Ein kleines germanistisches DFG-Projekt an der Universität Vechta hat sich Narrative des Anthropozäns vorgenommen (ein kleiner Text zum Projekt steht hier). Dies ist nun seinerseits ein Narrativ, das überraschend gut funktioniert, weil es von verschiedenen Seiten aufzeigt, was das Sprechen von einem menschengemachten/beeinflussten Erdzeitalter sichtbar machen kann. Die fünf Narrative sind das von der Katastrophe/Apokalypse, das Gerichtsnarrativ, das polanyische von der Großen Transformation, das biotechnologische und das Interdependenznarrativ. In diesen Narrativen – so argumentiert Gabriele Dürbeck die PI des Projektes – gibt es immer einen Plot der, Opfer, Schurken, Problemlöser verknüpf und eine Moral, die sagt, was richtig und was falsch ist. Grob lassen sich die fünf Narrative nach zwei im weiten Sinne religiös motivierten an Glaubenssystemen orientierten, zwei auf unterschiedliche Weise lösungsorientierten Narrativen und einem netzwerkorientierten unterscheiden. Für das fünfte Narrativ fehlen bislang politisch und gesellschaftlich relevante Trägergruppen, trotzdem hat es seine analytische Berechtigung.
Das Katastrophennarrativ ist in einiger Hinsicht das traditionellste, zumindest insofern, als es im christlichen Sündendenken verhaftet ist. Wir sind nicht so, wie wir sein sollten, deshalb zerstören wir den uns anvertrauten Planeten lautet sein Kern. Das Katastrophennarrativ ist auch das philosophische Narrativ. Es ist verbunden mit letzten Fragen und braucht ein tiefgreifendes Heil: Unter einer Verabschiedung des Wachstumspradigmas wird danach wohl keine Abhilfe zu finden sein, tiefe Reflexion ist aber definitiv geboten. Das Opfer ist der Planet, die Artenvielfalt, das Überleben der Menschheit, der Schurke ebendiese Menschheit, problemlösend sind Reflexion und wie gesagt die Überwindung des Wachstums, die Moral ist, dass die (problemverursachende) Menschheit nun in der Pflicht ist zu handeln.
Das Gerichtsnarrativ legt den Schwerpunkt konkreter, auf die Frage, wer Schuld ist. Es erzählt aus einer postkolonialen Perspektive und kommt zu dem Ergebnis, dass die Hauptschuldigen die westlichen Industrienationen sind. Die marxistische Variante dieses Narrativs spricht von einem Kapitalozän, Schurke ist da das Kapital, Opfer sind je nach Variante die nichtwestlichen Nationen des Südens oder die, die kein Kapital einzusetzen haben. Es ist anders als das erste das politischste Narrativ, politisch im Sinne von tagespolitischer Verwertbarkeit in einem internationalen Kontext. Die im Katastrophennarrativ kollektiv in Haftung genommene Menschheit ist insofern raus, als Teile von ihr nicht in Haftung zu nehmen sind, der Süden, die Armen, die Arbeiter und Bauern. Die Lösung liegt in einer irgendwie differenzierten Verantwortung, die Anderen sollen jedenfalls mehr zahlen oder machen als die Einen.
Das Narrativ von der Großen Transformation setzt schon bei der Lösung an und denkt anders als die ersten beiden nicht von Verursacherschaft und Schuld her. Das Narrativ dockt bei der Idee der ökologischen Modernisierung an. Gut möglich, dass es derzeit das eigentliche zeitgenössische linke Narrativ ist, da es beim Gesellschaftsumbau ansetzt und das Erzählen positiver Geschichten des Gelingens ermöglicht. Dementsprechend ist dies das Narrativ von Transformationsagenturen wie des WBGU und auch das vorherrschende Narrativ der VertreterInnen einer transformativen Wissenschaft. All diese Akteure wollen Teilbereiche der Gesellschaft umbauen um nachhaltig werden zu können.
Das biotechnologische Narrativ wiederum kann einerseits als eine Steigerung des Transformationsnarrativs gelesen werden, weil es ebenso wie dieses nicht nach Schuld und Verursacherschaft fragt und auch lösungsorientiert aussieht, das es aber nicht ist. Vielmehr steht es in der Tradition des technokratischen Denkens der 1960/70er Jahre und läuft letztendlich auf ein Verschwinden der Politik hinaus, weil sich alle Fragen und Ungewissheiten im Technischen auflösen. Heil und Lösung liegen in der Technologie. Geoengineering hilft, die Optimierung des Menschen, die Fülle der Daten, je nach Variante, die Grenzen zu quasireligiösen Denkwelten sind zum Teil fließend (bei Dataisten z. B.). Bei harten Ökomodernisten, denen dieses Narrativ auch zu eigen ist, hilft der Einsatz nuklearer Energieerzeugen gegen den Klimawandel. Jedenfals wird es wohl gut, zumindest aber immer besser. Dies ist einerseits eine Parallele zum vorgenannten Narrativ, andererseits sind die angedachten Lösungen weniger integrativ und vernetzt gedacht. Es ist nicht so sehr das Zusammenspiel von Technischem und Sozialem, in dem nach Lösungen gesucht wird, als das Ausgreifen von Technischem und das Technisieren des Nichttechnischen.
Das fünfte Narrativ, das Netzwerknarrativ kann man das latourianische nennen. Dort ist die Natur nicht mehr das andere der Kultur, sondern wir sind mit ihr in einem Netzwerk, besser in vielen Netzwerken. Eine Menschheit gibt es nicht mehr, stattdessen mutiple Konstellationen. Intellektuell ohne Schaden funktionieren wird das nur, wenn es nicht zu posthumanen Diskursverschiebungen kommt und Impulse aus der technokratischen Tradition nicht in die menschliche Selbstthematisierung hinüberschwappen. Sollte das passieren, dann stünde im Rahmen eines Aktantennetzwerkmodells Vorstellungen von Menschlichkeit auf dem Spiel und verschiedene am Über- und Weiterleben interessierte Gruppen stünden gegeneinander. Diese Gruppen würden dann wohlmöglich sogar über unterschiedliche genetische Ausstattungen verfügen. Wenn diese dann identität aufgeladen wären, würde es nicht gut werden (die Art wie wir selbst mit Tieren in unserer Obhut umgehen, vermittelt Anhaltspunkte dafür, wie biologisch erstarkte (verbesserte) Posthumane mit den verbleibenden Menschen umgehen würden). Insofern bestünde Gefahr, dass im letzten Modell sich der rechteste aller Zugänge etablieren würde.
Zum Glück ist nicht davon auszugehen, dass sich eins dieser Narrative in Reinform realisieren wird. Im Fall des dritten Narrativs ist das fast ein wenig schade, im Fall des vierten und erst recht des fünften umso beruhigender. Gleichwohl gilt es wach zu sein in Hinblick auf das, was da kommen kann.