Auf der Bundesdelegiertenkonferenz der Grünen vor nicht ganz zwei Wochen hat Dieter Zetsche, Vorstandsvorsitzender der Daimler AG eine Rede gehalten. Ob er das tun soll, war strittig. Ob es einem Erkenntnisgewinn nutzen würde auch. Für die Partei wäre seine Rede Gelegenheit gewesen zu erfahren, wie sich ein wichtiger Industrievertreter die Zukunft vorstellt. Für ihn wäre es ebenfalls Gelegenheit gewesen, Zukunftsvorstellungen zu entwickeln, zu zeigen, dass auch jenseits des Bündnisses mit CDU und IG-Metall die Autoindustrie andere Ideen hat, Politik für ihre Belange zu gewinnen. Und er hätte zeigen können, dass man sich keine Sorgen machen muss, dass man, wenn man sich nicht gegen das stellt, was die Autoindustrie will, mit dazu beiträgt, dass die deutsche Schlüsselindustrie den Weg großer auch ehemals ein Technologiefeld dominierender Unternehmen wie Kodak geht. Für alle, die erwartet oder erhofft hatten, dass Zetsches Auftritt in der Sache Erhellendes beitragen würde, war der Auftrag eine Enttäuschung, für diejenigen, die erwarteten, dabei käme ohnehin nichts raus, war er eine Bestätigung.
Was hat er nun gesagt und wie ist das zu deuten. Eröffnet hat er mit einer Parallele von Ausladungsdiskussion (der Diskussion, ob er denn überhaupt reden sollte) und dem Beschießen von Autofahrern Anfang des 20. Jahrhunderts. Zweck dieser Parallelisierung war es, die Aussage rüberzubringen, die Automobilindustrie sei schon immer und auch jetzt auf der Seite des Fortschritts, der Modernisierung und nicht etwa auf der Seite untergehender soziotechnischer Arrangements gewesen. Dann erklärt er Zustimmung zu dem Satz, dass die Automobilwirtschaft nur dann eine Zukunft haben werde, wenn sie Fahrzeuge ohne CO2 Ausstoß entwickeln wird; er kokettiert bei diesem Satz damit, dass Grüne ja wohl von einem Vertreter der Autoindustrie etwas anderes erwarten dürften. Es ist nichts Neues, wenn ich hier anfüge, dass solche Rhetorikspiele, das Appellieren an kontrafaktische Erwartungen nichts Neues sind.
Man sagt der Autoindustrie ja ständig nach, sie habe alles Mögliche verschlafen, sagt er dann, um darauf mit einer Nennung all der neuen Sachen, die sie machen, zu antworten: man kümmere sich um ganzheitliche Moblilitätsökosysteme, kurz um Ökosysteme. Insbesondere die Betonung auf dem Öko soll der Grünen Seele Wohlgefallen bereiten, seine RedenschreiberInnen müssen gedacht haben, dass man so das BDK-Publikum für ihn einnehmen kann. Dann nennt er drei Punkte, auf die es aus seiner Sicht ankommt: (1.) deutlich mehr Geld in die Hand nehmen, (2.) mehr verändern, als nur den Motor, (3.) man setze auf das Prinzip: Alternative Antriebe müssen attraktive Antriebe sein, wofür es eine Fülle technischer Möglichkeiten gebe. Was er mit Punkt drei sagen will, wird weiter unten klar (eigentlich nichts außer „lasst uns bitte machen, was wir wollen“). Man werde bis 2025 10 neue Elektroautos in Serie bringen, sagt er dann, in der Entwicklungsabteilung würden 15.000 KollegInnen arbeiten. Wie viele Verbrennerautos bis dahin neu auf den Markt gebracht werden sollen oder, was überhaupt genau mit „10 neuen Elektroautos in Serie“ gemeint ist, sagt er nicht, auch nicht, was die 15.000 F&E-Leute so machen, bzw. wie viele von ihnen sich mit Elektrofahrzeugen beschäftigen (und wie viel mehr von denen an Dieselmotoren rumfrickeln). Insgesamt jedenfalls würde die Branche 800.000 Menschen Arbeit geben. Diese Drohung fehlt selten in Reden von SpitzenvertreterIinnen der Automobilindustrie und verfolgt hauptsächlich das Ziel, bei PolitikerInnen Angst und Schrecken darüber zu verbreiten, was passieren kann, wenn das Autoland untergeht.
Auch bei der Einführung des Automobil sei es der Ansatz gewesen, das etablierte Mobilitätssystem in Frage zu stellen, sagt er weiter, deshalb könne man, scheint er damit zu meinen, getrost davon ausgehen, dass es ein Kernprinzip der Automobilindustrie sei, etablierte Mobilitätssysteme in Frage zu stellen (dies ist eine Variierung der rhetorischen Figur vom Anfang der Rede, Sinnintention ist hier nochmals zu sagen, wir sind die mit dem Fortschritt im Gepäck). Deshalb dürfe man nicht glauben, nachhaltig werden zu können, indem man eine Antriebsform zu einem Stichtag verbietet. Man könne halt nicht mit Gewissheit sagen, wann es soweit sein würde, dass Elektroautos und Plug-in-Hybride die absolute Mehrheit bei den Neuzulassungen haben. Man weiß ja auch nicht, wann es mit dem Klimawandel soweit sein wird, dass es richtig eklig wird, könnte man ihn ergänzen, deshalb macht es nichts, wenn es mit den Autos statt 10 25 Jahre für die Umstellung dauert (in Bangla Desh kaufen die Bauern eh keine Daimler Plug-in-Hybride). Zeit, also Termin- oder Stichtagnennungen seien ja auch nebensächlich, sagt er dann, wichtig sei doch, wie man das Tempo steigern könne und was das angehe, solle Politik und Gesellschaft doch bitte Konzernen vertrauen, die es sich zur Gewohnheit gemacht haben, die soziotechnischen Arrangements der Gesellschaft ihren Gewinnbedürfnissen anzupassen. Verbrenner insbesondere Diesel seien deshalb nicht Teil des Problems, sondern Teil der Lösung, denn sie stoßen weniger CO2 aus als aktuelle Benziner. Auf die Frage des „Warum erst jetzt?“, antwortet er, dass es eben erst jetzt soweit sei, dass die Autoindustrie, die Technologiequalität habe, die sie benötige, um Elektromobilität voranzubringen. Als hätten die technischen Defizite von Batterie- und Elektroantriebstechnik nur wirklich auch gar nichts mit dem bisherigen Desinteresse der Autoindustrie, insbesondere auch der deutschen zu tun.
Echte Zukunftsfragen erst gar nicht zu adressieren hat er, nicht die Partei, die ihn eingeladen hat, entschieden. Kein Wort von ihm zum fahrerlosen Fahren, kein Wort zum Flächenverbrauch durch Individualverkehr, ob fahrerlos oder selbstgefahren. Ebenso kein Wort zu neuen Reparatur-, Distributons- oder Finanzarrangements, die möglich werden würden, wenn viel mehr Haushalte auf privatbesessene KfZ verzichten würden. Noch nicht einmal auch nur ein Wort zur Verpflichtung der Autoindustrie, ihrerseits die Attraktivität neuer Antriebstechnologie mitzubefördern, indem sie an der Entstehung neuer Infrastruktur mitwirkt, nichts von Alledem war für Zetsche Thema.
Es bleibt damit seine Forderung, Zeit geschenkt zu bekommen. Das ist ärgerlich und verantwortungslos, denn es wäre ja Zeit, in der mit gehabter Technologie noch Geld verdient werden kann. Auf genau diese Art ist Kodak vor Jahren untergegangen, die konnten sich nicht vorstellen, dass es mit Digitalfotografie wirklich (so) schnell gehen würde, weil sie ja damals mit Belichtungsfilmmaterial noch richtig gutes Geld verdient haben. Die Zeit ist darüber hinweggegangen, Kodak ist vergessen (das Unternehmen existiert zwar noch, sein Umsatz hat sich aber seit 1991 geneuntelt).
Wenn die Automobilindustrie auch diesen Wege ginge, wären die Folgen ungleich dramatischer, weil mehr Nebengewerbe daran hängen. Ein Stuttgart umschließender detroitartiger schwäbischer Rustbelt würde anders als die vormalige Motorstadt vermutlich nicht einmal vernünftige elektronische Tanzmusik hervorbringen. Das wäre schade für die Region und das sie umgebende Bundesland.