Vor zwei Tagen durfte der in der Sache schon notorische Roland Reuß im FAZ Wissenschaftsteil eine Thesensammlung zur Wissenschaftsfreiheit im Allgemeinen und einigem, was ihn sonst bewegt, veröffentlichen.* Die Thesen schießen – wie gewohnt – am Ziel vorbei, vermengen fragwürdige Behauptungen mit durchaus richtigen Allgemeinplätzen. Warum der Autor sich nicht in der Lage sah, einen richtigen Text zu schreiben, bleibt sein Geheimnis, vermutlich ging es darum Zeit zu sparen, weil die Thesenform das Entwickeln einer logischen Argumentation einspart.
Gegen die ersten acht Thesen mag man schlicht nichts haben, auch wenn es fraglich erscheint, ob in wirklich allen wissenschaftlichen Feldern die Zahl der Rezipienten wirklich so viel höher ist als die der Produzenten, aber das ist eine Nebenfrage. Wichtiger schien es Reuß hier gewesen zu sein, etwas zu suggerieren, insbesondere in der krönenden achten These, dort steht, es gebe in Deutschland „Übergriffe des Staates in den freien wissenschaftlichen Austausch“; Über- nicht Eingriffe nicht Einflussnahmen. Übergriffe sind per definitionem immer schlimm, ja sie sind – so geht es in These neun weiter – eine „Usurpation persönlicher Grundrechte“. Diese Usurpation manifestiert sich im staatlichen Vorschreiben wissenschaftlicher Kommunikationswege meint Reuß und steigert sich zu der These, Wissenschaftsförderung habe in demokratischen Gesellschaften Dissidenzförderung zu sein. Dabei ignoriert der großzügig die fundamentale Differenz zwischen demokratischen und nichtdemokratischen Gesellschaftsformationen, nur letztere können Dissidenz im Wortsinn hervorbringen, denn politische Opposition lassen sie nicht zu.
Wo aber fühlt sich Reuß unterdrückt, in eine Dissidentenrolle gedrückt (was nebenbei gesagt echte Dissidenten, die für ihre Überzeugungen politisch verfolgt wurden und werden veralbert, schließlich hätten/würden die sich freuen, eine Publikationsplattform wie die FAZ entern ja dort zum externen Hausautor in Sachen Verlagsinteressenkommunikation werden zu können)? Unterdrückungsinstanz ist das staatliche Wissenschaftskommunikationsmonopol heißt es in der Zwischenüberschrift nach These 16 (und in These 23). Dieses entsteht, weil die Verlage das Versagen universitärer Gremien kompensieren müssen, meint Reuß. Seine These – auf die Spitze gebracht besagt – ohne Verlage gebe es nichts Neues aus der Wissenschaft, weil Gremienkonsens sonst alles ersticken würde. Klingt auf den allerersten Blick nicht völlig unplausibel, ist es aber dennoch, weil Gremien nicht die Aufgabe haben über Wissensproduktion zu entscheiden.**
Dann geht es plötzlich weiter mit der Behauptung es geben einen Imperialismus naturwissenschaftlicher Veröffentlichungsformen (ab These 20). Das mag sein, dieser Umstand hat allerdings wenig, eher gar nichts mit der Frage freien Zugangs zu öffentlich finanzierter Wissensproduktion zu tun. Open Access nun sei nichts anderes, als das Vehikel des o. g. staatlichen Wissenschaftskommunikationsmonopols meint Reuß nun weite.
Im Schlussteil „Freie Verlage für freie Autoren“ malt Reuß das Panorama einer Vernichtung des freien Verlagswesens durch die Förderung von Open Access an die Wand, er meint das erscheine „in der Fluchtlinie der gegenwärtigen Politik der Wissenschaftsorganisationen möglich“. Hierin in der Möglichkeitserscheinung der Fluchtlinie der Politik staatsnaher Organisation sieht er Zensur, die was ganz schlimmes ist. Dass Zensur nicht gut ist stimmt, auch mit Einigem, was dann kommt, hat er Recht, das Problem bleibt nur, dass er nicht zu begründen vermag, dass es Zensur im Zusammenhang mit der Förderung von Open Access gibt. Aber auch hier zeigt sich die Aporie seines Denkens, indem er die seinerseits angenommenen Schäden durch Open Access Zwang mit denen durch das Ausbleiben einer postkapitalistischen Wirtschaftstheorie auf eine Ebene stellt. Hier schreibt jemand, dessen Argumentieren jegliches Maß verloren hat.
*Das steht hier online, leider bezeichnender- und/oder typischerweise nicht online ist der gute, differenzierte Artikel von Eric Steinhauer am gleichen Tag im Feuilleton zum gleichen Thema.
** Gremien in Verlagsorganisationen entscheiden aber sehr wohl über Fragen der Wissensdistribution, was erhebliche Folgen haben kann, wenn sich Verlage zunehmend zu konzernartig strukturierten Großorganisationen wandeln, die ihr Geld mit dem Aufstellen und Verwalten von Zugangsschranken zu mit öffentlichen Mitteln produziertem Wissen verdienen.