Sinn und der Markt

Am vergangenen Freitag in der SZ hat der bekannte Fernsehökonom* Hans Werner Sinn zum Schlag gegen alle Kritiker der „Ökonomen“ ausgeholt. Diese könnten nur Ökonomie missverstehen oder nicht verstehen, andernfalls würden sie verstummen heißt es da. Der Text ist ein bemerkenswertes Beispiel für das diskursive Einigeln der Selbstbetrachtung des Faches. Beherzt also tritt Sinn dann Behauptungen entgegen, die er zu widerlegen trachtet.
(1) Zuerst – sagt er – stimme es gar nicht, dass Volkswirte an die Existenz perfekter Märkte glauben würden, stattdessen seien sie, wie Spürhunde, die in realen Märkten nach Fehlern suchen würden, um diese besser zu machen. Wer aber eine Intervention in Märkte fordere – so Sinn – müsse den Marktfehler beweisen. Er vergleicht etwas weiter unten den Volkswirt mit dem Arzt, der ja auch eine Vorstellung davon haben müsse, was ein gesunder Körper ist.
(2) Ferner stellt er fest, der Widerspruch von Ökologie und Ökonomie bestehe gar nicht. Vielmehr habe die Volkswirtschaftslehre, schon vor jeder grünen Bewegung die Sorge um die Umwelt erfunden; ein Beispiel dafür sei, die Pigou Steuer (um 1930 vom englischen Ökonomen Artur Cecil Pigou entwickelt) mit der man negative Externalitäten wirtschaftlichen Tuens belasten könnte.
(3) Eine grundlegende Abneigung gegen keynesianistische Konzepte (wie nach Sinns Auffassung sog. Kritiker der Ökonomik behaupten) gebe es im Mainstream der Volkswirtschaftslehre gar nicht. Zum Heilen kurzfristiger „Krankheiten“ (er bleibt in der Arztmetaphorik) könne man diese sehr wohl einsetzen, bei grundlegenderen Krankheiten bedürfe es aber neoklassischer Rezepturen.
(4) Ökonomen wüssten sehr wohl, dass nicht Wettbewerb an sich, und jede Art von Wettbewerb immer gut sei. So sei z. B. ein Wettbewerb zwischen komplementären Akteuren aus ökonomischem Blickwinkel schlechter als ein Monopol. Ein Standortwettbewerb zwischen Staaten sei deshalb in der Regel nicht effizient.
(5) Kritiker (der Ökonomen) würden den Begriff Neoliberalismus falsch verwenden. Er bedeute gar nicht Deregulierung, sondern eigentlich das, was man in Deutschland mit dem Begriff Ordoliberalismus bezeichne.
(6) Der vielgescholtene homo oeconomicus diene gar nicht der Prognostik (soll wohl heißen der Beschreibung von Realität), vielmehr gehe es bei seiner Verwendung dem Volkswirt darum, Marktfehler von Denkfehlern zu trennen, Irrationalitäten aufzuspüren.

Sinn sucht sich für seine Antworten die Art von Ökonomiekritik aus, mit der er umgehen kann. In diesem Fall ist das nicht unbedingt die intelligenteste denkbare Kritik. Er argumentiert dabei nicht wie ein wissenschaftlich argumentierender Autor, der gelernt haben dürfte, dass man im Interesse der Qualität des eigenen Arguments, Gegenargumente, die man widerlegen möchte, zunächst einmal stark machen muss. Stattdessen macht er es lieber wie ein Journalist, der einen Meinungsartikel verfasst: Er nimmt schwache Argumente, behauptet, diese wären beim Gegner zentral und geht dann gegen diese Argumente vor. Die wirklich starken Argumente lässt man bei diesem Vorgehen regelmäßig unberücksichtigt. Folgendes fällt bei Sinns Argumentation auf, dass

(1)Märkte, für ihn – und wohl auch für viele seiner KollegInnen – Naturzuständen entsprechen, bzw. Naturgegebenheiten sind; anders ist es nicht zu erklären, dass er den unregulierten Markt für den Normalzustand hält und davon ausgehend jede Staatsintervention in diesen (Natur-)zustand begründungspflichtig machen will. Die Arztmetapher bestätigt das dann noch einmal. Schlimmer noch, er scheint die Problematik dieser Bilder nicht zu erkennen. Gegen eine substantiellere Ökonomiekritik, die das Problem der Ökonomik nicht im Glauben an die reale Existenz idealer Märkte (wie von Sinn behauptet), sondern darin, dass für Ökonomen die Marktwirtschaft Lösung jeglicher sozialer Probleme ist sieht, Markt also als universeller Problemlöser fungiert, ist sein Argument wehrlos. Aus diesem Grund geht er auf diese Ebene der Kritik nicht ein.

(2)Sinn an dieser Stelle recht hat: Es gibt tatsächlich keine vernünftige Argumentation, die den Widerspruch von Ökologie und Ökonomie so darstellen würde, wie er unterstellt. Es stellt sich nur die Frage, warum es Wirtschafsakteuren immer wieder gelingt, die Externalitäten ihres Tuns anderen aufzuhalsen. Vielleicht liegen Ursachen hierfür außerhalb des Marktes, wenn das aber so ist, stellt sich wiederum die Frage nach der Tauglichkeit der Theorie.
(3) Der ewige Keynesianismus-vs-Neoklassikshowdown, den WirtschaftsjournalistInnen so zu lieben scheinen, ist inzwischen überaus langweilig, muss eigentlich selbst für ÖkonomInnen langweilig sein. Und schließlich weiß ja Sinn auch die Lösung: Keynesianismus für kleine Wehwehchen, Neoklassik für das große Ganze. Er scheint sich damit als toleranter Neoklassiker zu outen, er selbst also ist somit zurück im Hamsterrad ökonomischer Selbstbespiegelung, ein Ausweg ist nicht gegeben.
(4) Hier gilt das gleiche Gegenargument, wie bei (2) gilt. Wenn Ökonomen es wissen, dass zwischenstaatlicher Wettbewerb ineffizient ist, warum gibt es dann so viel davon, oder warum glaubt die Politik ihnen das nicht. Erklären ließe sich dieser Widerspruch dadurch, dass Sinn sich nicht mit der Frage aufhält, was da eigentlich effizient ist und auf welche Ebene er Effizienz beziehen will. Denn es kann ja sein dass etwas aus einzelstaatlicher Sicht effizient erscheint, weil es auf Kosten aller anderen geht, dann also macht man es, oder?
(5) Man Hierauf (aufgrund der rabulistischen Albernheit des Arguments) eigentlich gar nicht eingehen kann, man kann aber, wenn man will, beim Hausmonetaristen von Spiegel-online nachlesen: Der sagt, Sinn liege falsch, weil Ordoliberale doch Neoliberale seien, oder so ähnlich … .
(6) Auch hier wieder das „die meinen es doch gar nicht so, wie ihr alle glaubt“ Argument (wie bei 1) stößt. Homo oeconomicus diene gar nicht der Prognostik sagt Sinn. Ich dachte immer h.oec. diene der Modellbildung, aber egal. Interessant ist, dass Sinn Rationalität mit Marktrationalität gleich setzt. Es drängt sich der Verdacht auf, dass für Sinn Markt Gesellschaft ist und sich dabei als Markt selbst genügt. Eine solche gedankliche Konstruktion kennt in ihrer Hermetik keine berücksichtigenswerte Außenwelt.

Sollten die oben diskutierten Argumente dem Standard der disziplinären Selbstreflexion der Volkswirtschaftslehre entsprechen, dann müsste man sich wirklich Sorgen um die Zukunft dieses Faches machen, aber zum Glück ist das ja nur ein Zeitungsartikel. Rätselhaft ist nur, warum der Leiter eines volkswirtschaftlichen Instituts meint mit so etwas in die Öffentlichkeit gehen zu müssen, sein Glaubwürdigkeit erhöht er damit nicht, seine wissenschaftliche Reputation auch nicht, ebenso wenig bereichert er eine öffentliche Debatte, noch stärkt er seine Meinung. Was aber will er dann(?), vermutlich schrieb er hier ausschließlich für die, die gelernt haben zu denken wie er.

*Der Terminus Fernsehökonom soll hier nicht für einen Unterfall von Medienökonom stehen, gemeint ist vielmehr ein Verwendung wie in Fernsehbiere. Der Begriff steht für Biere, die sich nicht so sehr durch herausragenden Geschmack, als vielmehr durch herausragende Medienpräsenz (in der Fernsehwerbung) auszeichnen.