Die Grenzen zwischen Politikwissenschaft und politischer Publizistik sind nicht selten fließend und manchmal einfach auch gar nicht mehr zu erkennen. Dies ist ein Umstand, der dem Ansehen der Politischen Wissenschaft als Wissenschaft des öfteren nicht förderlich ist. Ein Problem welches ganz und gar selbstgemacht ist. Im Februarheft des Merkur hat ein Politikwissenschaftler gezeigt, warum das so ist. Er wollte – platt gesagt – zeigen, dass die Grünen nicht viel anders sind, als die AfD.
Er geht dabei wie folgt vor. Zunächst beklagt er dass die Grünen sich weltoffen gäben, während die AfD allzu schnell als nationalistisch, antieuropäisch und seine AnhängerInnen als Wutbürger markiert werden würden. Sodann stellt er fest, die AfD sei nicht minder eine „bunte Truppe“, als die Grünen dereinst in ihrer Anfangsphase gewesen wären, beide würden „von aktuellen Konflikten um Migration, knappe Haushalte oder Bildung in einer Art und Weise erfasst, die auf absehbare Zeit den konservativen Flügel stärken wird“. Das ist – wenn man so will – die Kernthese dieser Ähnlichkeitsvermutung. Sodann schildert der Autor kurz das Konservativwerden der Grünen bis heute als eine Geschichte des immer wieder stattfindenden Exodus von Linken, an deren Ende Strategien der Verhinderung rot-rot-grüner Optionen stünden. Damit sollen – so vermutet er – Koalitionen mit der CDU vorbereitet werden. Mit derjenigen Partei, die den Grünen sozialstrukturell ähnlicher sei als die SPD, die ihrerseits ein Problem habe, weil ihre klassische Basis, die Arbeiterschaft, abschmelze. Dabei seien die Grünen gar keine echte Partei (zumindest nicht so echt wie die SPD), denn sie verfügten lediglich über eine schwache kollektive Identität, die sie (gemeinerweise) in eine Stärke umzuwidmen vermochten Des weiteren seien sie (die Grüne Partei) keiner großen gesellschaftlichen Erzählung oder Bewegung verpflichtet, sondern lediglich einer „Semantik des Projektes“, auch dieses lasse schwache kollektive Identitäten zu. Diese Konstellation von schwachen kollektiven Identitäten und (gesellschaftlich angepasster) Projektsemantik erlaube es gar, politische Biographien zu projektifizieren. Als Ersatz für irgendeine Art großer politischer Erzählung fungiere bei den Grünen eine Europafixierung, die die Zustimmung zu einer Vertiefung der Union faktisch zu einem Gradmesser politischer Akzeptabilität mache.
Nach Ausführungen die mit der Behauptung hier gehe es um die Gründung der AfD beginnen, die allerdings nicht diesem Thema, sondern einer allgemein Diskussion darüber, welche Umbruchprozesse in bürgerlichen Milieus so stattgefunden haben könnten, gewidmet sind, kommt der Autor zu den Gemeinsamkeiten und Schmittmengen von AfD und Grünen. Diese lägen z. B. darin, wenn „junge urbane Paare heiraten, um in den Genuss der damit verbundenen steuerlichen Vergünstigungen zu kommen, … oder wenn sie ihr Stadtviertel nach sozioökonomischem Statuserhalt auswählen, … wenn sie biografiestabilisierende Absicherungen des Berufsbeamtentums entweder beneiden oder in Anspruch nehmen unterscheiden sie sich noch in der Deutung, nicht aber in Praxis von den Anhängern der AfD“. In der Konsequenz sei die AfD eigentlich ehrlicher als die Bündnisgrünen, denn die AfD stünde zu den Ressentiments ihrer Unterstützer. Soweit die mich hier interessierenden Argumente des Textes.
Zunächst einmal fällt der Ton der Argumentation auf: die Grünen geben sich nur weltoffen, in Wirklichkeit natürlich sind sie es nicht, die AfD hingegen wird ganz ungerecht behandelt und als nationalistisch, europafeindlich etc. abgeurteilt. Das dann folgende Argument von der „bunten Truppe“ ist so bekannt wie analytisch aussagekraftlos: bekannt, weil schon einmal im Zusammenhang der Entstehung der Piraten bemüht worden ist, aussagekraftlos, weil Buntheit noch nichts über Politikinhalte und transformatorische Potentiale aussagt und worin letztere bei der AfD liegen sollen, ist mir bislang verborgen geblieben. Was der Autor mit „aktuellen Konflikten … die konservative Flügel stärken“ meint bleibt im Dunkeln, da hier lediglich behauptet nicht aber erklärt wird. Die vom Autor vorgenommene Schilderung der konservativen Wende bei den Grünen bleibt unzureichend und verkürzt und unterschlägt das Ausscheiden Ökokonservativer um Leute wie Herbert Gruhl und Baldur Springmann in den frühen 1980er Jahren.
Das Argument der sozialstrukturellen Ähnlichkeit von Grünen und CDU ist natürlich als Vorwurf gegen die Grünen gemeint. Nur so recht zünden mag das nicht. Hätte der Autor zur Untermauerung seines Argumentes nicht nur fast 30 Jahre alte Literatur bemüht, und würde er sich für zeitgenössische soziokulturelle Problemlagen der SPD interessieren (so hätte er den einen oder anderen Aufsatz von Franz Walther zitieren können), hätte er zu interessanten Aussagen gelangen können, so tut er das aber nicht. Er kann deshalb auch nichts zu den (echten) Problemen zwischen SPD und Grünen sagen, die daraus resultieren, dass es sich bei der SPD um eine Partei des Staates und der großen Organisationen und bei den Grünen um eine, die primär beim Individuum ansetzt, handelt.
Ähnlich kursorisch wird der weitere Argumentationsgang mit Literaturverweisen unterfüttert. Das Ziel des Autors ist es, die Grünen als angepasst, Teil des Mainstreams zu entlarven, nur sind seine Verweise zu oberflächlich.
Richtig schlecht aber wird es bei der Aufzählung von Ähnlichkeiten von AfD und Grünen. Hier trennt der Autor nicht zwischen Anhängerschaften und den Parteien und identifziert all das, was Anhänger der Grünen meinen und wollen könnten mit Zielen der Partei. So kommt er am Ende zu der zitierten Einschätzung, AfD und Grüne seien doch eben ähnlich und unterlägen gleichartigen Trends.
Bei einem ersten Lesen schien es sich bei dem Text für mich um eine der immer öfter zu findenden konservativen Erörterungen Grüner Politik zu handeln, die in den Grünen eine Art politischen Jungbrunnen des Konservatismus sehen wollen. Denn schließlich ist dem Konservatismus ein seriöser politischer Akteur abhanden gekommen, nachdem CDU nicht mehr so richtig konservativ sein will.
Ein gründlicheres Lesen und ein Minimum an Hintergrundrecherche zeigt aber, dass die Dinge anders liegen. Der Autor des Textes Alban Werner promoviert an der RWTH Aachen in einem der politikwissenschaftlichen Theorie gewidmeten Fachgebiet. Gegenstand seines Promotionsvorhabens ist die AfD. Nebenbei betätigt er sich in einer der Linkspartei zugehörigen Gruppe namens „Sozialistische Linke“. Es schreibt hier also jemand aus der Linkspartei in einem eher konservativen Blatt um einen gefühlten Hauptgegner auf der linken Seite des politischen Spektrums anzugreifen. Attraktiv für den Merkur war er scheinbar wegen seiner Faszination für die AfD, denn anders ist es nicht zu erklären, warum er auf fast einer halben Seite Alexander Gauland zu Wort kommen lässt und aus dessen Buch Anleitung zum Konservativsein zitiert. Das sieht fast nach einer Art umgekehrten politikwissenschaftlichen Stockholm Syndroms aus. Das zu Analysierende fasziniert den Analysierenden offenbar derart, dass dieser kaum mehr was Negatives über seinen Gegenstand zu sagen vermag.
Als politische Publizistik funktioniert das alles schon nicht besonders gut. Noch weniger aber als politische Wissenschaft und als solche gibt sich der Artikel mit seinen Verweisen auf politikwissenschaftlich Theorie da und Gaulandsche Publizistik hier. Und dadurch wird die ganze Sache zu einem Ärgernis. Das ist zwar nicht wissenschaftliches Fehlverhalten spielt aber auf der Grenze davon rum. Wie schon oben gesagt, für das Ansehen der Politikwissenschaft tut Werner hier nichts gutes, weil er den Anschein erweckt, man könne einfach behaupten, was einem in den Kram passte, weglassen, was nicht dazu passt, das ganze zusammenschreiben und damit oberhalb der Bullshitschwelle durchkommen. Der Anmerkungsapparat dient damit nicht dazu, Lesenden weiterzuhelfen, sondern einen politikwissenschaftlichen Anschein zu erwecken. Das ist hier nicht gelungen, vielmehr erfüllt der Aufsatz alle nötigen Kriterien, um als Bullshit im Sinne Frankfurts gelten zu können: das Desinteresse and politikwissenschaftlicher Wahrheit und die Absicht mit Aus- bzw. Weglassungen und politikwissenschaftlichem Anschein durchzukommen.