinungsbildung stehen sie nicht.
Allerdings kann private Wissenschaftsfinanzierung auch Gegengewichte zum öffentlich finanzierten Forschungsförderbetrieb schaffen. Gegengewichte, die dem, was man etwas theatralisch Geist der Wissenschaft nennen könnte, näher stehen, als die oft bürokratische öffentliche Forschungsförderung. Hinzu kommt, dass private Forschungsförderer sich immer wieder ein Ziel setzen und dies verfolgen, koste es, was nötig ist. Sie hören erst dann damit auf, wenn das betreffende Forschungsproblem gelöst ist. Öffentliche Forschungsförderung neigt dazu, Ziele zu setzen und zu verfolgen, wenn sie in den politisch vereinbarten Kostenrahmen passen, was nicht so passt wird dann gerne auch mal passend gemacht. Bei schwer zu kalkulierenden Großprojekten ist es nicht selten aus genau dem Grund zu Kostensteigerungen und Zeitverzögerungen gekommen, weil einer billigeren Lösung ein Zuschlag gegeben worden ist, und sich erst im Nachhinein zeigte, dass die billigere Lösung doch nicht funktionierte (das ITER-Projekt ist ein geradezu klassisches Beispiel dafür). Und schließlich: Politische Akteure hängen bei Forschungsförderentscheidungen nicht unbedingt dem Gegenteil von kurz- oder mittelfristigem Utilitarismus an, schließlich müssen öffentliche Aufwendungen für Forschung gerechtfertigt und demokratisch legitimiert werden. Das gelingt dann am besten, wenn man Nutzen am besten außerwissenschaftlichen versprechen kann. Trotzdem generiert das keine Sicherheit, dass das Geld für den benötigten Zeitraum fließen wird. Wenn dann das politische Klima sich wandelt, entlang irgendeiner Konfliktlinie wissenschaftsunfreundlicher wird, und in den USA nach den Mid-Term-Wahlerfolgen der Republikaner 2009 war dies der Fall, kann dies Einschnitte in der öffentlichen Forschungsfinanzierung zur Folge haben. Für längerfristig anzulegende Forschungsvorhaben kann damit öffentliche Finanzierung zu einem Bestandsrisiko werden.
Bleibt das Problem, dass private Forschungsfinanzierung als politische Ausrede genutzt werden kann, öffentliche Ambitionen zurückzufahren und genau das passiert auch immer wieder. Dies lässt sich als Vorwurf allerdings nicht gegen die privatphilanthropische Forschungsförderung kehren, vielmehr ist es als ein Problem des politischen Systems zu bezeichnen. In den USA laufen Diskurse über privatphilanthropische Wissenschaftsförderung allerdings auf einer (beabsichtigt?) nichtempirischen Grundlage. Es gibt, einem NYTimes-Artikel zufolge keine regierungsseitige Aufstellung, wie viel privates Geld in Forschungsfinanzierung fließt, so kann sich jeder die Tatsachen zurechtlegen, wie sie passen. Ohne ein systematisches Wissen darüber wird es auf absehbare Zeit schwer bleiben, so was wie nationale Forschungsagenden zu diskutieren. Ergebnisse der Beobachtung von Industrieforschung fließen in diesen Prozess ein, eine Beobachtung philanthropischer Wissenschaftsfinanzierung fehlt jedoch. Angesichts dessen, dass bereits 30 % der Drittmittel amerikanischer Spitzenuniversitäten aus solchen Quellen stammen ist das mehr als problematisch.
Interessant aus politischer Perspektive könnte privatphilanthropische Forschungsfinanzierung gerade wegen ihres unbürokratischen Zuges sein. Die forschungspolitische Frage wäre dann, ob, wie und was öffentliche Forschungsfinanzierung davon lernen kann, wie z. B. die schon oft diskutierte teilweise Umstellung von Forschungsfinanzierung auf Preise (vorgeschlagen von Bruno Frey und Margit Osterloh, aus anderen Gründen von Steve Fuller oder Stefan Kühl) angegangen werden kann. Auch hilfreich für öffentliche Forschungsfinanzierungsdebatten könnte es sein, sich am thematisch fokussierten, aber organisational nichtutilitaristischen Kurs privatphilanthropischer Forschungsfinanzierung zu orientieren, das könnte Helfen, in wissenschaftspolitische Debatten wissenschaftliches Nachdenken zurückkehren zu lassen und externe Rechtfertigungslogiken zurückzudrängen.
*Ursprünglich war diese auf Tacitus zurückgehende Formel aus dem Rom der früheren Kaiserzeit (etwa aus dem Jahr 105) nur auf Geschichtsschreibung gemünzt, die damals fast ausschließlich von vormaligen Politikern oder Klienten mächtiger Männer durchgeführt wurde und diese hatten jede Menge Anreize für ira oder studio. Im Laufe der Jahrhunderte wurde sie auf die Wissenschaften als ganze ausgedehnt.
**Es ist an dieser Stelle unbedingt nötig, zwischen bloß privat finanzierter und privatphilanthropischer Forschung zu unterscheiden. Anders als bei (normaler) privatfinanzierter Forschung entfällt bei privatphilanthropischer Forschungsfinanzierung die Verknüpfung mit Erwerbsinteressen oder der Anreiz stiftungsfinanzierte Forschungsaktivitäten an übergeordneten Erwerbsinteressen einer Konzernstruktur auszurichten wie z. B. bei der Bertelsmann Stiftung.