Aus dem Green Paper, über das ich im Frühjahr dieses Jahres geschrieben habe, ist ein White Paper geworden. White Papers sind weitaus verbindlicher und stehen am Ende von Prozessen, die die britische Regierung Konsultationsprozess zu nennen geneigt ist. Die kritischen Stimmen aus dem Konsultationspozess sind weitgehend ungehört verklungen, das Papier heißt Success as a Knowledge Economy, angesichts dessen dass, das vorangegangene White Paper Putting Students at the Heart of the System jährliche Studiengebühren von bis zu 9000 Pfund erlaubte, ist das in Hinblick auf die Entwicklung Großbritanniens als Wissensgesellschaft vielversprechend. Der vom Titel angeschlagene 90er Jahre-Sound lässt so einiges erwarten.
Was steht nun drin, bzw. nicht drin? Wie schon beim Green Paper kommen Lehrende nicht vor. Beziehungen gibt es ausschließlich zwischen Studierenden und Hochschulen, Providern. Die können, so besagt das erste Kapitel, entscheiden wollen oder müssen, aus dem Markt auszutreten. Zurückliegende Leistungen sollen keine Rolle spielen, institutionelle Stabilität und Berechenbarkeit sind dem Papier keine bildungspolitischen Werte, im Papier heißt das history blind system. Die Idee, einen solchen geschichtsblinden Ansatz auch auf andere Politikfelder zu übertragen lässt noch einiges spannendes erwarten. Aus Sicht des White Papers bedeutet das, sich ausschließlich an gegenwärtigen Effizienzfragen, nicht jedoch an historischen Pfadabhängigkeiten zu orientieren.
In jedem Fall werden die Kosten solcher Politikexperimente privatisiert. Es wird insofern ein fiskalpolitisches Schwarzes Loch erzeugt, als vollkommen unklar ist, wie viel von den staatlich vorausgelegten Studiengebühren zurückgezahlt werden wird. Das wird definitiv zum einen staatliche Finanzpolitik restringieren, indem immer das Argument geführt werden kann, dass nur weniger als ein Drittel des vorgschossenen Geldes zurückfließt und deshalb Austerität angesagt ist. Die Absolvent*innen der Hochschulen der Hochschulen sind als ehamalige Kund*innen der Provider auf Lange Dauer mit Schulden versehen. Sie werden nicht zuletzt deshalb, ganz wie das Papier es will, ihre Hochschulausbildung unter einer Value for Money Perspektive betrachten.
Zum Gelingen dieser Betrachtungsweisen will das TEF, das Teaching Excellence Framework beitragen. Es stell deshalb in traditionell thatcheristischem Wording student choice in den Mittelpunkt, so wie das noch jede neoliberale Transformationsperspektive gleich für welches gesellschaftliche Teilsystem getan hat, stets heißt es solle (consumer) cohice ausgeweitet werden. Student Choice thatcheristischer Prägung bedeutet, das Verhältnis von Studieraufwand und späteren Jahresgehältern zu optimieren und genau diese Optimiertheit von Lehrenden und Lehrinstitutionen einzufordern. Lehrende sind dabei die Gegner, denn sie sind mit etwaigem Beharren auf Bildungsziele geneigt, diese Relation zu verschlechtern. Die gesellschaftsverändernden Wirkungen all dieser Kalküle sind in den Augen der britischen Regierung willkommen.
Man könnte nun annehmen, dass solche Perspektiven eines kulturrevolutionären Neoliberalismus durch das The Winner Takes it all-Wahlsystem Großbritannien erst ermöglicht werden. Schließlich waren dort die Tories in der Lage, eine innerparteiliche Kontroverse über das Verhältnis zur Europäischen Union zur Wegscheide für das ganze Land zu machen damit nicht nur den Bestand der EU, sondern auch den ihres eigenen Staates aufs Spiel zu setzen, von sozialer und wirtschaftlicher Wohlfahrt ihrer Volkswirtschaft ganz zu schweigen. Entgegenhalten muss man aber: In GB ist neoliberale Hochschulpolitik keine Tory-Sache; vielmehr war sie auch bei Blairiten und Liberalen konsensfähig. Bereits der unter der Labor-Regierung erstellte Browne Report enthält Argumentationen, die es weitestgehend unverändert bis ins White Paper geschafft haben. Damit stellt sich die Frage, welche Rolle Versatzstücke neoliberaler Hochschulpolitik auch in der restlichen EU anzufinden sind. Mit Sicherheit werden es im deutsprachigen Raum jeweils nur fahle Widerscheine sein, geben wird es sie aber trotzdem.
Vermittelt über das New Public Management sind sie (die Widerscheine) ohnehin da und finden in Papieren der Bertelsmann-Stiftung des CHE in Diskussionen über Studiengebühren immer wieder statt. In Deutschland wirkmächtig geworden sind sie im Rahmen einer Entleerung und Entbesonderung des Universitätsbegriffs, wie ihn die HRK während der 1990er und 00er Jahre vertreten hat, einer Entbesonderung, die sich alltagspraktisch in einer maximalen Entspanntheit im Umgang mit diesem Begriff äußerte. Auf den ersten Blick klang das hochschulpolitisch vernünftig, versprach es doch die Nivellierung der allzu oft auf hohle Weise zelebrierten Unterscheidung von Fachhochschulen und Universitäten. Es kam und kommt dabei allerdings auch viel Unsinn heraus, insbesondere ein unzuträgliche Ausfransung dessen, was man unter wissenschaftlicher Forschung versteht. Allzuoft haben vormalige Fachhochschulen gezeigt, dass sie dem Umgang mit diesen Grenzziehungen nicht beherrschen, wissenschaftliche mit plumper AuftragsF&E, Forschung mit Lobbyismus verwechseln. So nennt sich heute die Fachhochschule Frankfurt im Netz Frankfurt University, die Universität Frankfurt hingegen Goethe University Frankfurt, so etwas ist nicht unter allen Umständen hilfreich. Die von Jürgen Mittelstraß in der FAZ vor etwas mehr als einer Woche beklagte „Ideenlosigkeit“ der deutschen Universität ist danach kein Mangel, sondern die Idee ist, eben keine Idee zu haben. Eine Idee der Institution wäre auch nichts anderes als ein Hindernis in Hinblick auf die Adaption von Managementmethoden.
Die andere Idee, die Neoliberale von der Universität haben ist ihre Bürokratisierung unter dem Namen Hochschulmanagement. Die Bologna-Reform eigentlich kein neoliberales Projekt hat in ihrer deutschen Umsetzung für einen tremendösen Bürokratisierungsschub ungekannten Ausmaßes gesorgt, kaum je ist im Rahmen dieses Prozesses Bürokratie abgebaut worden. Lediglich die Kompetenz, Studiengangentwürfe kleinteilig zu berarbeiten ist aus den Wissenschaftsministerien der Länder in die Akkreditierungsagenturen (an Private also) abgeflossen.
In den Hochschulen boomt das administrative Geschäft, überall entstehen Stabsstellen für dieses und jenes, manchmal für Gutes, oft aber auch für Dummes. Immer wieder gibt es die Auffassung man müsse Wissenschaftler*innen mit Managementmitteln daran hindern, ihre Wissensvorsprünge in Hinblick darauf, was Forschung und Lehre tatsächlich sind, gegen die Organisationen zu verwenden, schließlich legt eine am Principal-Agenten-Modell trainierte Denkweise genau das nahe.
Ein anderer Widerschein schimmert im Kompetenzansatz, basierend auf der Idee man könnte, alles berufsverwertbar Wissenswertes in ein Rastersystem einordnen, aus dem sich jeder Studierende nach Bedarf zufriedenheitsmaximierend bedienen könnte, auf. Hier schimmert die consumer satisfaction des White Papers insofern durch, als auch hier Studierendenzentiertheit behaupter wird, das Problem ist allerdings das weitgehende Desinteresse des Kompetenzdenkens an individuellen Lernprozessen bei Studierenden, denn er geht davon aus, das jede und jeder in jeder Lehrveranstaltung das Gleiche lernt, dass objektivierbar sei, was man aus Lehrveranstaltungen mitnimmt. Das ist selbstverständlich nicht so. Insofern sitzt das Denken in Kompetenzen der gleichen intellektuellen Falle auf, die schon das Quantifizieren in ECTS-Punkten unsinnig hat werden lassen. Denn auch dort war die Annahme schon falls, jede und jeder brauche für den gleichen Lerninhalt das gleiche Kontingent an Zeit, um ihn sich anzueignen. Kompetenzdenken ist damit nicht intentional neoliberal, gleichwohl spielt es eine neoliberale Tonlage an, wenn es Wissensinhalte unter dem Aspekt der beruflichen Verwertbarkeit thematisiert.
Ebenfalls der Denkweise des White Papers anverwandt ist die Auffassung, dass in der Wissenschaft Kontinuität ein Unwert sei. Deshalb wird befristet, wo man kann, Festanstellung von Professoren wird als noch nicht zu beseitigendes Übel gesehen, dem man zwar nicht in toto beikommen kann, das man aber durch befristete an bestimmte Verhaltensmuster gebundene Zusatzmittel so einhegen kann, dass gewünschtes Verhalten dabei herauskommt. Dies ist mit hoher Wahrscheinlichkeit ein wesentlicher Stützpfeiler der Exzellenzstrategie(n). Dies würde erklären, warum Exzellenzdiskurse gegen wissenschaftliche Empirie so immun sind und die Informationslage über die wissenschaftliche Effektivität der Exzellenzförderung bislang so dünn ist. Denn dann wird die These plausibel, dass es dabei weniger um exzellente Wissenschaft, als vielmehr um exzellentes Beantragen geht.