Womöglich ist das hier einer dieser Texte, die niemandem so richtig gefallen, der sich derart konsequent zwischen alle Stühle setzt, dass sich niemand der Bestuhlten darin wiederfindet. Und eigentlich hätte es ein Text zur Ausladung Nancy Frasers durch die Universität Köln werden sollen, das war jedenfalls die Ausgangsidee. Aber dann fiel mir auf, dass dazu viel, ja richtig viel gesagt worden ist und es gar nicht so interessant ist, was ich noch dazu zu sagen hätte, nachklappenderweise. Und dass man mehr sagen sollte über offene Briefe, wie selten sie Segen bringen. Maximilian Probst hat das gemacht, am 06. April in der Zeit und ich finde, er hat das sehr sehr gut gemacht.[1] Ich sehe es, wie schon woanders gesagt auch so, dass es das gute Recht der Universität Köln und ihres Rektors Mukherjee war zu sagen, eine solche Albertus Magnus Professorin wollen wir dieses Jahr nicht. Viele fanden das falsch, einen Eingriff in Meinungs- oder Wissenschaftsfreiheit, einige haben sich richtig aufgeregt. Ich nicht. Ich fand die vom Rektor als ausschlaggebend benannte Unterschrift unter den offenen Philosophy for Palestine Brief[2] nicht preiswürdig und auch nicht Frasers Unterschrift unter den meiner Meinung nach noch schrägeren Stop manipulating sexual assault Brief.[3] Allerdings verstehe ich das Konzept des Albertus Magnus Professur auch nicht so wirklich.
Vorgeschlagen werden die Albertus Magnus Professor*innen offenbar vom Thomas-Institut einer, schaut man auf den Onlineauftritt[4], betulich anmutenden Einrichtung, die sich der mediävistischen Philosophie widmet, ausgesucht werden aber Leute, die sich inmitten gesellschaftlich relevanter Diskursstürme lautstark positioniert sind: Judith Butler, Achille Mbembe, Eva Ilouz, Bruno Latour, David Wengrow um nur einige Preisträger*innen[5] zu nennen. Auf mich wirkt das Verfahren nur eingeschränkt konsistent und scheint vor allem dem Bedürfnis einer Universität sich mit wichtigen Laudator*innen zu schmücken geschuldet zu sein. Von daher steht für mich aus verschiedenen Gründen in Frage, wie Entscheidungen rund um diese Professur und ihre Vergabe mit Aspekten von Wissenschafts- oder Meinungsfreiheit in Verbindung stehen und es scheint sich hier Wissenschaftliches mit organisationalem Selbstthematisierungsbedürfnis einer Universität zu verschlingen.
Aber zurück zur Sache. Philosophy for Palestine hatte mit Philosophie wenig zu tun und das Papier wirkte auf mich wie ein intellektuell wenig überzeugender Versuch, sich die Autorität einer wissenschaftlichen Disziplin (die nebenbei gar keine ist) für einen eigentlich politischen Zweck auszuborgen. Und doch hat das Papier eine Art Pfad kreiert, den kaum einer der späteren Offenen Briefe zu verlassen vermochte. Die kritischen Theoretiker[6] nicht und auch die versammelten Sozialwissenschaftler*innen mit ihrem Unbedingtheitsbrief vom 9. April[7] nicht. Alle bedienen sie sich der strategischen Auslassung zentraler Sachverhalte, um zum Ziel zu kommen. Die Politikwissenschaftler*innen schaffen es dann auch nicht, die denkerische Komplexität zu erreichen, wie sie z. B. Michael Walzer in einem aktuellen Interview im Zeit Magazin entwickelt.[8]
Die Philosophinnen eröffneten mit einer BDSigen Diktion, die Israel aus wissenschaftlichen Diskursen auszuschließen trachtet, die kritischen Theoretiker und die vielen Politikwissenschaftler*innen vom April legten einen Brief auf, der wissenschaftlich distinguiert daherkommt, den Anspruch von Differenziertheit, zum Teil gar erfolgreich verkauft[9], aber vergisst zu erwähnen, dass es eine fast schon obsessive Befassungs- und Verurteilungsprdass gerade bei UN-Organisationen immer dann gibt, wenn es um Israel geht. Fast sein ganzer, wie ich finde aufgeblasener, Anmerkungsapparat ergeht sich in Spekulationen, inwiefern nicht doch, das, was Israel da mache, völkerrechtswidrig sein könnte.
Für mich weist all das alle Eigenschaften eines schwer verunglückten, verkämpften und scharmützelgrabendurchzogenen Nondiskurses auf, in dem es von allem darum geht, die Gegenseite zu erledigen. Symptomatisch für diesen Diskurs fand ich eine Stelle in einem Streitgespräch zwischen DLF Detjen und FAZ Kaube, als Kaube sagte, Fraser sei keine Nahostexpertin und Detjen erwiderte, Kaube spreche damit Fraser die Kompetenz ab, sich zu den Nahostkonflikt betreffenden Fragen zu äußern.[10] Ich fand diese hochtönende Angriffslust Detjens vor allen langweilig und unergiebig und würde mir so sehr wünschen, dass es möglich wird aus solche Mustern kombattanten Diskutierens auszubrechen.
Überhaupt dieser Deutsche Diskurs, er ist mit jeder Debatte schlimmer geworden. Documenta 15-, Mbembe- und jetzt diese Debatte und noch all die kleinen Streitereien, wie die um den Hannah Arendt-Preis des Bremer Senats. Alles nicht schön und überall die gleichen Muster. Hier die Leute, die sagen, es kann in Deutschland nicht folgenlos bleiben, was Leute so schreiben oder unterschreiben da die anderen, die es zunächst einmal provinziell finden, hier Sachen untragbar zu finden, die woanders durchgehen. Die zweite Position stattet sich gerne mit einer Anmut des polyglott international überlegenen aus und findet aus Deutschland sprechend solle man schon einmal gar nicht formulieren, was man für unerträglich hält.
Ich weiß nicht so recht, wo doch zunächst einmal jeder national bestimmte Diskurs seine nicht überall woanders vermittelbaren Seiten hat. Mir ist nicht so recht einsichtig, was an einem angloamerikanischen Campusantisemitismus weniger provinziell ist. Mir scheint der damit verbundene Denkmainstream nicht weniger hermetisch, was mir anhand eines offentlichen gemachten Briefes der Direktorin der New York School for Social Sciences, der Fraser beschäftigenden Einrichtung aufgefallen ist. Dort steht Fraser sei in Köln ausgeladen worden, weil sie für die Sache der Palästinenser*innen eintrete[11]. Behauptet wird dies von Direktorin Donna Shalala, die nicht irgendwer ist, sondern auch eine bedeutende Clinton Demokratin und in seinen Administrationen 1993 bis2001 als Gesundheitsministerin tätig war. Ich frage mich angelegentlich davon dann auch, wo eigentlich gerade der linksliberale US-amerikanische Denkmainstream ist, wenn er mit solchen Argumentationsmustern arbeiten muss. Als Angehöriger der New York School müsste ich zu dem Ergebnis kommen, an der Spitze ein heftiges Governanceproblem zu haben, wenn die Interimspräsidentin der Einrichtung mit derartigen Faktenverschiebungen arbeitet. Aber so war die deutsche Rezeption des Shalala-Briefes natürlich nicht, er wurde stattdessen herumgereicht als Argument, wie isoliert und provinzialisiert der deutsche Diskurs doch sei.
Womit man mitten in einen sehr deutschen Diskurs gerät, der zuvorderst mit der Vorstellung operiert, in einem irgendwie imaginierten Ausland gut gefunden zu werden. Die etwas trotzige Kehrseite solcher deutschen Selbstbilder und des mit ihnen verbunden Wollens findet sich dann in Polemiken wie dieser.[12]Es bleibt der Eindruck eines unbedingten Willens zum Missverstehens, die Atmosphäre ist, als spielten im Park verschiedene Taubenfraktionen miteinander Schach.
[1] Ein Zplus Link zum Artikel von Probst steht hier: https://www.zeit.de/kultur/2024-04/nancy-fraser-uni-koeln-palaestina-gastprofessur.
[2] Vgl. https://sites.google.com/view/philosophyforpalestine/home.
[3] Vgl. https://stopmanipulatingsexualassault.org/.
[4] Vgl. https://thomasinstitut.uni-koeln.de/.
[5] Vgl. https://amp.phil-fak.uni-koeln.de/ueber-die-amp.
[6] Vgl. https://criticaltheoryinberlin.de/interventions/stellungnahme-zur-ausladung-von-nancy-fraser-von-der-albertus-magnus-professur-an-der-universitaet-zu-koeln/.
[7] Vgl. https://statementisraelgaza.wordpress.com/de/.
[8] Vgl. https://www.zeit.de/zeit-magazin/2024/17/michael-walzer-gerechter-krieg-israel-gaza, Walzer differenziert dort zwischen der Frage einer prinzipiellen Berechtigung des israelischen Angriffs und den problematischen Aspekten seiner Ausführung.
[9] Vgl. https://www.jmwiarda.de/https-www.jmwiarda.de-2024-04-09-hoechste-zeit-den-kurs-zu-aendern/.
[10] Vgl. https://www.deutschlandfunk.de/war-die-ausladung-nancy-frasers-richtig-j-kaube-vs-s-detjen-ueber-israel-dlf-1ec987a7-100.html, Detjen, Min 7:56.
[11] Gespiegelt ist das z. B. hier: https://bsky.app/profile/anneroth.bsky.social/post/3kpmbzj6d5k2l
[12] Vergl. hierzu Jan Feddersen in der TAZ, das Ende des Artikels; https://taz.de/Debatte-um-Nancy-Fraser/!6003850/..
Natürlich versteht man das wiederum nur vor dem Hintergrund eines mit anderem Tenor abgefeuerten Artikelstakatos von Daniel Bax, z. B. hier: https://taz.de/Streit-um-Albertus-Magnus-Professur/!6002799&s=Daniel+Bax/