Vor knapp vier Jahren hat George Whitesides der Leiter einer Chemieforschungsgruppe im amerikanischen Cambridge im Jahresvorschaueconomist 2012 einen kleinen Artikel über das Versprechen (so der Untertitel) einer kostenbewussten Wissenschaft (cost conscious Science) geschrieben. Warum das hierzulande Keinen interessiert, steht bereits im Artikel. Whitesides meint – ganz zu Recht – für die Metropolen des Westens wäre das nichts. Ich persönlich würde gar ergänzen, aus Wissenschaftsmanagementsicht wäre der Gedanke kostenbewusster Wissenschaft nachgerade wahnsinnig, denn als erfolgreich gilt es schließlich, das Ausgeben von möglichst viel Geld hinzubekommen.
In weniger entwickelten Ländern sehe die Sache allerdings anders aus, da brauche man jetzt brauchbare Lösungen, meint Whitesides, im Gesundheitsbereich z. B. und im Engineering. Wichtiger als Erfolg über Kostengenerieren sei da Erfolg dadurch, dass es tatsächlich was bringt, könnte man Whitesides ergänzen. Er scheint allerdings schon beim Schreiben gemerkt zu haben, dass die genannten Bereiche nicht Wissenschaften in etwa im Sinne von Disziplinen sind (das hat er offenbar bereits beim Schreiben des Artikelchens gemerkt). Er schlägt deshalb (intellektuell nicht besonders überzeugend) vor, eine neue Disziplin Frugalwissenschaften ins Leben zu rufen. Das soll eine Disziplin sein, die auf einem intellektuellen Verständnis von Komplexität und Einfachheit sowie auf Strategien einer Integration disparater (insbesondere ökonomischer(?)) Wissensbestände basiere.
Was gibt es nun in Sachen Frugalwissenschaft im weiteren Sinne? Es gibt ein Journal of Frugal Innovation, seit kurzem bei Springer Open. Dort sind seit November drei Artikel erschienen:Die Themen und Problemstellungen sind – wie zu erwarten war – im wesentlichen indische (Inclusive Innovation, elektrische Rickshaws, solarbetriebenes 3 D-Drucken). Google-Ngram-Suchen nach frugal science oder frugal innovation gehen noch nicht, weil es für das Instrument noch nicht genug Gedrucktes, das den Begriff enthalten würde, gibt. Es gibt randständige Fachdiskussionen auf Researchgate z. B. mit der Fragestellung „cheap science“ (mit etwa 75 Leuten, die der Diskussion folgen) und ein paar anderen Plattformen.
Abgesehen davon hat sich in der sogenannten Ersten Welt kaum jemand für das Konzept interessiert. Gleichwohl das Konzept trifft auch hier hier und da auf Beachtung. In einer Arthur D. Little Publikation mit dem Titel „The Future of Innovation Management“ (Prism 1/2011) wird Frugal Innovation als eine von fünf Innovationsmodellen betrachtet, auf die man wird achten müssen*. Die Arthur D. Little Autoren sehen Frugal Innovation in der Nachfolge von Reverse Innovation, die wiederum den älteren Ansatz, einfach veraltete Technologien in nichtwestlichen Ländern einzusetzen, ablöste. Im Unterschied zum älteren Technologieexportansatz, der Technologie von oben nach unten transferiert, soll Entwicklung von Anfang an für die Bedürfnisse weniger entwickelter Gesellschaften gemacht werden.
Cornelius Herstatt und Rajnish Tivari von der TU Hamburg-Harburg haben die Google- Scholar-Treffer gezählt und kommt zu dem Ergebnis, dass von 2009 bis Anfang 2015 die Trefferzahl von 10 auf 758 geklettert ist (heute am 20. Januar 2016 sind es 19.300), bei Google zählt er am 2. März 2015 123.000 (S. 2) (20. Januar 2016 462.000).
Frugale Innovation ist ihrer Ansicht nach der Versuch, Nutzen, Kosten und Ressourceneinsatz gleichzeitig zu optimieren, es gehe dabei nicht um die billigste, sondern die problemadäquateste Lösung. Hauptreiber wäre ihrer Ansicht nach der Wunsch eines Anbieters ein Produkt für das es kaum oder keine Zahlungsbereitschaft gibt zu entwickeln (4). Sie unterscheidet sich von der nicht selten aufgerufenen auch aus Indien stammenden Jugaad Innovation dadurch, dass es um bezahlbare Exzellenz und nicht um spontane Problemlösung gehe. Einen Bezug zu Reverse Innovation sehen Herstatt und Tivari auch, allerdings fehle der FI die Zwangsläufigkeit des Ost-West-, Süd-Nord Transfers und damit auch ein geographischer Determinismus, der Frugalität im Globalen Süden verortet. Yaser Bhatti stellt dann auch fest das Frugal Innovation dem Grunde nach kein indisches Konzept sei, und dass es Vergleichbares immer und überall gegeben habe(als Beispiel führt er ein aus der Zeit des 2. Weltkieges stammendes britisches Regelwerk für die Produktion von Zivilkleidung das CC 41 an)**.
Interessanter als die Abgrenzungen des Begriffs ist für mich die Frage, ob FI, sofern man Frugalität als relative Frugalität fasst, nicht auch eine Rolle auch in der europäischen Forschungspolitik spielt, ohne dass das jemandem bewusst wäre. Dort nämlich, wo es um richtige teure Großforschung geht. Die Vorhaben in diesem Bereich werden mit einem ständigen Fuß auf der Bremse gefahren und gesteuert, stets ist die Bereitschaft der fördernden Politik da, vielleicht doch schlusszumachen und auszusteigen. Projekthavarien kommen somit z.B. dadurch zustande, dass ein an der Projektsteuerung beteiligter Kostenreduktionen verlangt. So kam es auf der Iter-Baustelle zu einer (von vielen Verzögerungen), weil die European Domestic Agency (das ist die Schnittstelle zwischen der Europäischen Kommission und der eigentlichen Iter-Organisation) verlangte, dass das Betonfundament, das die Magnetfeldspulen tragen sollte nur halb so dünn wie geplant sein sollte. Daraus resultierte, dass das Iter-Engineering umplanen musste um das Gewicht anders zu verteilen, was zur Folge hatte, dass der Gebäudehüllenentwurf umgelplant werden musste etc… (S. 30). Die hier nun spannende Frage wäre, ob es gelingen kann einen frugalen Innovationsatz so aufzuschrauben, dass daraus ein vorausschauende und trotzdem auf Kostengünstigkeit achtende Projektsteuerung werden kann.
* Die anderen vier sind Customer Based Innovation, Proactive Business Model Innovation, High Speed Low Risk Innovation und Integrated Innovation.
**CC stand hier für controlled commodity und bezeichnete, dass ein damit gekennzeichnetes Produkt den Austeritätsrichtlinien entsprach. Das Regelwerk betraf Recyclingvorgaben und die Nutzung (besser Nichtnutzung) bestimmter militärkleidungsrelevanter Materialien wie Gummi, Leder oder Wolle, es war für mehr als zehn Jahre (bis 1952) in Kraft.