Steve Fuller hat ein neues kleines Buch vorgelegt The Academic Caesar, das Buch schließt an zwei seiner älteren Bücher The Governance of Science (2000) (Einleitung, Inhaltverzeichnis und die ersten 1,5 Kapitel hier) sowie Knowledge Management Foundations (2002) an. Trotz des etwas albernen Titels, der es vielen leicht machen wird, das Buch als Beitrag zu hochschulpolitischem Autoritarismus abzutun, geht es dort um Ernsthaftes*, nämlich um die Frage, welchen Mehrwert Universitäten in einer Wissensgesellschaft schaffen und wie ihre Führung dazu beitragen kann, dass der Mehrwert sich tatsächlich realisiert. Das Thema wird zumeist unter dem Begriff Academic Leadership abgehandelt, in Deutschland ist das eher ein Unthema, mit dem sich kaum jemand beschäftigen mag. Auf der linken Seite des Hochschulpolitischen Spektrums, ist das so, weil es zunächst einmal wenig Demokratisierungsperspektive vermittelt, Befürworter*innen einer unternehmerischen Universität hingegen, stören sich am Academic, denn sie meinen zu wissen, was Leadership und Entrepreneurship bedeuten: Management. Einen Begriff davon, was und aus welchen Gründen eine Universität machen oder unterlassen sollte, und worin ihr sozialer Mehrwert besteht, haben viele Freunde der unternehmerischen Universität nicht. Demzufolge gibt es zum Thema nicht viel, gefühlt etwa eine Habil (Bernd Kleimann vom DZHW vormals HIS) sowie einige Aufsätze von Michael Daxner und etliche Reden und kürzere Texte von Hans Weiler (bei letzteren handelt es sich ganz überwiegend um Vorschläge zu einem Konzepttransfer aus den USA). Im angloamerikanischen Sprachraum ist das anders, dort gibt es eine eigenständige Literaturgattung, die Präsidentenliteratur, in der Academic Leadership zum Thema gemacht wird.
Das Startkapitel von Fullers Buch, überschrieben mit dem Titel „University Leadership in the twenty-first century. The Case for Academic Caesarism“ versucht zuerst, den titelgebenden Begriff zu fassen, indem es zunächst auf die Parallelität von Staats- und Universitätsentstehung – so wie Fuller das versteht – eingeht. Staat – genauer Stadtstaat und Universität – seien zeitlich etwa parallel zueinander in gleicher Weise im Rahmen des mittelalterlichen Römischen Rechts entstanden, als urban ortsgebundene Gesamtheiten (Universitas), als Corporationen, also nichtnatürliche Personen, die Fürsten, Kaiser und Kirche gegenüberstanden. Dieser Entstehungszusammenhang sei heute dadurch verschleiert, dass die meisten derzeit außerhalb der USA bestehenden Universitäten durch (National‑)staaten gegründet worden seien. Als Corporationen hatten die mittelalterlichen Universitäten eine Autonomie aufzuweisen gehabt, die von der personalen Autonomie ihrer sie jeweils konstituierenden Mitglieder unabhängig war. Autonomie bezieht sich auf das Recht, Mitglieder selbst auszusuchen und eigene Themensetzungen vorzunehmen, manchmal war sie auch auf ökonomische Bezugsrechte (Pfründe, Landbesitz, Besitz von Städten o. ä.) bezogen. Eine Parallelität von Staat und Universität sieht Fuller heute in so fern wieder, als beide aus neoliberaler Perspektive kritisiert und in ihrer Bestandslegitimität in Frage gestellt werden, beiden wird nachgesagt, ineffiziente, überkommene Institutionen der Vergangenheit zu sein.
Cäsarismus nun markiert diejenige historische Übergangspassage eines Herrschaftsmodells in deren Rahmen eine Republik in ein imperiales Konstrukt übergeht, der Begriff steht historisch für eine Art benevolenten Autoritarismus als nette Alternative zur Tyrannei.[1] Fuller argumentiert hier funktionalistisch, indem er sagt, ab etwa 50 b.c. sei das Römische Reich als Republik im Rahmen einer republikanischen Struktur von Herrschaft kaum mehr regierbar gewesen, und heute sei das mit der multiversen ausgedehnten Universität ebenfalls der Fall. Er spricht von academic imperalism und meint damit, dass die Universitäten eine Reihe von hauptsächlich sozialen Staatsfunktionen und -aufgaben übernommen hätten, im Gesundheitswesen, im Bildungsbereich, als Dienstleistungsinstitutionen oder auch als regionale Entwicklungsagenturen.
Unglücklicherweise sagt Fuller dann, paradigmatisches Beispiel für einen Academic Caesar (AC) sei Larry Summers (Ökonom, unter Clinton US-Wirtschaftsminister, danach Harvard-Präsident, aus dieser Funktion wg. geschlechterpolitischen Fehlverhaltens vor zehn Jahren zurückgetreten). ACs jedenfalls sollten, wenn aktuell auch keine praktizierenden Akademiker*innen, Leute sein, die hinreichend der akademischen Kultur verbunden sind (1.), die (2.) in der Lage sind, die Belange ihrer Institution unabhängig von den Belangen ihrer Konstituenten zu formulieren, und (3.) imstande sind, Wertewidersprüche der akademischen Welt zu balancieren, (4.) sollen sie externe und interne Konstituenten auseinanderhalten können und die externen daran hindern können, im inneren herumzupfuschen (5.).
Das sind eine Menge schöne Ziele. Von hier beginnt Fuller nun eines seiner immer wieder gern gemachten Sprach- und Wortspiele, indem er Universität als einen Kirche-Casino-Hybrid einführt, der ein vatikanisches Gesicht, aber ein (las-)vegasisches-Herz haben sollte. Kurz gesagt – meint er –, sei es Aufgabe des AC, die Autonomie seiner Institution so aufrechtzuerhalten, dass die materielle Basis für das angesichts der Bedingungen maximalmögliche intellektuelle Abenteuer geschaffen wird. Mit dem lasvegasischen Herz meint er, dass ACs gegenüber Geldgeber*innen durchsetzen sollten, dass diese eine Entkoppelung von Geldgabe und Ertrag hinnehmen. Das geht am ehesten auf Basis von Glauben an eine Sache, dies ist ein Element des Kirchenbezuges, den Fuller in Bezug auf Universitäten aufmacht.
Wie auch immer es um die politische Ökonomie der Universität bestellt sein mag, Fuller meint, dass sie nicht am Modell moderner Industrie orientiert sein sollte. Um Produktivität im Sinne maximalen Ertrages aus minimalem Einsatz geht es dabei nicht. Die wesentlichen wissenschaftspolitischen Indikatoren würden ohnehin auf pure Produktion abzielen, politisch zählt eigentlich nur die bloße Zahl. In diesem Sinne seien die USA das akademische Weltzentrum, nicht allerdings, was Produktivität angehe, da weise England die wohl deutlich besseren Werte auf, gleichwohl entsteht in den USA mengenmäßig die meiste Forschung.
Der beste Weg für einen Staat, der seinen Humankapitalstock aufstocken will, um ökonomisch wachsen und am Weltmarkt verstärkt partizipieren zu können, liege ohnehin eher darin, Geld in den primären und sekundären Bildungssektor zu stecken, wenn nötig auch auf Kosten eines tertiären und originärer Forschungssektors. Und wenn ein Staat aus dieser Motivlage heraus überhaupt Geld für den tertiären Sektor ausgebe, dann am besten dahingehend, dass Verbindungen zwischen Wissenschaftler*innen und Leuten, die in der Lage sind, aus Ideen vermarktbare Konzepte zu entwickeln, geschaffen werden. Vorbildinstitute in der Forschung, oder Patente, bzw. deren relative oder absolute Menge würden in diesem Zusammenhang eine lediglich untergeordnete Rolle spielen. Vermutlich sei es darüber hinaus nötig, die Varianz akademischer Gehälter groß werden zu lassen, und vielleicht wird es dazu kommen, dass Universitäten ihren Not-For-Profit-Status in Frage stellen, vorausgesetzt es gelinge ihnen, ihren Alumni den Eindruck zu vermitteln, Shareholder zu sein und ihre Mitglieder als Angestellte zu behandeln.
Gleichwohl, einfach nur Kapital (im Sinne von sozialem Handlungsvermögen) bereitstellende Institutionen seien Universitäten nicht, weder was Human- noch was Geld oder dingliche Kapitalsorten betreffe. Vielmehr gehe es darum, die Einsichten von Wilhelm von Humboldt und Josef Schumpeter zu kombinieren: Universitäten sollten zu kreativen Zerstörern sozialen Kapitals werden. Dieses soziale Kapital haben andere zunächst nicht, so dass der Kapialbesitzende es verwerten könnte. Würden Universitäten nun nur forschen, dann seien sie bloß eine Art Orden bestenfalls ein zukunftszugewandter Geheimbund, die Lehrfunktion aber sorge dafür, dass soziales Kapital insofern zerstört wird, als vormalig von Wenigen innegehabtes Wissen an Viele verteilt wird. In der universitären Lehre gehe es nun darum, die sozialen Kosten des Erwerbs forschungsbasierten Wissens, für die Studierenden niedriger zu machen, als für seine EntdeckerInnen, auf diese Art komme Entwicklung, so etwas wie Fortschritt in die Gesellschaft, weil die Erwerber*innen des gelehrten Wissens wiederum Kapazitäten frei haben, auf Grundlage des Gelernten Neues zu entwickeln.
Dieses Zusammenfügen von Humboldts und (faktisch) Schumpeters hundert Jahre später aufgeschriebenen Gedanken habe die Universitäten nach 1800 aus einem Traditionalismus herausgeholt, der darin bestanden habe, im weiteren Sinne Nachwuchs für Administrationen auszubilden, für die Administration des Staates (Juristen), die Administration der Körper (Mediziner) und die Administration des Glaubens, Denkens der Seelen (Theologen). Für Innovatives sei da aber lange kein Platz gewesen, und tatsächlich spielten die Universitäten des 17. und 18. Jahrhunderts für die Produktion neuen Wissens kaum eine Rolle. Bei der posthumboldtschen Universität sei das dann aber anders gewesen, weil sie ihre Lehrfunktion auf die nichtadministrativen vormals unteren Fakultäten ausgedehnt habe und sich darauf konzentriert hätte, ideale Staatsbürger auch außerhalb der administrativen Ränge hervorzubringen. Dieses Vorhaben sei – und hier kommt einer der stärksten Gedanken in Fullers Text – dem Prinzip nach auf die Inklusion aller Menschen orientiert. Es gibt keine logischen Gründe, warum sie sich der Anspruch idealer Bürger werden zu können ausschließlich auf Männer, Weiße oder Elitenangehörige beziehen sollte. Daraus ergibt sich, dass die Universität sich öffnen, und das ist für die auf soziale Gerechtigkeit abzielende Diskussion besonders wichtig, aktiv auf eine Öffnung hinwirken muss. Affirmativ Action und positive Diskriminierung von nichtweißen Studienbewerber*innen lägen damit in einer institutionellen Entwicklungslogik, die organisationale Optimierungs- oder Kosteneinsparungsorientierungen transzendiert.
Spannend an Fullers Überlegungen ist, dass im Rahmen seiner Perspektive, Universitäten zu Generatoren sozialer Dynamik werden können. Sie verteilen Wissen um, und in der Konsequenz gilt das auch für Lebenschancen. Sie verbinden Wissensgenerierung mit seiner Dissemination, Wissensgenerierung wird erst durch die Verbindung mit ihrer Dissemination in einen demokratischen Gesellschaftszusammenhang eingebracht. Die Wissensdissemination hingegen wird erst durch die Verbindung mit der Wissensgenerierung in einen Innovationszusammenhang einbezogen. In solch einer Verknüpfung liegt viel politisches Potential, denn undemokratische gesellschaftlich verantwortungslose Wissensproduktion hat es in der Vergangenheit genug gegeben, nichtinnovative Wissensvermittlung auch. Aber eine Produktions-Verbreitungs-Verknüpfung wie sie Fuller hier im Anschluss an Humboldt und Schumpeter vorschlägt kann für nichtstagnative Verhältnisse sorgen und die Neuerungsblockaden der Vormoderne und Gerechtigkeitsprobleme der Moderne überwinden helfen. Erneuerungen von Curricula lassen sich mit Organisationsarbeit vermutlich nicht verlässlich garantieren, durch seine Verknüpfung von Wissensproduktion und Wissensdissemination wird es sie aber gleichsam automatisch geben. An diesem Punkt liegt schließlich die schwerwiegendste Blindstelle der Idee, die Universität, durch vermeintlich effizientere Lehr- und Forschungsorganisationen ersetzen zu wollen.
Nicht minder wichtig ist, dass die Verbindung von Forschung und Lehre aus dieser Perspektive mehr ist als ein historischer Tatbestand, der vielleicht überwunden werden kann, wenn Wissenschaftsorganisation konsequent auf ihre Ziele ausgerichtet werden. Es wird dann auch deutlich, dass er kein Effizienzhindernis bei Einzelprozessen, sondern Grundbedingung der gesellschaftlichen, sozialen Grundfunktion von Universitäten ist.
Aus meiner Sicht störend ist, dass Fuller meint, ein an einer Verbesserung seiner Weltmarktpositionierung interessierter aufholensorientierter Staat könnte auf eine eigene Wissensproduktionsfinanzierung, Hochschulen und Forschung weitestgehend verzichten. Das könnte Sinn machn in Staaten der Dritten Welt, in denen es relevante Forschung nicht gibt, für Staaten, in denen das anders ist, wäre das m. E. aber ein abwegiges Vorgehen. Der Gedanke scheint mir auch zu sehr an einem us-amerikanischen Ausgangspunkt orientiert, der eine zivilgesellsellschaftliche Finanzierung von wissenschaftlichen Hochschulen kennt, denn in nichtangloamerikanischen Gesellschaften, die diese nicht kennen, würde das auf einen weitestgehenden Verzicht auf wissenschaftliche Wissensproduktion für einen öffentlichen Güterbestand hinauslaufen. Für demokratische, gesellschaftlich egalitär orientierte Staaten der entwickelteren Welt scheint mir das kein gangbarer Weg zu sein.
*Allein deshalb ist es bedauerlich, dass Sage meint, das nicht einmal 200seitige Buch zu einem Preis von 45,- € auf den Markt bringen zu müssen. Dies zeigt wieder einmal, warum es gut wäre, wenn dieser Verlag künftig eine kleinere Rolle im wissenschaftlichen Publikationswesen spielen würde.
[1] Den Begriff führt Fuller an anderer Stelle auf Max Weber zurück. Weber verwandte den Begriff zunächst im Zusammenhang seiner Kritik an Otto von Bismarcks Politikstil, bezog sich aber nach 1920 zunehmend positiv auf Cäsarismus und sah darin eine Perspektive, Probleme des Parlamentarismus der Weimarer Zeit zu überwinden.