Vor etwa drei Jahren hatte ich hier im Blog einen kleinen Text zur Unmöglichkeit eines linken Populismus geschrieben, er steht hier, eine Zeitschriftenversion des Blogtextes hier. Die Texte knüpfen an eine Müllersche Populismustheorie an, nach der ein demokratischer Linkspopulismus nicht möglich ist, weil Populismus, gleich ob links oder rechts stets darauf basiert ein echtes Volk gegen irgendwie geartete ungerechtfertigterweise herrschende Eliten zu stellen. Danach wäre Populismus definitionsgemäß nicht demokratieverträglich, weil er die Möglichkeit, dass andere richtig liegen könnten, prinzipiell ausschließt, wenn die populistischen Akteure in der Arena sind, denn schließlich vertreten diese das Volk, die anderen seine Gegner. So weit so verkürzt.
Eine sich beim Schreiben dieser Texte abzeichnende Blindstelle Müllerscher Populismustheorie bestand für mich darin, dass es keinen Weg vom antipluralistischen Populismus von Volk und Gegnern desselben gibt, d. h. dass man ausgehend von Müllers Kerntheorem nur schwer einen Weg finden kann, der zu Spielarten eines Partialpopulismus bei Akteuren aus demokratischen Parteien führt. Dies war ein umso gravierendes Nebenproblem, weil in den Jahren seither partialpopulistische Orientierungen eher mehr als weniger geworden sind und in nahezu allen großen Parteien anzutreffen waren. Sie hinterließen Spuren in der Verkehrspolitik beim Bauen immer neuer Autobahnen und Lückenschlüsse, in der Energiepolitik bei Windkraftanlagen betreffenden Abstandsregelungen und in vielen Feldern mehr. Stets ging es diesen Partialpopulismen darum umwelt- und insbesondere klimaschutzbezogenen Kriterien zu suspendieren und Politikmuster einer als erfolgreich gesehenen Vergangenheit aufrechterhalten zu können, zum Teil wider besseres Wissen aufrechterhalten zu können. Auch wenn gängige Versuche, Populismus zu messen eine Abnahme populistischer Orientierungen andeuten, so z. B. das Populismusbarometer 2020[1]
Und mit der Coronakrise, aber nicht erst in diesem Zusammenhang fand eine Variante des Partialpopulismus in der FDP eine politische Heimat. Bereits in den Jahren vor der Corona-Krise gab es Testläufe einer sachaversiven Politik, die sich einen Kerngegenstand buk, diesen ins Zentrum eigener Politik stellte, ihm einen Ruch von Volkswillen verlieh und damit wenigstens eine parteipolitische Renaissance erzielen wollte, oder gar erzielte, wie zum Beispiel die Berliner FDP bei der Abgeordnetenhauswahl 2016. Zudem gab es immer wieder Umfrageergebnisse, die zu Tage brachten, dass die Wähler*innenschaft der FDP nur zu gern für eine Variante weicheren Partialpopulismus‘ empfänglich war, dies war eine Option für die diejenigen, die gesellschaftlich nicht behelligt werden wollen und im Staat vor allem einen Akteur sahen, der sie drangsalierte. Unter Freiheit verstanden diese Leute vor allem tun zu können, was sie mit ihrem Geld können, die AfD aber, das war ihnen so als Wahlangebot dann doch zu krass. Volk war aus dieser Perspektive dann nicht mehr das Volk als Ganzes, sondern derjenige Teil davon, bei dem sich ökonomisches Handlungsvermögen und ein gepflegtes Desinteresse an der öffentlichen Sache konzentrierte.
Recht gut versteckt[2] in einem kleinen Blog aus Bonn habe ich dann in einem kleinen Text des Philosophen Reinhard Olschanski einen Gedanken gefunden, der es erlaubt, an der blinden Stelle der Müllerschen Populismustheorie weiterzudenken und diese auch auf demokratische Parteien anwenden zu können. Der Ansatz zielt auf kleine Parteien, denen es als Koalitionspartner gelingt, den größeren Parteien, die auf sie angewiesen sind, Politikergebnisse abzutrotzen, die diese sonst nicht gewähren würden. Im Falle der bayerischen CSU sei das die sog. Herdprämie oder die Ausländermaut gewesen, im Falle der FDP die Verhinderung eines Tempolimits auf Autobahnen oder das Auslaufen etlicher Infektionsschutzregelungen. In all diesen Fällen nehmen die Verursacher eine erhebliche Spannung zur die Politik umgebenden sozialen Wirklichkeit in Kauf, Schaden für das politische System sowie Schaden für den Koalitionspartner und die Regierung, an der man selbst beteiligt, ist in Kauf. Denn sie bekommen dafür etwas Hochsymbolisches und können ihrer Klientel erklären, etwas durchgesetzt zu haben.
Dieses Desinteresse an einem Gelingen des Politischen haben diese kleinen Parteien mit den echten Populisten gemein, allerdings haben sie, anders als diese, kein explizites Interesse daran, das demokratische System zu beschädigen, sie wollen nur etwas vorzeigbares nachhause bringen. Ähnlich wie bei echten Populisten, ist ihnen aber der Schaden, den sie damit verursachen, gleichgültig, gleich, ob damit Geld verbrannt (Ausländermaut) oder Vertrauen zerstört wird (Freedom Day). Insofern sind solche Parteien wenig geeignet an Resilienz und Zukunft der Demokratie mitzubauen und tragen zumindest an einer Stell Gleiches wie Populisten bei: Sie stehlen der Demokratie Zeit. Philip Ther hat in seinem Italienaufsatz[3] gezeigt, wohin das führt und was das kostet. Wir sollten das vermeiden.
[1] Robert Vehrkamp/Wolfgang Merkel (2020): Populismusbarometer 2020. Populistische Einstellungen bei Wählern und Nichtwähler 2020; WZB und Bertelsmann Stiftung, URL: https://www.bertelsmann-stiftung.de/fileadmin/files/BSt/Publikationen/GrauePublikationen/ZD_Studie_Populismusbarometer_2020.pdf.
[2] Reinhard Olschanski (2022): Politische Trophäenjäger; UrL: https://extradienst.net/2022/04/01/politische-trophaeenjaeger/, letzter Zugriff am 06.04.2022.
[3] Philipp Ther (2019): La Crisi. Der Abstieg Italiens als Menetekel für Europa; in: Ders. (2019): Das andere Ende der Geschichte; Frankfurt a. M.: Suhrkamp, S. 97-129.