Im Dezember zwischen Weihnachten und dem neuen Jahr durchschwappte eine seltsame Diskussion das nachweihnachtlich dahinlullende Land. Privilegien für Geimpfte, die dürfe es nicht geben erschallte es breitflächig, Sonderregelungen für Geimpfte sollten sogar vielleicht verboten werden, fand der rechtspolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion ein Rechtsanwalt aus Emmendingen. Entstanden war damit eine Diskussion, so klebrig wie ein Popsong, eine Diskussion, bei der alle mitmachen konnten und sich alle hinter dem dahingeschmetterten „Keine Privilegien für Niemand“ versammeln konnten. Fast alle fanden, das sei irgendwie solidarisch, vermeide eine Spaltung der Gesellschaft. Leider rutscht dabei weg, dass die vermeintlichen Privilegien gar keine sind, sondern eigentlich Selbstverständlichkeiten, dass nicht sie als solche zu begründen wären, sondern ihre Verweigerung. Denn schließlich muss man als Politiker*in am Ende in der Lage sein, gegenüber einem Kneipenwirt oder Musiker begründen können, warum es unabdingbar ist, sie oder ihn weiterhin nicht seiner Arbeit nachgehen zu lassen, obwohl das in strengen Sinne gar nicht nötig ist. Daran dachte aber kaum jemand, stattdessen waren die Köpfe und Herzen voll von Erörterungen, warum es unmöglich sei, Geimpftsein zu kontrollieren (als gebe es keine Impfpässe), warum man zwischen Geimpften und Ungeimpften keinesfalls Unterschiede machen dürfe (als geschehe das beim Schnapsverkauf an Ü 18 Jährige nicht eh ,je und immer wieder). Als sei Ungleichbehandlung plötzlich etwas Schreckliches, was die Gesellschaft keinesfalls überkommen dürfe. Eine Idee, die ja auch schon deshalb verwundert, weil manche Privilegien ja auch durchaus was Gutes haben: So in etwa das Privileg für Krankenwagenfahrer*innen und Polizist*innen im Einsatz mit 70 Sachen und Blaulicht durch die Stadt zu fahren. Da weiß ich zu schätzen, dass das nicht auch für Jede und Jeden, die es eilig hat, gilt. Und auch, dass nicht alle als Ärzt*innen praktizieren können, finde ich ganz gut. So klebrig jedenfalls war dieses herzerfüllende Meinen, weil es einfach auch alle ansprach, diejenigen, die auch sonst das Wort Solidarität im Schilde führen, die die auch sonst nach Privilegien fahnden, aber halt auch die, die, die ein Problem mit infektionsschutzmotivierten Einschränkungen haben und nicht wollen, dass sie mit ihrer Haltung, sich nicht impfen zu lassen, Gegenstand von gesellschaftlicher Mißbilligung werden. Was war passiert?
Nun, der politische Diskurs hatte sich eine viral toxische Pfadabhängigkeit gebaut aus Harmoniesuchen und Opportunismus. Niemand sollte verärgert werden, weshalb unnötig früh beteuert wurde, dass an eine Impfpflicht keinesfalls gedacht würde, als handele es sich bei der derzeit grassierenden Pandemie nicht um den schlimmsten gesellschaftlichen Stresstest dieser Jahrzehnte. Nach einem politsystemisch vergurkten Sommer, nach einem Wiederholen der Sommerfehler mit einer absurden Weihnachtsdiskussion, die einen halbherzigen Maßnahmenkatalog zusätzlich restringiert hatte und es somit erst recht notwendig machte, kurz vor Weihnachten Dinge beschließen zu müssen, die absolut niemand wollte, tritt der politische Diskurs nun in eine weitere Phase ein, die ungeeignet ist, der Pandemie Einhalt zu gebieten. Wir reden darüber, warum es auf keinen Fall geboten sein soll, Leuten die sich impfen lassen durften und von denen wir dann hoffentlich in naher Zukunft wissen werden, dass sie niemanden anstecken können, zu erlauben, auf normale Weise am Leben teilzuhaben. Als sei es politisches Ziel, solange nicht alle alles können, immerhin alle nichts können zu lassen. Auch, als sei es eine Option, Theater, Kinos, Museen, das Berghain, das Eisen, den Tower und die Schwankhalle zuzulassen, bis die Gefahr für alle vorbei ist. Also realistischer Weise wohl bis April/Mai 2022?
Wäre es ein politisches Ziel, möglichst viele Impfskeptische in Ruhe zu lassen, möglichst wenige zu impfen und zugleich eine nachhaltige Strukturbereinigung im Kulturbetrieb zu induzieren, müsste man es genau so machen. Und, wäre es ein Ziel, Covidioten Gelegenheit zu geben, diejenigen, die sich aus Gründen nicht impfen lassen können, vorzuschieben, um selbst Impferwartungen unterlaufen zu können, wäre das auch ein geschicktes Vorgehen. Blöd nur, dass so niemandem geholfen ist. Denjenigen, die sich nicht impfen lassen können, wird eine vernünftige Diskussion verweigert, wie kulturelle Teilhabe für sie aussehen könnte, solange die Gefahr nicht weggeimpft ist, weil covisionäre Spinner*innen den Diskurs vernebeln und weil „die Politik“ sie als vergleichsweise kleine Gruppe alleinlässt. Die politisch verbreitete Haltung, den Leuten bloß nicht zuviel abzuverlangen, weil ihnen ja schon genug zugemutet sei, zieht somit Kollateralschäden nach sich.
Wie groß die Gruppe derer ist, die auf Dauer nicht geimpft werden können ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht klar, sicher ist allerdings, dass das Leute betreffen wird, die eine Krebserkrankung hinter sich oder eine Schwäche des Immunsystems haben. Auch Kinder und Jugendliche unter 16 und Schwangere können bis auf Weiteres nicht geimpft werden. Einiges davon ist also vorübergehend, in einigen Fällen handelt es sich bei solchen putativen Ausschlüssen schlicht um Vorsichtsmaßnahmen, weil noch nicht genug Spezialdaten vorliegen.
Überhaupt scheint die Virulenz der Diskussion ein Kind der Situation jetzt zu sein. Nicht nur, dass die Ablehnung von Impfprivilegien die Woken und die Tumben auf schräge Weise zu einen scheint, es spricht auch vieles dafür dass sich viele der in dieser Diskussion beschworenen Probleme gar nicht stellen werden, wenn zum einen klar ist, was die Impfung denn tatsächlich bewirkt und zum anderen genug Impfstoff für all die da ist, die welchen wollen. Dann bleiben am Ende die, die keinen Impfstoff wollen, weil sie vielleicht finden, dass der Stress der anderen das vermeintliche Risiko und einen halben Tag Kopfschmerzen nicht lohnt und so weiter.
Zwei Artikel im Verfassungsblog haben jedenfalls schon viel dafür getan, den Geist vom klebrigen Privilegienverdruss zu befreien. Franz-Josef Lindner hat darauf hingewiesen, wie sonderbar ein Solidaritätsbegriff ist, der für sich eines Bekenntnisses zu Selbst- und man muss auch sagen Fremdkasteiung bedarf. Und dann haben Lamia Amhaouach und Stefan Huster auf die Absurdität des Gedankens, die Priorisierung beim Impfen würde dann nicht mehr akzeptiert werden, wenn Geimpfte sich nicht wie Ungeimpfte an sämtliche Einschränkungen hielten, hingewiesen. Als hätten die, für die es aktuell noch keine Impfangebot gibt, so etwas wie ein verbrieftes Recht, denen, die aus guten Gründen beim Impfen vorgezogen sind, das Geimpftsein zu missgönnen. Das wäre ungefähr so, als würde ich mich ab morgen mit, die Ungerechtigkeit des früheren Geimpftwerdens anprangernden Transparenten, vor ein Seniorenheim stellen.
Und bei all dem ist man noch gar nicht bei Konsequenzen aus individueller Impfverweigerung angelangt, die es ja, so haben Politikbetreibende aller Fraktionen beteuert, nicht geben dürfe, weil das ja ein „Impfzwang durch die Hintertür sein wird“, denn freiwilig ungeimpfte Covidioten werden verlangen, alles zu dürfen, was sie nicht können, solange nicht jede Gefahr, mit Covid 19 infiziert zu werden, für alle vorbei ist. Und sie werden keine Gelegenheit verstreichen lassen, daran zu erinnern, dass die Regierung ihnen genau das versprochen habe. Ich weiß halt auch nicht, was Politiktreibende da dazu veranlasst hat, den Tumbesten unter den Querdenkenden Einfluss auf politische Meinungsbildung einzuräumen. Wir werden sehen. Es bleibt zum Schluss halt die Erkenntnis, wie systemrelevant das Verfassungsblog ist.