Ein Rechtsdiskurs aus Bremsklötzen. Wie Juristen die Universität falsch verstehen und wissenschaftspolitische Demokratisierungspotentiale blockieren

Welche Verwerfungen heute die Debatte über die Demokratisierung von Hochschulen prägen, zeigt ein vor etwa drei Wochen in der FAZ erschienener Artikel. Klaus Gärditz und Wolfgang Löwer zwei Spezialisten für Öffentliches Recht haben sich zur Wissenschaftsfreiheit geäußert. Schon der Überschrift ist zu entnehmen, wo es hingehen soll: Wer die Wissenschaftsfreiheit verteidigen will, dürfe sich dem “verstaubten Reform-Leitbild der Corporate Governance nicht beugen“ haben die Redaktion, vielleicht auch die Autoren markig getitelt. Gärditz und Löwer freuen sich darüber, dass der baden-württembergische Verfassungsgerichtshof geurteilt hat, dass professorale Mitglieder im Hochschulsenat aus eigener Kraft in der Lage sein müssen, eine Hochschulleitung abzuwählen (zum Urteil steht bei mir etwas hier, eine recht gründliche Onlinediskussion zum Urteil ist hier zu finden). Weiter meinen sie, dass Wissenschaftsfreiheit den Möglichkeiten einer Hochschulleitung Grenzen setzen müsse. Ziel einer „wissenschaftsadäquaten Hochschulorganisation sei nicht der Schutz „der“ Wissenschaft als System“ oder „der Autonomie der Universität“. Beides halten sie im demokratischen Verfassungsstaat, der nur über begrenzte Mittel verfüge, für ohnehin nicht wirklich erreichbar, vielmehr gehe es bei der Wissenschaftsfreiheit ausschließlich um das individuelle Abwehrrecht gegen wissenschaftsinadäquate Einflussnahmen. Freiheitsgefährdungen gingen von Staat und Hochschulorganen aus, meinen sie. Es wäre nicht funktionsgerecht ja sogar naiv, dabei allein auf die Kommunikationsbereitschaft der Hochschulleitung zu setzen.

Interessant ist nun die von Löwer und Gärditz herangezogene Begründung, warum das oben beschriebene Abwehrrecht sich ausschließlich auf ProfessorInnen bezieht. Sie meinen, die Universität sei nicht „Soziotop für akademische Lebensstile“, sondern „Körperschaft für Primäraufgaben in Forschung und Lehre“. Es gehe vor allem darum, „verschiedenen Fachrichtungen ein verträgliches Auskommen miteinander zu sichern“, was eine „Mindestpluralität der in den gewählten Repräsentationsorganen vertretenen Disziplinen erforderlich mache“ und diese Pluralität würden nun vorrangig festangestellte Professoren abbilden. Mittelbau sei zwar auch durch das Abwehrrecht geschützt, für die besondere Verantwortung der Professorenschaft spreche aber deren herausgehobene sowie formalisiert geprüfte fachliche Qualifikation sowie die damit verbundene Erfahrung. Andere Träger der Wissenschaftsfreiheit könnten eben darauf nicht verweisen. Professoren müssten zudem auf Dauer mit den Konsequenzen ihrer Entscheidungen leben, Selbstbetroffenheit schütze vor Dummheiten.

Soweit der Kern der Argumentation. Schreibstil und Ausdruck des Textes lassen es unwahrscheinlich erscheinen, dass er eine große Zahl überzeugter LeserInnen finden wird, gleichwohl steht er in der FAZ und ordnet sich in einen Strom von Texten ein, die der Stärkung der Organisationsdimension von Hochschulen kritisch gegenüber stehen. Der Text ist damit Bestandteil eines Diskurses, der Wissenschaftsfreiheit antimanagerial aber in gewisser Hinsicht von rechts konzipiert. Im Gegensatz zu seinem Gegenstück bezieht der Diskurs Wissenschaftsfreiheit nicht auf gesellschaftliche Konzepte oder Institutionen, wie Kirche, Nation, Herrschaft oder deren Kritik, Innovation oder große Herausforderungen, stattdessen wird Wissenschaftsfreiheit ausschließlich im Willen des Lehrenden und Forschenden letztendlich des Professors  verankert. Es ist ein professoralmonadisches Konzept von Wissenschaftsfreiheit, das ganz getrennt vom epistemischen und sozialen Gehalt von Wissenschaft operiert, denn es kommt ohne jede Bezugnahme auf einen etwaigen Gegensatz von organisationsbezogenen politisch oder finanzielle motivierten Interessenlagen und an Interessenlagen der Fachgemeinschaft orientierten Prioritätensetzungen aus. Bemerkenswert ist aber das Muster der Argumentation und noch bemerkenswerter ist, auf welch tönernen Füßen sie steht. Schließlich hat der Text will ja auch eine doppelgesichtige Aufgabenstellung indem er zugleich manageriale Herrschaft kritisieren und professorale Suprematie affirmieren soll, dabei scheut nicht vor der einen oder anderen logischen Volte nicht zurück.

Begonnen mit der Idee, Hochschulen sollten verschiedenen Fachrichtungen ein verträgliches Auskommen sichern, d. h. die Universität ist die Alma Mater im Wortsinne als nährende Mutter, die den Streit der Fakultäten schlichtet und deren Auskommen sicherstellt. Andere, gesellschafts- oder sozialtheoretisch anspruchsvollere Konzepte bleiben außen vor. Sei es die Idee, der Sinn von Universitäten sei es an einer Verbesserung der Wissensbasis der Gesellschaft zu arbeiten und einen geschützten Raum für Produktion und Vermittlung von wissenschaftlich basiertem Wissen zu schaffen, oder gar einen für Reflektion. Auch der Gedanke, Universitäten seien Instanzen zur Genese und Zerstörung sozialen Kapitals* geht nicht ein. Diese Ignoranz in Bezug auf soziologische, komplexere Konzepte der Universität hat Konsequenzen.  Nein, allein die Alimentation von Fachrichtungen mit ausreichenden Mitteln und die Schlichtung ihres etwaigen Widerstreits miteinander interessiert den juristischen Diskurs in der von Gärditz und Löwer vertretenen Form.

Eine solche Engführung des Diskurses scheint mir eine auf seltsame Art verschrobene Binnenperspektive zu sein, die sich besonders dadurch auszeichnet, da sie Außenbeziehungen der Universität weitestgehend ausblendet und ausschließlich auf ihr Binnenleben fokussiert. Politisch disfunktional ist das Bild von Hochschulen als Streitschlichtungs- bzw. Versorgungssinstanz von Fachrichtungen, die Geld brauchen ja ohnehin. Schließlich wäre es kaum möglich, aus einer fachrichtungsbezogenen Bottom-Up-Perspektive zu bestimmen, welche Fachrichtung wie viel auskömmliches Geld bekommen sollte, oder gar welche Fachrichtung an einer bestimmten Universität vertreten sein sollte und welche andere nicht, denn dazu wäre es ja erforderlich, dass sich die Größe der an Hochschulen vertretenen Fächer, ja ihre Vorhandensein überhaupt, epistemisch herleiten ließe. Das ist erkennbar nicht der Fall und auch nur solange kein Problem, wie alle Universitäten Volluniversitäten mit universalistischem das gesamte Fächerspektrum abbildenden Anspruch sind. Was aber passiert in dem Fall von strategischer Ausrichtung von Hochschulen, wenn sie mit dem Setzen von Prio- und dementsprechend auch Posteoritäten verbunden ist.

Auch das weitere Argument, dass es eine bestimmte Mindestpluralität der Fachvertreter geben müsste, funktioniert meiner Meinung nach nicht, andernfalls müsste es gesetzliche Regelungen darüber geben, welche fachliche Diversität Professorenwahllisten aufzuweisen haben. Eine solche Regelung gibt es nicht, die notwendige Fächergruppendiversität entsteht im politischen Prozess, bei der Listenaufstellung innerhalb der Statusgruppen, nicht jedoch durch Vorgabe. Auch die dann folgende Tautologie, Professoren seien herausgehoben, weil sie qualifiziert sind und  qualifiziert, weil sie herausgehoben sind, ist  überraschend, zumindest, wenn man beim Lesen erwartet, mit logischem Anspruch konfrontiert zu sein. Die qualifikatorische Herausgehobenheit, kombiniert mit der herausgehobenen Qualifikation legitimiere dann jedenfalls das besondere Stimmrecht gegenüber anderen Gruppen, und auch die Dauer der Anwesenheit, die Selbstbetroffenheit, der Dauertenurierten, sagen Gärditz und Löwer. Sie wollen also besondere Stimmrechte mit Wissen, Vermögen und Erfahrung begründen.

Die Idee der Legitimation von Herausgehobenheit durch Qualifikation und Selbstbetroffenheit läuft aber m. E. ins Leere, denn nähme man ihn ernst, ergäbe sich daraus zum einen ein fachspezifisch variierendes Stimmrecht nach dem z. B. SozialwissenschaftlerInnen, insbesondere WissenschaftssoziologInnen ein anderes Stimmrecht in Bezug auf die Hochschulleitung und -politik betreffende Entscheidungen haben müssten, als manche Naturwissenschaftler (I).  Zum anderen ein reduziertes Stimmrecht für HochschullehrerInnen, die nicht auf Dauer da sind (II), notwendig wäre. Ad I wäre zu berücksichtigen, dass insbesondere NaturwissenschaftlerInnen oft kein besonders elaboriertes Verständnis davon haben, warum es Universitäten existieren; viele von ihnen glauben deshalb, die Universität sei eine Dienstleistungseinrichtung für die durch sie verkörperten Fächer. Ihr Bild der Hochschule ist damit oft unterkomplex, zu ihrem Selbstbeschreibungsdiskurs haben sie nicht viel beizutragen. Es wäre spannend zu beobachten, welche Akzeptanz ein Selbstverwaltungsgremium, dass einem Wissenschaftssoziologen etwa dreimal soviel Stimmen einräumen würde wie einem Chemiker oder Elektronigenieur. Ad II stellt sich die Frage, ob nicht schlicht das Prinzip der Selbstbetroffenheit verletzt wäre, wenn alle HochschullehrerInnen gleiches Stimmrecht haben, gleich, ob sie auf Dauer zugegen sind, oder die Hochschule nicht doch aus verschiedensten Grünen wieder verlassen. Werden im Falle einer späteren Wegberufung die Abstimmungsresultate rückwirkend verändert? Was ist mit den Stimmen der Nichttenurierten? Fragen über Fragen.

Gewichtete HochschullehrerInnenstimmrechte möchte ich hier nicht vorschlagen. Diese Gedankenspiele sollen  nur zeigen, dass die von Gärditz und Löwer angestellten Überlegungen, bzw. Begründungen warum ProfessorInnen bei so viel Abstimmungsbelangen herausgehoben sein sollen, einer näheren Betrachtung nicht standhalten. Hinzu kommt schließlich und zuletzt noch, dass der von ihnen konstruierte Graben zwischen Hochschulorganisation und ProfessorInnen allein auch schon deshalb intellektuell nicht zu überzeugen vermag, weil kaum eine Personalgruppe die Hochschulorganisation und die die der Wissenschaft derartig prägt wie ProfessorInnnen.

Politisch schädlich ist die Hermetik, die von solchen Überlegungen wie der von Gärditz und Löwer vertretenen ausgeht. Es ist an keiner Stelle erkennbar, ob jemals auch nur irgendeine Form innerer oder relationaler Demokratisierung von Wissenschaft und ihrer Politik möglich sein wird. Allein schon deshalb nicht, weil es ausgehend von der beschriebenen Hermetik des Denkens keinen Pfad legitimer Veränderung geben kann, denn jedweder Vorschlag gleich welchen Gehalts wäre ja ein Angriff auf die Wissenschaftsfreiheit. Wissensgesellschaft, Verwissenschaftlichung der Gesellschaft, technologischer und sozialer Wandel, Form- und Funktionswandel der Universität, all das zieht wie ein nebliger Schatten am Diskurs vorbei, der selbst so bleibt wie er war und nach Auffassung der Autoren immer sein wird und immer so bleiben muss. Ausgehend von diesem Diskurs sind die Institutionen der Wissenschaft gleichermaßen unwandelbar, alma mater numquam transformat** scheint der Leitspruch solcher Rechtsdiskurse zu sein. Für Demokratisierung und zivilgesellschaftliche Öffnung von Wissenschaft ist da kein Platz und was noch schlimmer erscheint keine Perspektive.

*dort S. 27-51, der Aufsatz von Steve Fuller; eine Kurzversion des Gedankens steht hier.

** Auf die Verwendung der mittelstufenlateinisch korrekteren Wendung almam matrem numquam transformandem esse habe ich sowohl im Tweet, als auch hier aus Gründen der besseren medialen Vermittelbarkeit verzichtet.