Knappe Nachmittagsgedanken zu einem Ministerium und einem Ausschuß

Vielleicht erinnert sich noch jemand an ein längst im Strudel anderer Ereignisse vergessenes im BMBF zusammengeschriebenes Innovationspapier (seinen Inhalt paraphrasiere ich der Erinnerung halber in der langen Endnote unter diesem Blogtext)[1]. Es erschien lanciert über die Wirtschaftsredaktion der FAZ zum Beginn der Urlaubszeit zeitgleich zum Höhepunkt der dieser Tage (10. September) einmal mehr debattierten sog. Fördermittelaffäre. Wiarda hatte damals darüber berichtet[2].

Das Papier hat, wie leicht zu sehen war, keinen kohärenten Gegenstand, sondern nur das Ziel, im innovationspolitischen Wortewettbewerb mitzupaddeln. Dazu werden die üblichen Checkboxen abgearbeitet und beinahe  alle Triggertechnologien durchdekliniert, mit denen sich in der technologiepolitischen Arena Streit vom Zaun brechen lässt. Der Wunsch, es dem ökologisch emanzipativen Establishment mal so richtig zu zeigen, verleiht dem Papier eine unsubtil lobbyistische Aura und sorgt somit dafür, dass wirklich jedes der darin aufgeführten nicht von vorneherein sinnbefreiten Themen beschädigt wird. Denn nicht jedes der dort gedropten Stichwörter ist schierer Unfug: tatsächlich kann man darüber streiten, ob Forschung an adulten Stammzellen in Deutschland sinnvoll geregelt ist, oder ob der europäische Rechtsrahmen bei neuer Gentechnik tatsächlich hilfreich ist, aber so wie es da steht, nicht.

Insofern wiederholt sich ein Problem, das schon bei der immer noch vor sich hinsimmernden Fördermittelaffäre zu beobachten war und auf überbordendes parteipolitisch getriebenes polarisierungsunternehmerisches Drängen und Stürmen in den pressenotorischen F-Runden zurückzuführen ist. Ein Thema, das man durchaus aufrufen könnte, wird beschädigt, weil der Art, mit der es bespielt wird, die politische Agenda zu sehr anzumerken ist. Insofern fällt es schwer, da hermeneutisches Wohlwollen aufzubringen, wenn dasselbe Haus wenige Wochen später erklärt, dass es die Absicht hat, Forschungsförderung in Sachen Batterietechnologieentwicklung praktisch einzustellen. [3]

Diese Koinzidenz von maximaler verbaler Zukunftszugewandtheit und minimaler technologiepolitischer Vorausschau verweist auf ein  Problem. Fast jeder Gedanke, der aus dem Hause kommt, ist politisch ideologisch überinstrumentalisiert, damit ist das BMBF weder im wissenschaftspolitischen noch im innovationspolitischen Diskurs eine ernstzunehmende Stimme und das zu einer Zeit, in der Wissenschaftspolitik es ohnehin kaum vermag, zur Zukunft der Gesellschaft beizutragen, weil sie zu allererst mit sich selbst und eigenen Betriebsproblemen beschäftigt ist. Allen von Seiten des Ministeriums verkündeten Prioritätensetzungen und Geltuntsansprüchen haftet etwas unernst kitschig Zufälliges an, als seien sie von einem Sprachmodell verfasst und von libertär gestimmten Ministerialaktivist*innen kommuniziert worden.

Insofern ist das Ministerium aktuell damit befasst, eine Schneise kommunikativer und diskursiver Zerstörung hinter sich her zu ziehen und auf Jahre wissenschaftspolitischen Schaden zu hinterlassen. Diese Effekte waren auch am frühen Dienstagmorgen im Wissenschaftsausschuss des Bundestages anzusehen und werden, so steht zu befürchten für einige Zeit Bestand behalten, denn weder vermag es die Wissenschaftspolitik des Bundes gravierende strukturelle Probleme des Wissenschaftssystems anzugehen, noch die finanzielle Basis, die in den letzten Jahren verfügbar war, aufrechtzuerhalten. Vertrauen in die zuständige Ministerin hat nach ihren Auftritten im Ausschuss kaum mehr jemand und auch das Ansehen des Politikfeldes dürfte leiden, weil in der betreffenden Sitzung fast nur ein Vertreter der CDU-Opposition gut (und ein SPD-Mann wenigstens halbwegs gut) aussah.[4] Der Plan der Koalitionsmehrheit im Ausschuss, sich hinter einem Mindener Verwaltungsgericht zu verstecken, vermochte eher nicht zur vollsten Zufriedenheit aufzugehen.

[1] Das Papier wird als Diskussionsbeitrag bezeichnet „Offensive für Technologieoffenheit: Impulspapier mit Vorschlägen zur Stärkung der Innovationskräfte, des Wachstumspotentials und der Wissenschaftsfreiheit“ heißt es, zu finden ist es hier: https://table.media/wp-content/uploads/2024/08/05151352/Impulspapier_BMBF_zur_Staerkung_der_Innovationskraefte.pdf.

Das betreffende Papier ist genau so betitelt und so geschrieben, wie sein Titel es erwarten lässt. Eingeleitet wird es von einer Aneinanderreihung innovationspolitischer Oberflächenevergreens, was so für entscheidend gehalten wird, das „Produktivitätswachstum in Deutschland dauerhaft zu erhöhen“, weil „neue Technologien und innovative Geschäftsmodelle“ dafür Treiber seien, sei „gerade jetzt der richtige Zeitpunkt, Innovationskräfte zu entfesseln“. Und Technologieoffenheit bedeute auch Stärkung der Wissenschaftsfreiheit, heißt es weiter und so weiter.

Technologieoffenheit stärken will man nun, indem man das „Innovationsprinzip in Gesetzgebung und Verwaltung verankert“ und „gleichberechtigt neben das Vorsorgeprinzip“ treten lässt. Das soll mit einem Reallabore Gesetz möglich werden, das „fachspezifische Experimentierklauseln“ ermöglicht, mit denen „schon zu einem frühen Zeitpunkt Informationen über Innovationen, deren Wirkungen unter realen Bedingungen und den passenden rechtlichen Rahmen gesammelt werden“. Natürlich soll Vergaberecht „drastisch entschlackt“ und ein „Technologieoffenheitsgebot Grundlage öffentlicher Fördermaßnahmen werden“. Nicht nur das CCS-Gesetz soll beschleunigt werden, auch ein Fusionsgesetz soll es geben, gemeint ist da die nukleare von Wasserstoffatomen.

Hfusionready soll die Gesellschaft also werden und Flächenverbrauch soll nicht etwas reduziert, sondern Flächennutzung „neu gedacht“ werden, um eine „Flächenkreislaufwirtschaft“ zu erreichen und der Regelungsrahmen für embryonale Stammzellenforschung ist natürlich nicht mehr zeitgemäß, genauso wie auch der EU-Regelungsrahmen für neue Züchtungstechnologien.

Und dann sind synthetische Kraftstoffe für bezahlbare Mobilität von „zentraler Bedeutung“, weshalb ein Verbot der Verbrennungsmotortechnologie ein Irrweg sei und daher „vollständig abgeschafft“ werden sollte. Überhaupt brauche man europaweit ein durchgängiges „one in, two out Prinzip“, soll heißen, für jede neue Regelung sollten zwei abgeschafft werden. Als wären Regeln halt bloß Regeln und sonst nichts als Hemmnisse.

[2] Vgl. dort: https://www.jmwiarda.de/2024/08/08/verfeuert-f%C3%BCr-die-eigene-imagerettung/.

[3] Vergl. https://www.electrive.net/2024/09/04/deutschlands-batterieforscher-fuerchten-gaenzlichen-foerderstopp/.

[4] Nachlesen, was da Dienstagmorgen zu Schaden gekommen ist, kann man hier, den Livestream anzuschauen, war, Genussmomente betreffend, ungefähr so, als ließe man sich im Rahmen einer Professionellen Zahnreinigung Zahnstein entfernen: https://www.jmwiarda.de/2024/09/10/das-ende-der-fahnenstange/.