Die Aufregung der vergangenen Woche über vermeintliche „Fake Science“, besser adressiert mit dem Terminus „predatory journals“ wirft ein Schlaglicht auf das Verhältnis von Wissenschaft und Organisationen. Dabei fällt auf, dass Wissenschaft zwar organisierter Erkenntnisgewinn, selbst aber keine Organisation ist, dass sie für niemanden direkt adressierbar ist und die Gesellschaft deshalb Organisationen erschaffen hat, mit deren Hilfe Wissenschaft adressierbar wird. Zuvorderst sind da die Universitäten zu nennen, in zweiter Linie die Forschungsorganisationen (Max Planck, Helmholtz, Leibniz etc.) und ihre Institute. Dies Einrichtungen verkörpern für die Gesellschaft Wissenschaft, adressiert werden sie über Ansprache und besonders und zuallererst über Geld, Grund- und Projektmittel.
Dann gibt es da Organisationen, die dem Wissenschaftsbetrieb etwas verkaufen (Geräte, Metalle, Apparaturen, Chemikalien, und vor allem Bücher und Publikationsprozesse) und Organisationen die auf diverse Arten versuchen mit dem Aufruf von Wissenschaftlichkeit Geld zu verdienen (Studienanbieter, Privathochschulen, Berater, Planungs- und Ingenieurbüros, Gutachter, Rechtsanwälte etc.), die Übergänge zu Professionen sind da durchaus fließen. Viele dieser Akteure haben Teil am wissenschaftlichen Diskurs, manche von ihnen auf eine predatorische wenig redliche Weise und auch hier sind, wie sich gerade zeigt, die Übergänge fließend. Warum sollte man eine Organisation, deren Geschäftsmodell darin besteht, öffentliches Geld in privates zu verwandeln und Leute am Zugang zu Wissen zu hindern, als nicht predatorisch bezeichnen? Zwar führen die Organisationen, um die es hier jetzt gerade geht, ordentliche Auswahlprozesse, welche eingereichten Manuskripte sie annehmen, durch, aber sie tun dies unter Rückgriff auf öffentlich bezahlte Arbeitszeit ihrer GutachterInnen, um dann die Produkte dieses Bemühens, den Organisationen, die diese GutachterInnen bezahlt haben, zu überhöhten Preisen zurückzuverkaufen. Das ganze tun sie auf Basis der Logik wachstumsorientierter Kapitalgesellschaften mit Sitz in vorzeigbaren Metropolen des globalen Nordwestens. Deshalb müssen die Preise dieser Abonnements in eskalativer Weise steigen.
Vor dem Hintergrund solch ertragreicher Geschäftsmodelle ist es nicht allzu verwunderlich, dass Leute aus Indien, den Golfstaaten oder Südostasien auf die Idee kommen, von diesen tollen Erträgen auch etwas abhaben zu wollen. Also besorgen sie sich einen Briefkasten in New York, ein Büro in Mumbai und setzen eine Webseite auf, die Zeitschriften und Konferenzen auflistet. In einem national und disziplinär differenzierten und segregierten, von phantastischen Ungleichheiten gekennzeichneten Wissenschaftssystem finden sie schon jemanden, der auf ihre Angebote eingeht. Dies geschieht zum Teil aus Unerfahrenheit, zum Teil aus Dummheit, zum Teil aus Gier oder Skrupellosigkeit. Von der Wissenschaftspolitik immer wieder kommunizierte Tonnenideologien, die nicht nach qualitativen Aspekten von Veröffentlichungen fragen, tun ein erleichterndes Übriges.
Es sieht derzeit so aus, als hätten bestimmte Fächer und Disziplinen ein größeres Problem mit solchen Organisationen als andere. Dies sind primär anwendungsorientierte Fächer, die nicht so tief in de Strukturen des Wissenschaftssystems eingebunden sind, und mehr wissenschaftsexterne, praktische als –interne Beziehungen aufweisen und gleichzeit von einem Massenbetrieb geprägt sind. Dies sind einige Ingenieurfächer, Wirtschaftsingenieurwesen und möglicherweise Teile der Planungs- und Umweltwissenschaften. Meistens sind es auch Fächer in deren Kultur die Selbstreflexion nicht allzu verbreitet ist und die eine gewisse Empfänglichkeit für oberflächliche Renommierrituale haben. M. E. lohnt es sich das noch einmal genauer, als es in der Berichterstattung dieser Wochen der Fall war, in den Blick zu nehmen.
Die beste Visualisierung die ich in Bezug auf das Verhältnis von Wissenschaft und Organisationen gesehen habe, stammt aus einen Vortrag des Wissenschaftssoziologen Jochen Gläser. Dort sah man eine Wissenschaftswolke auf der wie Reiterchen eine Reihe von Organisationen sitzen: Die Universitäten, die Forschungsgemeinschaften mit ihren Instituten, die Verlage, die Firmen. Viele dieser Organisationen versorgen das Wissenschaftssystem mit Geld und Strukturierungsleistungen, andere saugen aus dem Wissenschaftssystem Geld heraus. Es lohnt sich genauer hinzugucken, wer das was aus welchen Gründen macht, was die Geschäftsmodelle sind. Das wäre eine Aufgabe für einen guten Wissenschaftsjournalismus, der mehr macht als Selbstbeschreibungen von WissenschaftlerInnen oder ihren Organisationen aufzugreifen. Wenn das passieren würde, wäre die Verwunderung über Auswüchse vielleicht auch nicht ganz so groß, wie in den vergangenen Wochen.