Das deutsche Universitätssystem leistet sich seit langem eine sozial toxische Personalstruktur, toxisch ist diese Struktur deshalb weil sie die Professur zum Heiligen Gral überhöht und wegen dieser Überhöhung gleichzeitig verknappen muss. Die Konstellation hat zum Ergebnis, dass viele, allzu viele zu einem Wettrennen aufbrechen, bei dem von Anfang an klar ist, dass höchstens ein Viertel oder weniger der StarterInnen zum Ziel werden kommen können. Sozial toxisch ist das System deshalb, weil Alles-Oder-Nichts-Entscheidungen zu einem biographisch sehr späten Zeitpunkt fallen und sichergestellt ist, dass möglichst viele Leute einen maximalmöglichen Misserfolg einfahren. Dennoch war das deutsche Wissenschaftssystem (vertreten durch diejenigen, die die Grale errungen hatten) schon immer bereit, dafür handfeste Nachteile in Kauf zu nehmen, wie schon Fritz Ringer in seiner Studie über die „Deutschen Mandarin“ vor mehr als 40 Jahren festgestellt hat. Ringer hatte die deutschen Ordinariate als ein primäres Innovationshindernis erkannt, denn diese hinderten die deutschen Universitäten daran, neue Forschungsgebiete jenseits traditioneller Fächerstrukturen erschließen zu können und limitierten die Anzahl der unabhängig Forschenden, also die der potentiellen Innovationsträger.
Im internationalen Vergleich fällt auf, dass in Deutschland besonders viele WissenschaftlerInnen abhängig forschen und besonders wenige ProfessorInnen sind. Tobias Rosefeldt ein Philosoph hat in der FAZ letzten Mittwoch einen Vorschlag vorgelegt, wie man an dem Problem arbeiten könnte. Roselfeld geht es zwar weniger um das Innovationsproblem, sondern darum, wie verlässliche Karrierewege im Wissenschaftssystem geschaffen werden könnten, gleichwohl würde sein Vorschlag auch dieses einer Lösung näher bringen. Rosefeldts Vorschlag läuft – verkürzt gesagt (denglisch gesagt in einer Nussschale) – darauf hinaus, den universitären Mittelbau abzuschaffen und durch eine flexible Mischung aus Lecturer- und Tenure-Track-Stellen nach angloamerikanischem Vorbild zu ersetzen. Das hochgeschätzte Kulturgut des deutschen Lehrstuhls mit seinen Abhängigkeits-, Ausnutzungs- und DomestikInnenverhältnissen dürfte einer solchen Reform zum Opfer fallen, und das wäre nicht schade.
Der sogenannte Mittelbau an Universitäten ist ja schon lange kein positiver Bezugspunkt mehr. Ein Träger von Reformdiskursen ist er nach dem Verschwinden der Bundesassistentenkonferenz nicht mehr. Die offizielle Hochschulpolitik hat den Mittelbau ja auch längst semantisch entsorgt und durch den viel schöneren – weil knetbareren Begriff Wissenschaftlicher Nachwuchs ersetzt. Schließlich sagt da ja schon der Begriff, dass man es mit begabten jungen Menschen zu tun hat, die alles brauchen, nur keine Dauerstellen. Es bleibt der böse Altmittelbau aus der Vergangenheit, dessen Realrepräsentanz durch ergraute Akademische Räte und sweatshirttragende Studienräte im Hochschuldienst (an die wir alle, die die Universitäten in den 1980er und 90er Jahren besucht haben denken müssen) sich aufs Beste mit der betriebswirtschaftlich transaktionskostentheoretisch informierten Fiktion des faulen principalbetrügenden Agenten vertrug. Überhaupt lehrte ja der betriebwirtschaftliche Blick auf die universitäre Personalstruktur, dass Dauerstellen eigentlich nur akademisches Totholz erzeugen können; deshalb gewann das deutsche akademische Rattenrennenmodell gerade im Zuge einer Organisationswerdung der Universitäten immer neuer Attraktivität, denn schließlich produzierte es motivierte, zu vielem ja fast allem bereite WissenschaftsaspirantInnen.
Aber zurück zu Rosefeldts Vorschlag, denn er enthält etliche gute Argumente. So meint Rosefeldt, dass wenn jemand eine Idee für eine Tagung oder die Herausgabe eines Sammelbandes hat, er diese nicht mehr von MitarbeiterInnen umsetzen lassen könnte, sondern jemanden auf Augenhöhe finden müsste der mit ihm daran arbeitet, die Idee letztlich auch besser sein müsste. Denn die Umsetzung eigentlich schlechter Ideen könnte dann niemand mehr anordnen und selbst umsetzen wird sie ja wohl keiner wollen. Wenn es dann im Ergebnis ein paar weniger öde Tagungen und Sammelbände gebe, sei das nicht von Nachteil.
Was aber fängt man mit diesen Vorschlägen jenseits der Geistes-, Sozial-. Rechts- und Wirtschaftswissenschaften an? Nun, es gilt wohl den antihierarchischen Gedanken daraus zu destillieren. Man muss, um das zu tun, den Blick auf die großbetriebliche Forschung in den Naturwissenschaften kritisch werden lassen. Statt sich darüber zu freuen, wenn naturwissenschaftlich Forschungsgruppen die Größe kleiner mittelständischer Betriebe oder von Lehrerkollegien mittelgroßer Gymnasien annehmen sollte man sich lieber fragen, was die kleinstmöglichstsinnvolle Forschungsgruppengröße in diesen Fächern wäre. Vermutlich liegt diese Größe zwischen sieben und 15.* Status- und Prestigewahrungsinteressen sollten bei diesen Überlegungen keine Rolle spielen, stattdessen die Überlegung, wie es gelingen kann ein Maximum an intellektueller Kreativität freizusetzen. Es wäre vielleicht auch nicht schlimm, wenn die AutorInnenlisten naturwissenschaftlicher Veröffentlichungen nicht mehr eine halbe Seite oder mehr verbrauchen würden.
Als GegnerInnen dieses Vorschlages dürften wohl viele der amtierenden ProfessorInnen und eventuell die Gewerkschaften auftreten. Erstere dürften sich dagegen wehren, die ihnen Zuarbeitenden und ihre hierarchisch herausgehobene Position zu verlieren. Zweitere werden sich wohl aus Gründen der Traditionspflege entgegenstellen wollen, denn im Mittelbau sehen sie den Träger betrieblich mitbestimmter Wissenschaft und von Wissenschaft als Beruf. Und schließlich würde sich aus gewerkschaftlicher Sicht auch die Frage stellen, was aus der Status- oder Mitgliedergruppe wissenschaftlicher MitarbeiterInnen werden würde. Verschwände diese, verlören die Gewerkschaften ein Standbein im Wissenschaftsbetrieb.
Das ist aus Gewerkschaftssicht gefährlich, weil ohnehin Bewegung in die Diskussion über Mitgliedergruppen der Universität gekommen ist. Von unten wird der wissenschaftliche Mittelbau angegriffen durch Überlegungen eine Mitgliedergruppe der Promovierenden zu schaffen.
Die Argumente gegen den Vorschlag werden erwartbar zahlreich sein. Man wird sagen, aber wer soll denn dann die Lehre, die Klausurkorrekturen etc. machen, das macht doch jetzt alles der sogenannte Mittelbau, und wenn der verschwände, nun dann würden ProfessorInnen diese Arbeiten machen müssen, was aus etlichen Gründen gar nicht so schlecht wäre. Zum einen gäbe es ja mehr von ihnen, zum anderen würden dann Studien- und Prüfungsordnungen möglicherweise dahingehend geändert werden, dass nicht mehr jede Kleinigkeit mit Prüfungsleistungen abgeprüft werden müsste. Ja vielleicht käme es ja zu einer realen Entbürokratisierung der Bologna-Universität, wenn die ProfessorInnen die bürokratischeen Suppen selber löffeln müssten, Und die Angelegenheiten, deren Erledigung tatsächlich Professionalität erfordert, müsste von Leuten erledigt werden, die dafür dauerhaft angestellt werden.
UniversitätsbetriebsürokratInnen, neudeutsch auch Higher Education Professionals (HEPROs), oder WissenschaftsmanagerInnen genannt, dürften beklagen, dass künftig weniger Personaldurchsatz stattfinden kann, und dass die für Drittmittelprojekte verfügbare akademische Reservearmee etwas schrumpfen wird, ich frage mich aber, ob das wirklich schlimm ist. Nicht schlimm sein wird das in der Lehre, wenn es weniger hoffende Privatdozenten gibt, weil ein Wegfall dieses Gratislehrangebotes ist den Universitäten nur zu wünschen.
*Wer jetzt sagt, wer so was sagt, hat keine Ahnung von der Realität betrieblich verfasster naturwissenschaftlicher Forschung, sollte noch einmal überlegen, ob die heutigen Gruppengrößen tatsächlich epistemische Erfordernisse oder nicht vielleicht doch soziale Hierarchien und Geltungsansprüche abbilden, und ob es nicht auch anders ginge. Erst wer hier mit einem eindeutigen Nein antworten kann, hätte gute Gründe das Argument zurückzuweisen.