Grüne Diskussionen über Gentechnik laufen in der Regel schleppend über viele Monate, gar Jahre. Die Neigung, sich des Themas anzunehmen, ist in Parteikreisen nicht besonders ausgeprägt, die Erwartung, auf Leute zu treffen, die meinen, es geben nichts zu besprechen, weil alles Relevante dazu gesagt sei, ist allzu realistisch. Kurzfristig sieht der Gegenstand nicht nach einem Thema aus, mit dem man Punkte sammelt, eher so im Gegenteil. Dennoch gibt es nun einen neuerlichen Aufschlag in Sachen Grüner Gentechnikdebatte. Ein Gruppe von knapp 20 Leuten (ich bin einer davon) hat ein Papier vorgelegt, das gegen den Grünen Unwillen zur Kenntnis zu nehmen, dass die agrarpolitischen Gewissheiten der frühen 1990er Jahre vielleicht nicht mehr der Richtstein wie man heute die Situation beurteilen kann, sein können, vorgelegt. Das Papier ist ein Apell, innergrüne Diskussionsweisen zu überprüfen und zu fragen, ob die in der Partei verbreiteten Bewertungen nach wie vor zu dem verfügbaren Stand der Technik passen. Schließlich diskutiert das Papier, inwiefern eine Regulationspraxis, die sich an alten materialen Strukturen orientiert, angesichts neuer nicht auch dazu führen kann, dass alte organisationale Strukturen gegenüber neuen Akteuren stabilisiert werden können, mit anderen Worten: Ob eine Regulationsweise auf Basis fast 30 Jahre alten Wissens, dafür sorgt, dass die Konzernstrukturen Zeit gewinnen, um auch die neue Technologie für ihre Interessen zu monopolisieren.
Zu erwarten war, dass Erwiderungen parteiidentitär und vor allem agrarpolitisch enggeführt ausfallen würden. Und, dass das Papier auf eine Rezeptionsweise treffen würde, die sich zwar auf Gentechnik in der Landwirtschaft konzentriert und in Bezug auf andere Themenfelder (Rote, Weiße Gentechnik) durchaus eine Ambivalenztoleranz aufbringt, aber eigentlich den Kapitalismus in der Landwirtschaft meint. Gentechnik würde damit zu einem symbolhaften Stellvertreter für Agrokapitalismus werden und mit der Vorstellung verbunden sein, dass ihre Vermeidung den Agrokapitalismus irgendwie kontrollierbarer machen würde. Weiterhin war ein slippery-slope-Argument zu erwarten, die These, dass es Einfallsschwellen gebe, deren Übertretung keinesfalls zugelassen werden dürfte und das jegliches Abwägen dabei Machenschaften der Agrokonzerne das Feld bereite. Beides wären traditionelle Topoi der den sog. Neuen Sozialen Bewegungen entstammenden technologiekritischen Diskurse gewesen. Eine Ähnlichkeit zur Grünen Homöopathiedebatte drängt sich nicht von Ungefähr auf, denn auch da ist immer wieder von „der Pharmalobby und deren Handlangern, die spalten wollten“ die Rede. Ähnlich wie da, scheint es auch beim Gentechnikthema um epistemische Tiefenstrukturen des Parteidenkens zu gehen. Kritisch gegenüber etablierten Expertenmeinungen zu sein, gilt als Grünes Wesen. Aus politisch psychologischer Perspektive geht es u. U. auch um Lebensleistungen derer, die Jahrzehnte damit verbracht haben Widerstand gegen „Genmanipulation“ zu organisieren. Wenn man Jahrzehnte damit verbracht hat, agrarische Gentechnik zu bekämpfen, ist allein schon der Versuch, um eine Diskussion darüber gebeten zu werden, eine Zumutung.
Dass allerdings ein Papier der Bundestagsfraktion binnen Tagen erscheinen würde, dieses fast alle eben aufgeführten Topoi abarbeiten würde, war dann doch fast überraschend. Das am 17.06 veröffentlichte Papier steigt mit einer Skizze aktueller agrarischer Problemlagen ein, um dann zu behaupten, es gebe da einige, die all diese Probleme mittels Gentechnik lösen wollten und zwar, indem sie dafür würben, Gentechnik weniger zu regulieren. Die Argumente dieser Leute seien einseitig entlang ihrer Profitinteressen ausgerichtet, weshalb ihre Schlussfolgerung wenig überzeugend seien. Grüne Politik hingegen sei immer vielschichtig und sehe niemals eine Lösung in nur einer Technik. Mit dieser Argumentation ist schon mal klargestellt: Leute, die das anders sehen, verfolgen Profitinteressen und sind vor allem nicht wirklich Grün. Danach folgen zwei etwas unvermittelt aufpoppende Besinnungsabsätze über Wissenschaft: deren Stimme sei ihnen wichtig in der Fraktion und viele Forschende teilten ja auch ihre Ziele heißt es weiter und Forschende debattierten über das konkrete Wie einer Regulation usw. Dann geht es noch ein bisschen um Drittmittel, Interessenkonflikte und Transparenz, um dann sich der Dollfrage zuzuwenden, ob eine Deregulierung, also eine „unkontrollierte Verbreitung“ gentechnisch veränderter Organismen verantwortbar sei“. Dann folgt erst mal die Retrospektive, was alles so schlecht gelaufen sei in den letzten Jahrzehnten, agrarisch gesehen. Im anschließenden Kapitel sind es dann auch die Agrarmultis, die sich schwer für CRISPR interessieren und sich bemühen, Regulierung wegzubekommen. Die Bezugnahme auf Multis und sinistere Akteure nimmt das Papier immer wieder vor und betreibt einigen Aufwand eine Wir-gegen-die-Stimmung zu erzeugen. Der Ton des Papiers ist irritierend: Es liest sich nicht wie ein politisches Papier, dass selbstsicher einen Gültigkeitstanspruch, nach Möglichkeit auch unter Verweis auf wissenschaftliches Wissen betonen will, sondern mehr wie ein Flugblatt, dass aus einer als machtlos wahrgenommenen Position heraus bekräftigen will. Es wird mit schlankem Fuß aufgestampft, fast schon trotzig wird eine auf parteiinterne Kommunikation gezielt, indem eine wir gegen die Konzerne Stimmung heraufbeschworen wird. Eine Referenz auf wissenschaftliche Forschung fehlt völlig, eigene Überzeugung scheint einer Mehrheit der Bundestagsfraktion vollends zu genügen. Mit keinem Wort geht das Papier darauf ein, dass im Rahmen des Grundsatzprogrammprozesses die Frage, wie Gentechnik differenziert bewertet werden kann aufgekommen ist, stattdessen betont das Papier, dass es unter den Deregulierern ja auch das Interesse gebe, den Einsatz von Gentechnik zu verschleiern. Auch auf eine Zukunftsperspektive verzichtet das Papier völlig, ein trotziges „alles muss so bleiben, wie es ist“ genügt, so dass ein Verzicht auf Zukunftsperspektiven als noch nicht einmal erklärungsbedürftig gesehen wird. Und schließlich ist die inkonsistente Regelung, nach der traditionelle Mutagenesegentechnik als risikoärmer gilt als Genomeediting aus Sicht des Papieres der Bundestagsfraktion nicht einmal der Rede wert.
Art, Stil und auch die Vehemenz der Reaktion der Bundestagsfraktion geben Rätsel auf und lassen darauf schließen, dass es befindlichkeitsorientierte Motivlagen gibt, die es zwingend erscheinen lassen, auf einer Ebene jenseits sachlicher Argumentation oder kühler Abwägung zu reagieren. Demnach wäre eine Anerkenntnis, dass mit der Erfindung des Genome Editing etwas Besprechenswürdiges geschehen ist, mit dem Eingeständnis der Zulässigkeit von Abwägung verbunden. Aber es scheint zentral, gerade diese nachhaltig auszuschließen. Gentechnik muss als etwas für Abwägung nicht Verfügbares perhorresziert werden. Von zentraler Bedeutung ist dabei ein Theorem des maximalen Risikos, das zumindest die Möglichkeit einer gentechnisch herbeigeführten Apokalypse an den Horizont malen muss. Das ist wichtig, weil es erlaubt, alle Argumentationen, die von kalkulierbaren Risiken ausgehen, zu delegitimieren. Was könnte schon ein Vorteil wert sein, wenn die Existenz der Natur auf dem Spiel steht? Weil es nicht gelingt, dieses Risiko konkret zu benennen, ist da dann immer wieder die schnelle Referenz auf Gene Drive, einen gentechnischen Ansatz, demzufolge Gensequenzen ganzer Tierpopulationen überschrieben werden sollen, zur Hand. Suggeriert wird dann, mit einem Ja zu CRISPR handele man sich auch Gene Drive, eine veritable Frankensteintechnik ein, als sei die Möglichkeit von Gene Drive ein prinzipielles Argument gegen CRISPR.
Das Theorem des maximalen Risikos ist aber auch aus zwei anderen Gründen wichtig. Zum einen erlaubt es eine analogistische Referenz auf die Anti-AKW-Bewegung. Auch da war der Hinweis auf die Gefahr eines apokalyptischen Ausgangs Kernelement des Erfolgs. Es gab dadurch kaum etwas abzuwägen oder zu verhandeln, die Technik musste weg. Und für die deutsche Situation ist das ja auch gelungen. Diese Möglichkeit, die Aussicht, die Hoffnung, Gentechnik wegzubekommen, liegt im Kern der Grünen Ablehnung gentechnischer Anwendungen. Der Verweis auf diesen Erfolg lässt es möglich erscheinen, dass das wieder gelingen kann, wenn man sich der Sache nur hinreichend gewiss bleibe.
Ein Problem der antinuklearen Analogie ist, dass dem deutschsprachige Anti-AKW-Diskurs nach fast 10 Jahren, in denen keine ernstzunehmenden Stimmen, die der Kernenergie das Wort redeten, zu vernehmen waren, intellektuell jegliche Übung abhandengekommen ist. Das nahezu vollständige Fehlen eines diskussionswürdigen Ökomodernismus hinterlässt seine Spuren, bzw. eben keine Spuren. Das epistemische Erlahmen des Anti-AKW-Diskurses macht sich bei seinen gentechnikkritischen Lehnformen bemerkbar und lässt den irrigen Eindruck entstehen, als sei die Beurteilung von Nuklear- und Gentechnik eine Frage von Links und Rechts, Grüner oder nichtgrüner Gesinnung. Insofern lauern Elemente eines Populismuspotentials in diesen Themen, weil sie geeignet sind, ein Wir und ein Die zu konzeptualisieren, das normativ aufgeladen wird: Grüne und Gute hier, Konzerne und ihre Handlanger da. Damit gespielt zu haben, muss man wie oben gesagt, auch der Stellungnahme der Bundestagsfraktion vorwerfen. Das ist deshalb schade, weil Populismus und Grüne Politik nach wie vor nicht zusammenpassen und Populismus immer noch eher auf der Seite der Probleme, nicht aber bei den Lösungen zu verorten ist. Bedauerlich ist die Reaktionsweise der Fraktionsmehrheit auch deshalb, weil wieder einmal nicht miteinander, sondern übereinander gesprochen wird, wie die Fraktionsmehrheit Argumente bewertet, wissen wir dadurch nicht. Keine Debatte ist damit weitergebracht.