Dass man über das Ausbleiben der technologischen Versprechen vergangener Zukunftsvorstellungen auch noch ganz anders schreiben kann, als ich das im September getan habe, zeigt ein Beitrag Harald Welzers im SZ Magazin letzter Woche. Seine Perspektive ist nicht technologie- und wissenschaftspolitisch, sondern sozialpsychologisch, weshalb ihm völlig andere Aspekte wichtig sind.
Welzer beginnt mit der Anklage, dass die heute angebotenen technologischen Problemlösungen nur für Non-Probleme angeboten werden, soll heißen, für Probleme, von denen niemand bislang gewusst hat, dass er sie jemals gehabt hat. Das sei die Stärke der Problemlösungen it-industriellen Typs, wie sie vorzugsweise im Silicon-Valley entwickelt werden. Der Horizont gesellschaftlicher Problemlösungsvisionen sei dadurch so kurz geworden, dass man ihn kaum mehr sehen könne, denn er liege knapp oberhalb der Kniehöhe. Somit würde einerseits täglich irgendwelche Kleinhorizonte transzendiert, andererseits bestünde unsere Zukunftsvorstellung heute daraus, Schlimmeres zu verhindern, Vorhandenes zu konservieren und vor allen Dingen, keine Experimente zu machen.
Er erinnert dann daran, welche segensreichen Wirkungen der sogenannte Sputnik-Schock (eine damals gegenüber dem Ostblock fälschlicherweise wahrgenommene Rückständigkeit in Bezug auf eine Verwissenschaftlichung der Gesellschaft) hatte: die Diagnose einer Bildungskatastrophe und die daran anschließende Bildungsexpansion, eine Entwicklung also, die sehr vielen ein erweitertes Denken und optionsgesteigertes Leben ermöglicht hat. Auch anderes, was danach kam, bis hin zum Apollo-Programm sei von der Vorstellung getragen gewesen, dass die Welt eine Zukunft habe. Heute aber falle es schon schwer, sich die Gegenwart vorzustellen. Symptomatisch dafür sei die Allgegenwärtigkeit von Krisendiagnostik, außer der bundesrepublikanischen Wirtschaft sei eigentlich alles in der Krise. Nicht nur sei jede militärische Intervention nach 2001 in Desaster gelaufen, auch das Weltklima, der Finanzmarktkapitalismus oder die internationalen Beziehungen. Die Ökologiebewegung habe geradezu eine Meisterschaft im Beschwören negativer Zukunftsszenarien entwickelt. Eine wünschenswerte zu bebildern hingegen hätte sie nie geschafft, schließlich seien nicht eingetretene Apokalypsen mindestens genauso öde, wie mit Solarparks und Rotoren vollgestellte Landschaften.
Attraktiv sei das jedenfalls alles nicht, man müsse nur die Utopien des fliegenden mit denen des selbstfahrenden Autos vergleichen: Erstere würden Freiheitsvorstellungen vermitteln, Zweitere würden erlauben, auf dem Rückweg von der Arbeit noch Akten zu lesen. In den vergangenen Hundert Jahren sei klar gewesen, dass in der Welt die unlösbaren Probleme weit wichtiger sind als die lösbaren, Fortschritt habe darin bestanden, die unlösbaren Probleme weniger schlimm zu machen. Heute hingegen scheint unter Fortschritt das Lösen lösbarer Probleme auf Sicht verstanden zu werden.
Es ist jetzt nicht ganz leicht, hiervon nun den Schwenk zu wissenschaftspolitischen Überlegungen zu machen, versuchen will ich es trotzdem. Will man, dass sich Organisationen mit echten Problemen und nicht mit selbsterfundenen Non-Problemen befassen, dann muss man in der Wissenschaftspolitik, wie in der Technologiepolitik eine organisational strategische Komponente zugunsten einer gesellschaftspolitischen zurückfahren. Dann sähe man die oben beschriebene Verzwergung von Problemhorizonten als das, was sie ist. Schließlich macht es aus Sicht von Organisationen Sinn, sich lösbaren Problemen zu verschreiben, weil anders kommt man ja nicht zu Erfolgen, wenn man dafür dann noch Autonomie in Anspruch nehmen kann, ist das aus Sicht von Organisationsleitungen äußerst praktisch. Die Benchmarks sehen – das ist ein weiterer Punkt – dann auch viel besser aus, wenn man sich ausschließlich mit lösbaren Problemen beschäftigt. Nur ist der Erfolg von Organisationen im Interesse derselben, nicht immer und nicht unbedingt, im Interesse der sie beheimatenden Gemeinwesen, auch wenn das in den Politikfeldern selbst dann konkret immer anders aussieht (so muss ein Wissenschaftspolitker auf Landesebene den Misserfolg der Wissenschaftsorganisationen seines Landes immer fürchten, d. h. aus Sicht von Leuten, die Wissenschaftspolitik betreiben, ist es immer besser, wenn die Wissenschaftseinrichtungen für die man zuständig ist, kleine Probleme lösen, statt an wichtigen zu scheitern). Wenn man aber einsieht, dass das so ist, dann muss die Wichtigkeit von Organisationen, insbesondere die der strategischen Kalküle ihrer Leitungen in der Wissenschaftspolitik zurückgefahren werden, man muss wieder stärker das Augenmerk darauf lenken, welchen Beitrag zur Lösung gesellschaftlicher Probleme wissenschaftliche Bemühungen bereitstellen.
In der Wissenschaftspolitik kann der Transdisziplinaritätsdiskurs ein Vehikel sein, das zu schaffen, nicht weil er eine Zentralperspektive generieren könnte, sondern, weil er bessere, demokratischere und offenere Organisationen schaffen kann. Dementsprechend gibt es gerade um die Frage transformativer auch transdisziplinärer Wissenschaft eine wissenschaftspolitische Auseinandersetzung, die insbesondere von den etablierten Wissenschaftsorganisationen wie der DFG oder vom Stifterverband gegen das Bemühen um eine transformative Wissenschaft vorangetrieben wird.
An Welzers Überlegungen lässt sich aber nicht nur wissenschaftspolitisch anschließen, sondern auch bildungs- und gesellschaftspolitisch. Offenbar ist ein großer gesellschaftlicher Horizont, der Zukunft zu denken vermag, geeignet, gesellschaftliche Öffnungen herbeizuführen und die Optionen von Menschen zu erhöhen; kleine Horizonte hingegen haben möglicherweise die genau gegenteilige Auswirkung und nähren Statuspanik bei denen, die etwas weiter oben sind, und bei Nachwachsenden Konformität sowie den Drang, den Lebenslauf zu optimieren und alles richtig machen zu wollen. Ökonomisches Wachstum ist dann aus Sicht der Menschen die einzige Möglichkeit, noch die Aussicht auf Optionssteigerungen erhalten zu können. Das kann angesichts der bekannten Probleme wachsender Ökonomien nicht gut sein und macht es sehr schwer, Alternativen zum ökonomischen Wachstum zu thematisieren.
Was Welzer da beschreibt, wo er sich zu den vielen täglich überschrittenen Horizonten kleinster Provenienz äußert, kann man als eine Mischung aus Atemlosigkeit und Abgebrühtheit bezeichnen, bei Virilio oder Rosa heißt das rasender Stillstand, bei eher systemtheoretisch daherkommenden AutorInnen Komplexität. Immer geht es darum, dass Problemlösungsinstanzen nicht so recht zu den Problemen, mit denen man konfrontiert ist, passen und dass die Welt widersprüchlich erscheint, man weiß nicht was richtig ist, noch nicht einmal, was passieren sollte, immer wieder bekommt man es mit nichtintendierten (Neben-)folgen dessen, was man tut zu tun.
Weil das so ist, tun viele lieber nichts, und versammeln sich politisch hinter denen, die am wenigsten ändern wollen, schließlich kann dann, so scheint es oberflächlich gesehen, das Schlimme nicht passieren, das Vorhandene bewahrt werden, wäre da nicht die Nichtnachhaltigkeit gegenwärtiger Alltagsarrangements. Die aber steht auf einem anderen Blatt als die alltäglichen Routineskripte.