Phillip Manow bespricht in seinem Essay (Ent-)Demokratisierung der Demokratie ein wichtiges Thema*. Schließlich wäre es tatsächlich wichtig zu wissen, wie es mit der Demokratie weitergeht, oder, ob und inwiefern sie bedroht ist, von außen oder von innen, oder auch, wie mit der Frage, dass nach ihr nichts anderes kommen soll, während zugleich aber irgendwas anderes wird kommen müssen, denn Endzustände des Politischen sind schließlich nicht zu erwarten, umgegangen werden kann. Zudem verspricht der Text Klärung bei der Frage, was denn aktuell akut nicht stimmt mit der repräsentativen Demokratie, denn irgendwas stimmt ja gerade nicht, das wissen wir alle. Was wir dabei nicht so genau wissen ist, was Demokratie ist, ob es das Verfahren ist, das sie ausmacht, das Recht, der Streit über sie oder anderes. Dementsprechend gibt es auch Uneinigkeit, was genau die Bedrohungslage ist, ob Demokratie verfällt, verfallen ist, früher demokratischer, gar besser war oder immer demokratischer wird und ob das das gleiche wie besser ist. Populismus ist Manow zufolge dabei lediglich ein Indikator, ihn zu verdammen hieße, den Überbringer der Botschaft „zu erschießen“. Eine Bedrohung der Demokratie sieht er im Populismus anders als zum Beispiel Jan-Werner Müller nicht, ob Populismus die Demokratie bereichert, belässt er etwas im Vagen.
Manow geht das Thema von zwei Seiten an: Zunächst von der Demokratisierungsseite, er sagt dort, wie Demokratie entstand, was die Hauptprobleme ihrer Gründungskontexte waren und wie die sie tragende und verkörpernde Kerninstitution die politische Partei sich entwickelt und verändert hat. Im zweiten Teil des Textes geht er auf die Entdemokratisierungsseite ein, sagt dort, wie Demokratie bedroht ist, an ihre Grenzen gerät, in unklarem Fahrwasser schlingert. Demokratisierung und Entdemokratisierung sind bei all dem für Manow nicht konsekutive Prozesse, sondern die Beschreibung zweier Seiten einundderselben Medaille.
Seine Startthese ist zumindest interessant und etwas streitbar. Demokratie führe seit ihren Anfängen im späten 18. Jahrhundert eine Erblast mit sich, weil das Hauptproblem der sie begründenden Eliten gewesen sei, wie es möglich sein könnte, den Pöbel von den Entscheidungen über öffentliche Angelegenheiten auszuschließen und dennoch ein Ergebnis zu erhalten, das man Demokratie nennen kann. Schließlich hätte man damals (1780 ff.) auf einen jahrhunderte-, ja, mehr als 1000 Jahre alten Diskurs zurückgeblickt, der in Demokratie etwas Schlechtes, eine degenerierte Verfallsform sah. Seit der griechischen Antike galt sie Tyrannis der Mehrheit, Mobokratie, Suprematie der ignoranten Massen über das Wissen, derlei Begriffe waren die Ausschmückungsformen derselben Erzählung, die die modernen Kritiker der Demokratie ersannen. Die Gründerväter der amerikanischen Demokratie hätten sich dann zunächst auch nicht als Demokraten, sondern als Republikaner bezeichnet. Die Republik verhieße mittels der Technik der Repräsentation eine Reinigung des der Demokratie zugrundeliegenden (wie gesagt etwas schmuddeliganrüchigen) Volkswillens.
Für diese Reinigung war es nötig, das Volk konzeptionell in Pöbel und Nation, Hohes und Niederes, rohes Unwissendes und Hehres aufzuspalten. Letzteres war etwas Hehres und Gutes, Ersteres eher weniger. Diese Aufspaltung sei notwendig gewesen, um so etwas wie einen repräsentierbaren Volkswillen zu erhalten. Die Repräsentanten(und ihre Institutionen) nahmen sich dann des hohen Konzeptes von Volk an. Dieses reinigende Sichannehmen sei – so Manow – über Ausschlusspraxen erfolgt, dabei würde definiert, was besprechenswert sei, was Politik sei und wer dabei eine Stimme haben solle. Zu Anfang räumte man dem Niederen Räume ein, in denen dieses folgenlos ausagiert werden konnte. Demokratiegeschichte sei – so Manow weiter – auch eine Geschichte des Schleifens von immer mehr Ausschlüssen. Dies gelte in Bezug auf Menschen, Themen und Politikfelder. Der Streit über diese Ausschlüsse sei, etwas, das der Demokratie nachgerade konstitutiv anhafte und unvermeidlich sei. Was wir heute als Populismus erleben, sei vor diesem Hintergrund nichts anderes, als die Wiederkehr des dereinst Verdrängten der Demokratie. Populismus ist ihm damit ein Teil der Demokratie, den sie nicht so schnell loswerden dürfte.
Im zweiten Kapitel des Demokratisierungsteils wendet sich Manow der Frage zu, wie sich Parteien demokratisierten. Parteien sind ihm dabei die zentralen Organisationen der Demokratie, denn sie schlagen die Brücke zwischen Öffentlichkeit und Regierungshandeln. An eine kurze Skizze der Geschichte der Parteiendemokratie, die Beschreibung ihrer Entwicklung über die Honoratiorenparteien des 19. Jahrhunderts zur sog. Kartellpartei und Catch-All Partei des 20. Jahrhunderts hängt er drei Fallstudienskizzen an, wie sich in der jüngsten Vergangenheit Parteiendemokratie entwickelt habe. Die Fallbeispiele sind Corbyns Labour Party, mit ihren 1 Pfund-Mitgliedschaften, die auf Trump und sein personalisiertes Regieren, das via Soziale Medien direkt mit dem Wahlvolk kommuniziert, zugeschnittene Republikanishe Partei sowie die von Emmanuel Macron geschaffene Neupartei La République En Marche.
Im zweiten Entdemokratisierung der Demokratie genannten Teil wendet sich Manow den Bedrohungen der Demokratie zu. Dabei hebt er hervor, dass Demokratie stets unsicher ist, wie auch ihre Bedrohungen. Der Verdacht, es gebe da jemanden, der die Demokratie abschaffen wolle, ist immer da, und es sind stets die anderen (weiter oben hatte er ja schon den Gedanken eingeführt, dass der Verdacht, gar nicht wirklich den Volkswillen zu repräsentieren Teil der Demokratie sei). Für Manow ist das Bedrohungsselbstbild der Demokratie nichts anderes als ein Re-Entry der alten überwundenen antidemokratischen Bedrohungen, die die Demokratie dereinst von außen bedrohten in die Demokratie selbst. Sie (Faschischmus und autoritärer Sozialismus) existierten nunmehr als Abklatsche ihrer selbst innerhalb der Demokratie. Eine Schlussfolgerung für Manow lautet dann auch: Diejenigen, die es ernst meinen, erkenne man daran, dass sie sich mit Vorwürfen, Antidemokraten zu sein, zururückhalten.
Im zweiten Kapitel dieses Textteils entwickelt Manow dann noch einen komplexen Zusammenhang von Demokratie und Staat. Demokratie ist seiner Auffassung nach ohne Demokratisches nicht da, hat als abstraktes Prinzip keine soziale Existenz. Existierend sei sie auf ein konstitutives Außen angewiesen, auf einen Staat, der zwischen innen und außen diskriminiere. Ihr wohne stets ein offener Antiuniversalismus inne. Bürgerrechte zum Beispiel würden aus Perspektive heute existierender Staaten in genau dem Moment wertlos werden, wo sie allen Menschen zukämen, Teilhabe würde durch Ausschlusspraxen gewährleistet werden. Allerdings betone diese Grundbedingung kaum jemand, allenfalls werde sie, wie bei Lessenich, als Skandal benannt.
Nach dem Durchgang durch Manows Gedankengang stellen sich mir drei Fragen:
- Was folgt daraus, dass die Technik der Repräsentation in einer Gesellschaft entwickelt worden ist, die zahlenmäßig von Analphabeten dominiert worden ist, sich aber in den etwa 240 Jahren seither zu einer von Wissenschaft geprägten Gesellschaft verwandelt hat, kehrt da mit dem Populismus das einst Verdrängte wieder oder kommt da auch was anderes, Neues?
- Ist Entspanntheit wirklich eine angemessene Reaktion auf antipluralistischen Populismus?
- Wenn die Demokratie so eng mit dem Nationalstaat verschränkt ist, wie Manow behauptet, was kommt danach, wenn der Nationalstaat als Problemlösungsinstanz verblasst. Mit anderen Worten: Würde es nicht doch lohnen, nach postnationalstaatlicher Demokratie zu fahnden?
Ad 1.) Die Frage kommt auf, weil Manow sich um Wissen nicht kümmert. Das Wort taucht nur einmal auf, in einem spöttisch negativen Zusammenhang heißt es, die Begründer der repräsentativen Demokratie hätten das Volk für unwissend gehalten. Abgesehen davon interessiert sich Manow nicht für Wissensgehalte von Politik. Entsprechend hat Wissenschaft in seiner Theorie von der Politik auch keinen Platz. Da kann man dann auch nicht darüber schreiben, was es bedeuten kann, mit verwissenschaftlichter Politik zu tun zu haben. Es fehlt Manows Text deshalb auch ein Bezug zu der historischen Dynamik, die Frage,“ kommt da das alte Verdrängte von vor 200 Jahren wieder oder doch etwas anderes, Neues“, scheint sich ihm gar nicht zu stellen.
Als Problem erscheint mir, dass Manow mit seiner Wiederkehrthese eine Repräsentationslückenlehre aufgreift, die unterstellt es gebe einen vorpolitischen Volkswillen, der repräsentiert wird oder nicht. Plausibler scheint mir allerdings die These, dass es einen dynamischen Prozess gibt, in dem sich Volkswille angesichts vorhandener politischer Angebote bildet und strukturiert.
Möglicherweise stellt sich ihm diese Frage aber auch deshalb nicht, weil er sich in seiner antirepräsentationalen Polemik etwas verloren hat, denn für die Frage, ob mit der Repräsentation nicht auch etwas gewonnen werden konnte, interessierte er sich beim Aufschreiben des Kapitels sichtlich nicht. Dieses Desinteresse scheint mir umso verwunderlicher, weil wir es heute mit einer Demokratie zu tun haben, in der fast jede und jeder für irgendwas Expert*in ist. Welche Konsequenzen entstehen der Demokratie daraus?
Ad 2.) Man muss nicht so unentspannt und vielleicht auch einseitig auf den Populismus blicken, wie Jan Werner Müller das in seinem ersten Populismusessay tat. Müller stellte den Antipluralismus des Populismus ins Zentrum und landete vermutlich auch dadurch theorieimmanent motiviert bei einer gar zu scharfkantigen Unterscheidung populistischer von nichtpopulistischer Politik. Mit der Rückseite dieser Unterscheidung handelte er sich allerdings ein Sensorikdefizit in Bezug auf Rand- und Übergangsphänomene populistischer Politikmuster ein und leider hat er dieses Defizit auch nicht in Furcht und Freiheit adressiert. Stattdessen hat er bei seiner dort vorgenommenen Nachbearbeitung von Judith Shklars Liberalismus der Furcht den Bezug zu den aktuellen Debatten um ein Für- und Wider identitätsbezogener Politik gesucht. Die Leerstelle in Müllers Populismustheorie bleibt damit leider ungeheilt, kann aber von Manows Entspanntheitsappell aus den in ad 1.) angeschnittenen Gründen nicht behoben werden.
Ad 3.) Insbesondere bei dieser Frage macht sich Manows Desinteresse daran, wie es mit der Demokratie weitergeht, bemerkbar. Er lässt es bei der Feststellung des konstitutiven Außen der Demokratie bewenden, lässt kurz anklingen, dass Lessenich genau das für einen Skandal hält, fängt dann aber nichts damit an. Der Nationalstaat, der bisher die Hülle und Bühne der Demokratie war, ist in seinen Grundfesten erschüttert, Nachfolgeinstitutionen sind nicht in Sicht (oder allenfalls holzschnittartig skizziert, wie bei Ulrike Guerot) Manow aber entlockt all das nicht mehr als ein textliches Schulterzucken, als sei ihm am Ende des Textes die Puste und Denkkraft ausgegangen.
Die für mich lektüremotivierende Frage am Anfang, wie es mit der Demokratie weitergeht, was womöglich nach ihr kommt, und ob man gegen das beunruhigenden Gefühl, dass nach der Demokratie nichts mehr kommen soll und darf, etwas machen kann, wird damit auch durch Manows Essay nicht beantwortet. Das ist schade.
*Ein gründlicher Review, der einen Überblick erlaubt, was Manow da macht, steht hier.