„Ich schlage die Einrichtung europäischer Universitäten vor, die ein Netzwerk von Universitäten aus mehreren Ländern Europas bilden und die einen Studienverlauf schaffen, in dem jeder Studierende im Ausland studiert und Seminare in mindestens zwei Sprachen belegt. Europäische Universitäten, die auch Orte pädagogischer Neuerung und exzellenter Forschung sind. Wir müssen uns das Ziel stecken, bis 2024 mindestens zwanzig dieser Universitäten zu errichten. Doch schon mit Beginn des nächsten akademischen Jahres müssen wir die ersten Universitäten mit echten europäischen Semestern und europäischen Abschlüssen ausstatten.“
Das ist der berühmte Europauniversitätenabsatz aus Macrons Rede. Trotz seiner irritierenden Mischung aus Unbestimmtheit und sprachlicher Konkretion hat der Absatz in der bundesrepublikanischen Hochschulpolitik Abwehrreflexe ausgelöst.
Zunächst aber, auch um die Abwehrreflexe und das, was sie über deutsche Hochschulpolitik sagen, zu verstehen, muss man genauer hinsehen, was drin steht im Redetext. Zunächst steht da europäische Universitäten, nicht Europäische Universitäten. Damit scheint gemeint zu sein, dass die Universitäten europäisch sein sollen, nicht aber unbedingt Unionsinstitutionen sein sollen. Diese Einrichtungen sollen ein „Netzwerk von Universitäten aus mehreren Ländern Europas bilden“, nicht aus allen. Schaffen sollen diese Universitäten einen Studienverlauf, sie sollen auch „Orte pädagogischer Neuerung und exzellenter Forschung“ sein, die Reihenfolge und der davor stehende Terminus Studienverlauf und insbesondere die Nennung pädagogischer Neuerung verweisen darauf, dass Universitäten vorrangig als Bildungsinstitutionen angesprochen sind; die Forschungsfunktion von Universitäten ist nur in zweiter Linie gemeint. Der Absatz steht insofern mehr in einem institutionenspezifischen Kontext, es geht Macron offenbar darum, für den Aufbau europäischer Institutionen einzutreten. Der Kontext des Europauniversitätenabsatzes ist zudem bildungspolitisch, es soll – den Bologna-Prozess ergänzend – ein Sorbonne-Prozess beginnen. Anders als beim Bologna-Prozess dessen Benennung sorgfältig gewählt ist, indem er nach der Universität Bologna, der studentenzentriertesten der mittelalterlichen Universitäten Europas, benannt ist, scheint der Name Sorbonne-Prozess eher der Zufälligkeit geschuldet. Die Rede wurde halt an der Sorbonne gehalten, das lässt auf eine eher schlanke Begriffsarbeit schließen. Man müsse sich, geht es dann weiter in der Rede „das Ziel stecken, bis 2024 mindestens zwanzig dieser Universitäten zu errichten“. Ab hier setzt die irritierende Mischung von Konkretion und Vagheit ein, denn „errichten“ verweist darauf, dass die beabsichtigten Einrichtungen noch nicht existieren, 20 markiert eine Untergrenze, es sollen nicht weniger sein, können aber durchaus auch mehr sein. 20 als Untergrenze betont nochmals, dass es bei all dem nicht um eine Universität in jedem EU-Staat geht. Für einen europapolitischen Vorschlag ist das bemerkenswert, kann aber auch Hinweis darauf sein, dass der Protagonist ohnehin nicht an die Realisierung seines Vorschlages glaubt. Die ersten Universitäten sollen ab Oktober diesen Jahres mit „echten europäischen Semestern und europäischen Abschlüssen ausgestattet werden“ schließt der Absatz. Am Ende ist unklar, ob es um neue Universitäten geht (die wären ja in einem knappen halben Jahr oder einem Jahr noch nicht gegründet) oder ob, mit Programmen in irgendeiner Weise bei vorhandenen Institutionen angedockt werden soll, die mit etwas neuem ausgestattet werden. Aber selbst, wenn es darum ginge, den EUI-Standort Fiesole zu ertüchtigen, wesentlich mehr Leute aufzunehmen, ginge das ja nicht in ein paar Monaten.
Trotzdem hat sich der deutsche hochschulpolitische Diskurs die Vagheit des Absatzes redlich zu nutze gemacht, obwohl insgesamt gesehen die Reaktionen der deutschen Politik zwischen tonlos und meinungslos ausfielen, was nicht zuletzt dem Umstand geschuldet war, dass sie mit sich selbst und ihren Koalitionsoptionen beschäftigt war.hat VertreterInnen der FDP aber nicht davon abgehalten zu betonen, dass es Macron ja besonders um Deutschlands Geld gegangen sei (im gleichen Link wie eben nachzulesen, weiter unten). Universitäten auf der Grünen Wiese solle man jetzt jedenfalls nicht zu planen anfangen, meint Stefan Kaufmann Obmann der CDU/CSU-Fraktion im Bildungsausschuss des Bundestages vor ein paar Wochen im Tagesspiegel, stattdessen sollen bestehende Unversitäten zu „Leuchttürmen der europäischen Idee“ werden. Womit eine gängige Erfolgsfloskel des hochschulpolitischen Betriebs ins Spiel gebracht wäre, Leuchttürme. Die Viadrina in Frankfurt/Oder könne als ein Vorbild dienen. Damit ist das Ziel schon einmal recht niedrig gelegt, wenn also eine kleine, randständige Universität an der polnischen Grenze, eine Universität aus dem Bundesland, das sich Hochschulen am wenigsten kosten lässt, Vorbild sein soll. Kaufmanns Hinweis auf die Möglichkeit einer europäischen Innovationssuperbehörde oder einen europäischen Innovationsrat hilft da dann auch nicht viel weiter.
HRK-Präsident Hippler hatte auch was zu sagen zur Macron-Rede. Universitäten sollten es nicht werden weiß, er stattdessen habe Macron bestimmt ein Europäisches Exzellenznetzwerk gemeint, meint er. Er schiebt in guter bundesrepublikanischer Hochschulpolitiktradition den Schwerpunkt weg von Macrons Bildungsbezug und legt ihn auf die Forschung, für die er sich eine Art europäischer Exzellenzstrategie mit 20 themenspezifischen Netzwerken imaginiert. Für einen HRK-Präsidenten legt er damit ein erstaunliches Unverstehen von Zielstellung und Wirkungsweise der ES an den Tag. Schließlich zielt diese darauf, Forschungsgovernanceperformanzen von Hochschulleitungen in einem organisationalem Ökosystem zu prämieren und dies unter einer forschungsbasierten Prämisse zu machen. Welchen Sinn das haben sollte, jetzt solch einen Zugang auf eine gesamteuropäische Hochschularena zu übertragen, sagt er nicht, so geht dann bei Hippler diese Frage unter der schönen Vorstellung europäischer Exzellenz unter.
Verstehen kann man das selbstverständlich alles gut, schließlich stört Macrons Vorschlag die föderale Harmonie. 20 beteiligte Einrichtungen wären eben nicht 16 in Deutschland und das ist natürlich ein föderales Großproblem (schlimm genug, dass die DFL-Bundesliga nicht föderalisiert ist). Das stört stark. Ebensowenig kann die HRK das Hinzukommen von Universitäten neuen Typs erfreuen; da trifft es sich gut, dass im Redetext selbst das Wort Netzwerk vorkommt, so dass Hippler flugs behaupten konnte, Macron habe bestimmt ein Exzellenznetzwerk für die Forschungsförderung gemeint. Damit lässt sich der letzte europapolitisch spannende Bezug der Macron-Rede plattquatschen.
Bedauerlich an diesem Plattquatschen ist, dass dabei der Aspekt von Macrons Idee unter die Mühlsteine gerät, der schön ist. Wer schon einmal am EUI in Fiesole war und sei es nur zu Besuch, weiß, was für ein toller Ort das ist. Anders als im Brüssel-Straßburger-Wanderzirkus begegnet man sich nicht vorrangig aus den Rollen und Logiken nationaler Interessenvertretung heraus, sondern als KollegInnen. Allein die Vorstellung, dass es irgendwann 20 solcher Orte geben könnte und dass diese Einrichtungen dann womöglich auch noch größer wären, sich nicht nur auf DoktorandInnenprogramme, sondern nach Möglichkeit auch auf Masterstudiengänge ausrichten würden, ist sehr schön und vielversprechend. Thematische Ausweitungen wären auch denkbar, so z. B. kultur-/geisteswissenschaftliche Einrichtungen und mindestens eine Einrichtung, die sich mit Umwelt- und Nachhaltigkeitsfragen befasst. Es wäre mehr als schade stattdessen eine neue Forschungsbürokratie und eine neue Exzellenzstrategie zu bekommen, bei der derzeit niemand eine Idee hat, was man damit will.