Der Tagesspiegel ist die Berliner Regionalzeitung und pflegt damit regionale Belange. Ein regionaler Belang ist – der Wahrnehmung des Tagesspiegels nach – offenbar das Regierungswesen. Aus diesem Grund hat die Zeitung ihr Herz für das LobbyistInnen- und BeraterInnentum entdeckt und damit begonnen, wöchentlich eine Seite namens Agenda aufzulegen, da will man, so heißt es da, über „Hintergründe aus dem Innenleben der Macht berichten“. Diese Agendaseiten dienen offenbar zum anderen der Begleitung des vom Tagesspiegel aufgenommenen Kongressgeschäfts. Auch dort ist das Ziel, „Entscheider miteinander ins Gespräch zu bringen“.
Der Artikel
Einen solchen Hintergrund sollte wohl auch der ziemlich lustige Artikel, der dort am Dienstag der vergangenen Woche (14.04,) zu lesen war, ausleuchten. Axel Wallrabenstein (vor langer Zeit Bundesgeschäftsführer der Jungen Union, dann Wahlkampfberater Eberhard Dieggens, danach Mitarbeiter bei Publicis Group, das ist seiner Selbstbeschreibung nach ein „global leader in marketing, communication and business transformation“, deren „strategic communication and engagement company“ das von Wallrabenstein geführte Unternehmen MSL-Deutschland ist) durfte dort ein lobbykritisches Buch des Stern-Journalisten Hans-Martin-Tillack rezensieren. Er fand das Buch irgendwie nun gut „einseitig“. Einseitig sei das Buch, weil es gar nicht über die ebenso massiv lobbyierenden Gewerkschaften, weltanschaulichen Verbände etc. berichten würde (1). Folgerichtig wirft Wallrabenstein Tillack vor, dass dieser unzureichend auf die Interessenverflechtungen von Thilo Bode dem Direktor von Foodwatch eingeht.
Wallrabenstein schreibt dann weiter, es stimme gar nicht, dass man mit Ständen auf Parteitagen Entscheidungen kaufen kann. (2)
Wenigstens sei Tillack, so Wallrabenstein weiter, wo er schon nicht objektiv sei, auf keinem Auge blind und benenne üble Fälle bei allen Parteien (3), um dann Tillack eine Fixierung auf Berlin-Mitte-Restaurants, in denen „barbusige Nixen auf Tischen platziert sind“, vorzuwerfen.
Das soll heißen, Tillack ist irgendwie auf Bildniveau.
Tatsächlich, meint nun Wallrabenstein, würde Politik von Interessenvermittlung und –abwägung leben, ja das sei so was wie der Lebenssaft der Willensbildung. Das dabei oft anzutreffende Unbehagen bei den Leuten rühre nun zum großen Teil vom bösen Wort Lobbying und ein bisschen vielleicht auch daher, dass es in dem Feld nicht besonders transparent zugehe. Wallrabenstein also will, dass, obwohl es den geschützten Raum exekutiver Eigenverantwortung geben müsse, aber auch, dass über mehr Transparenz nachgedacht wird. Ein Lobbyistenregister soll es geben, das auch nicht durch Vorschieben anwaltlicher Schweigepflichten untertunnelt werden kann. Sogenannte Drehtüreffekte (s. Pofalla geht zur Bahn, Berninger zu Mars etc.) könne man bei der Gelegenheit dann auch noch ein bisschen Eindämmen, ja ja Tillacks Buch sei in der Hinsicht gar nicht so blöd. Und dass das wichtig sei, zeige ja die Berufung des Lobbyisten Dieter Gorny zum Beauftragten für die digitale Wirtschaft durch den Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel.
Die argumentative Oberfläche
(1) Das ist ein unter Lobbyisten beliebtes Argument, man behauptet, es sei doch egal, ob man an das, wofür man eintritt, tatsächlich glaube oder ob man dafür einfach nur Geld bekommt. Und Interessen seien doch Interessen, gleich ob es dabei ums Geldverdienen geht oder um etwas anderes. Deshalb seien die Interessen, von sagen wir, Foodwatch und Craft-Foods als irgendwie strukturell äquivalent zu betrachten.
(2) Das dürfte nun eines der schwächsten Argumente aus dem lobbykritischen Baukasten sein, mit dem man sich beschäftigen kann, genau deshalb hat Wallrabenstein es ausgesucht. Das ist ein beliebter rhetorischer Trick, der so geht, dass man dem Gegner ein doofes Argument unterstellt, um es dann zu widerlegen. Natürlich ist klar, dass man mit solch Ständen auf Parteitagen nichts kaufen kann, was man damit aber kann, ist Stimmungen zu generieren. Wenn es beim Verband der forschenden Arzneimittelunternehmen Gummibären und bei irgendwelchen Dämmstoffleuten leckere Kekse und vielleicht noch gut trinkbaren Capuccino gibt, fängt man nicht an, deren Agenden zu promoten, aber nett ist das trotzdem. Dieses gedankliche Umfeld von Nettigkeit ist das, was Lobbyisten schaffen wollen.
(3) Mit diesem Argument gelingt es immer wieder, davon abzulenken, dass es einen Zusammenhang zwischen dem Standort im politischen Spektrum und der Anfälligkeit für bestimmte Lobbyinterventionen gibt. Nur sind diese Zusammenhänge eben nicht simpel linear, sondern komplex: Berufliche Affinitäten von Abgeordneten, deren Herkunftswahlkreise und vieles mehr spielen hier mit. Das gibt viele Gelegenheiten zum Vernebeln von Zusammenhängen. So mag die CDU das immer wieder mal gern, was Bauernverbände so finden, die SPD hat eine Schwäche für Dinge und Belange, die Gewerkschaften am Herzen liegen, wenn also die IG-BCE auf das Verstromen von Braunkohle und das Abbaggern von hunderten von Quadratkilometern (be-)steht, dann finden sich bei der SPD Viele, die das auch wollen … . Grüne hingegen haben eine Schwäche für Umweltverbände oder auch Tierschutzbelange z. B. von Labormäusen. Das kann dann schon mal dazu führen, dass eine Grüne Wissenschaftsministerin angegriffen wird, weil sie nicht genug dafür tut, Tierversuche zu verbieten. Inwiefern das funktional äquivalent sein soll zu den Interessen Dörfer abzubaggern, ist für mir nicht so recht zu verstehen. Es lässt sich auch nicht gleichermaßen mit all diesen Belangen Geld machen, mit Massentierhaltung und Braunkohleverstromen schon, mit Umwelt- und Labormausschutz nun eher nicht so. Als Konsument von Politik steht man am Ende vor der Wahl, welche Lobbyaffinitäten einem sympathischer sind.
Was der Artikel nicht diskutiert
Wallrabenstein fordert in dem Artikel ein Lobbyregister. Er weiß, dass er diese Forderung beruhigt aufstellen kann, weil die Regierungsparteien, insbesondere die CDU und aus Koalitionsraison auch die SPD dagegen sind. Nun meinte die CDU 2013 in einer Beantwortung der Wahlprüfsteinabfrage durch Lobbycontrol, es gebe bereits ein Lobbyregister, nämlich die „öffentliche Liste über die Registrierung von Verbänden und deren Vertretern“. Dies ist eine Liste von 831 Seiten, in der Verbände angeben, wer ihre Vorstände sind, wie viele Mitglieder und Mitgliedsorganisationen es gibt (nicht wer letztere sind) und was ihre Interessengebiete sind. Budgets. Mitarbeiterzahlen und andere Dinge, die wirklich interessant wären, wie die Verbindungen zu Public Affairs Firmen etc. sind in der Liste nicht aufgeführt. Zudem sind in der Liste nur verbandlich organisierte Lobbyakteure erfasst, nicht aber das Direktlobbying durch Unternehmen.
Aus all dem lässt sich schließen, so richtig Transparenz will zumindest die CDU da nicht und der SPD ist das Thema zumindest nicht wichtig.
Warum Lobbying, anders als die Branche meint, doch etwas anderes ist als politische Wissensvermittlung
Wallrabenstein argumentiert, Lobbying an sich sei nicht schlecht und es gehe dabei in der Hauptsache um Transparenz. Zunächst einmal ist es schwer, die Wirksamkeit von Lobbying zu beweisen, empirische Forschung tut sich schwer damit. Es steht zu vermuten, dass es eine Wirksamkeit geben kann, wie diese genau aussieht, ließe sich aber nur mit Hilfe von Political Workplace Studies, wenn man also PolitikerInnen über die Schulter gucken könnte, gewinnen, das geht aber aus verschiedensten Gründen nicht.* Es lassen sich also nur Vermutungen anstellen. Das will ich hiermit nun tun: Zunächst scheint es mir problematisch, dass Lobbying politische Willensbildung und Geld verkoppelt.
Wenn Lobbying Geld und Willensbildung in der Politik verkoppelt, dann besteht die Gefahr, dass die Verkoppelung von politischer Willensbildung und anderweitigem (z. B. unabhängigem wissenschaftlichem) Wissen geschwächt wird.** Das kann für die Leistungsfähigkeit politischer Systeme nicht gut sein. Es kann dann passieren, dass bestimmte Sachen als politisch unmöglich gelten, obwohl eigentlich jeder weiß, dass sie die einzige Möglichkeit bieten, ein bestimmtes Problem zu lösen. So etwas ist gut im Bereich der us-amerikanischen Gesundheitspolitik zu beobachten. Dort weiß zum Beispiel jeder, der es wissen will, dass eine Single Payer Option im us-amerikanischen Gesundheitswesen die wohl einzige Möglichkeit wäre, die dort exorbitanten Kostensteigerungen in den Griff zu bekommen, trotzdem denken alle, so was kommt nie. Dementsprechend konnte es die Versicherungswirtschaft durchsetzen, einen Verzicht darauf, sowie einen Verzicht auf jede Art staatlicher Konkurrenz zur Bedingung zu machen, überhaupt an der Diskussion über Obamacare teilzunehmen.***
Lobbyismus kann also zu politischen Immobilisierungen führen. Darin liegt ein schwerwiegendes Problem, weil politische und gesellschaftliche Entwicklungsperspektiven beschnitten werden. Insofern kann Lobbyismus der Korruption ähnliche Wirkungen entfalten. Dies ist auch wahrscheinlich, denn man kann Lobbyismus mit Recht als eine Fortschritts- oder Nachfolgeform der Korruption bezeichnen, denn dort, wo Korruption funktioniert, kann man ja direkt bezahlen und sich den ganzen Umweg über Verbände, Vertreter und Überzeugungsarbeit sparen. In so fern – und nur in so fern – hat Lobbyismus etwas gutes, im Ergebnis gut ist das aber trotzdem nicht.
Die strukturelle Parallele von Lobbyismus und Korruption wird dann noch größer, wenn man bedenkt, dass es sich für PolitikerInnen lohnen kann, auf lobbyistische Annäherungen einzugehen, weil, wenn sie dies tun, es leichter sein kann, gegenüber der Öffentlichkeit und anderen PolitkerInnen den Eindruck entstehen zu lassen, dass sie Dinge geregelt kriegen. Dies wiederum fällt leichter, wenn man bei den Spielern des eigenen Feldes beliebt ist. Insofern liegen korruptive Versuchungen darin, sich mit Lobbyisten gut zu stellen, und es geht gar nicht direkt um Geld dabei, sondern um Karriereaussichten, das ist wahrhaftig ein Teufelskreis.
*In Dave Eggers Roman The Circle beginnen PolitikerInnen damit, Kopfkameras zu tragen, sie gehen „clear“. Das funktioniert nicht gut und erweist sich zumindest in dem Buch als nicht unbedingt zielführend und demokratietheoretisch problematisch.
**Von Lobbyisten beigebrachtes wissenschaftliches Wissen gibt es natürlich auch noch. Wie schon in einem Blogbeitrag im November angerissen, gibt es Forschungsbereiche, in denen die Übergänge zwischen Lobby- und Forschungsaktivitäten fließend sein können, so z.B. in der Agrarforschung. Hier und genau hier, werden starke Drittmittelverflechtungen in der Forschung zu einem politischen Problem, weil man als Wissensnutzer, und das sind ja Politiker (sie wollen Wissen nutzen, um Mandate und Positionen zu behalten oder zu erringen) nicht mehr weiß, ob man hier wissenschaftliches oder doch interessenorientiertes Wissen zur Hand hat. In der Konsequenz leidet die gesellschaftliche Geltung von Forschungs- sowie Politikfeld.
***Im deutschen Gesundheitssystem weiß eigentlich auch jeder, dass ein duales System aus privaten und gesetzlichen Krankenversicherungen eine erhebliches Kostensteigerungsrisiko in sich birgt, egal, die Sache ist nicht verhandelbar.