Während ich in der vergangenen Woche noch den in der FAZ vorfindlichen Wissenschaftsjournalismus gelobt habe, war dort letzten Mittwoch ein ganz ausgesuchter wissenschaftsjournalistischer Tiefpunkt vorzufinden. Der mir im wesentlichen als Klimaforschungsglossenschreiber bekannt gewordene FAZ-Redakteur Joachim Müller-Jung durfte einen Kommentar zu hierzlulande dominierenden Wahrnehmungen Grüner Gentechnik schreiben und die „Wir haben es satt“ Demo in Berlin und die Politik der Bundesregierung gleichermaßen als Pegida in Grün bezeichnen.
Das Argument dafür lautet in etwa so: keiner wolle in Deutschland Grüne Gentechnik, ja die Bundesregierung würde es gar betreiben, dass das Aussähen gentechnisch veränderter Pflanzen in den Ländern verboten werden kann, dass sei aber falsch, weil seit 1987 dreihundert Studien bewiesen hätten, dass gentechnisch veränderte Pflanzen komplett ungefährlich seien. Das alles sei eine Feigheit vor den Fakten, eine Bankrotterklärung der Aufgeklärten, ja eine Kapitulation vor der Demagogie. Politik würde hier ihre Verpflichtung zur Wahrzeit unterlaufen … hmm.
Dieser Argumentationsgang ist in so hohem Maße voller intellektueller Fehlleistungen, dass er dadurch fast schon wieder kenntnisnahmewürdig wird. Zunächst einmal übersieht Müller-Jung, dass eine Gefahr, die von gentechnisch veränderten Agrarpflanzen ausgeht gar nicht mal der ausschlaggebende Punkt sein muss, wenn es um die Frage geht, ob man den Daumen zur Grünen Gentechnik senken oder heben muss. Mit anderen Worten: Das Hauptproblem der Grünen Gentechnik ist nicht unbedingt die Gefahr, die von ihren Pflanzen ausgeht, sondern ihre organisatorischen Arrangements. Auch wenn Monsantamaise und -kartoffeln u. ä. nicht gefährlich sein sollten, heißt das noch lange nicht, dass man eine wesentlichere Rolle dieses Unternehmens und seiner Wettbewerber in der europäischen Agrarwirtschaft wollen muss. Jedenfalls hat das Gebaren dieser Unternehmen dazu geführt, dass jenseits der Agrarwissen- und –wirtschaft kaum jemand etwas mit ihnen zu schaffen haben will und nur wenige ihren Versprechungen Glauben zu schenken vermögen. Dazu beigetragen haben sicherlich auch Marketingpakete aus gentechnisch verändertem Saatgut und einem darauf zugeschnittenen Spezialpestizid, im Allgemeinen also die Tatsache, dass die Probleme, die gentechnisch veränderte Agrarpflanzen lösen sollen oft weniger welche der Gesellschaft als diejenigen der Vertriebsabteilungen der Saatgutunternehmen sind.
Geflissentlich ignoriert Müller Jung auch, dass die Aussaht gentechnisch veränderten Pflanzen die Wahl all derer, die keine damit hergestellten Produkte essen wollen einschränkt, weil gentechnisch verändertes Biomaterial zunehmend das nicht gentechnisch veränderte kontaminiert.
Die Beschwörung der dreihundert Studien seit 1987 (nebenbei gesagt sind das auch nicht allzu viele in 27 Jahren) ist zum ersten argumentativ in etwa auf dem gleichen Niveau wie der pubertäre Sparwitz „esst Scheiße, Milliarden Fliegen können nicht irren“. Zum anderen – kann man vermuten, ist eine Mehrheit dieser Studien von einer Industrie finanziert, die ein großes Interesse daran hat, da nichts zu finden. Als Drittmittelempfänger, der weiter machen will, ist man also gut beraten, die Studie so anzulegen, dass dieses Kalkül aufgeht. Solange also nichts darüber gesagt wird, welche Gefahren da untersucht worden sind, ist die Aussage es gebe da dreihundert Studien wertlos.
Hinzu kommt misstrauensstiftend noch hinzu, dass es sich bei der Agrarforschung um einen irgendwie sozialschlüpfrigen Forschungssektor handelt. Der Anteil von Industrieforschungsmitteln ist sehr hoch, die meisten HochschullehrerInnen sind über Projektfinanzierung und/oder Beiratsmitgliedschaften in irgendeiner Weise mit der Industrie verbunden. Insgesamt scheint das Forschungsfeld von einem sehr deutlichen Sendungsbewusstsein durchdrungen, welches WissenschaftlerInnen offenbar dazu nötigt, sich entweder zum Befürworter oder Gegner Grüner Gentechnik zu erklären. Oft weiß man nicht als was sie gerade reden, wenn sie etwas sagen, ob hier ein Wissenschaftler, ein Lobbyist oder ein Funktionär spricht. In einem älteren Blogpost im November bin bereits einmal darauf gestoßen, dass Akteure in diesem Feld zwischen den Rollen Klärschlammlobbyist und Landart-Kunsnstmitwirkender hin und her changieren, möglicherweise beides zugleich sein können.
Warum aber meint ein Wissenschaftsjournalist in diesem Dickicht Position beziehen zu müssen und muss dies dann auch noch mit einer pathetischen Wende, in dem er eine mangelnde Wahrheitsorientierung der Politik beklagt, garnieren. Denn ihm selbst reicht ja für seine Argumentationsgang und für seine Befürwortung von Agrargentechnik die halbe oder ein Viertel derselben aus.
Manches an der Diskussion zur Grünen Gentechnik erinnert an die zur Atomenergie. Möglicherweise ist die Grüne Gentechnik eins der letzten Füllhornversprechen einer fortschrittsgläubigen Moderne traditionalistischer Prägung und muss dementsprechend, nachdem die Auseinandersetzung um die Atomenergie zumindest in Deutschland verloren ist, mit aller Energie verteidigt werden. Da ist man sich dann für kaum eine Polemik zu schade.