Zu den nervigsten Erscheinungen des Jetzt gehört ein politischer Denkstil, der Dissens nicht mehr aushält. Das ist eine Abkehr von der Möglichkeit politischen Streits, denn, wenn man annimmt, dass ein Gegner definitiv nicht richtig liegen kann, hat es schließlich wenig Sinn, sich im Streit zu verausgaben. Andere Meinung, politische Gegnerschaft kann dann gar nicht anders, als als Kompetenzproblem gelesen werden.
Vielleich stimmt etwas nicht mit den Studienabschlüssen politischer Gegner*innen[1], vielleicht sind sie uninformiert, neigen zu Patzern, sind nicht faktensicher, haben Charakterschwächen, die mögliche Liste ist lang. Das ist Folge einer verunglücken Pseudoepistemisierung des Politischen, als ginge es in der Politik um Wahr oder Falsch, als sei das Politische nichts als die Umsetzung von Wissen in verbindliche Entscheidungen. Zwar gibt es falsche Politik, falsche Prioritätensetzung, Bad Governance, aber der Grund dafür, warum es überhaupt Politik gibt, ist, dass wir es nicht so genau wissen. Dass wir nicht wissen können, was richtig ist. Wäre es anders würde Sozialtechnologie ausreichen. Demokratie wäre dann was Nettes, aber letztlich Verzichtbares.
Insofern steckt im wissenschaftlichen Wissenszuwachs auch eine Zumutung für die Demokratie und das Politische. Scheinbar wird der Raum für demokratisches Entscheiden enger, weil Wissenschaft uns bei immer mehr Belangen sagt, wie es ist, oder eben auch, wie es nicht ist. Man kann heute bei vielem nicht mehr meinen, was man will. Da sind nicht wenige beleidigt und versuchen sich hier und da, alternative Wissensräume zu erschließen oder aufzubauen. Wo dies nicht geht, manchmal parallel dazu, flüchten sie sich in verschwörungsschwurbelige Denkgebäude.
Allerdings ist es nicht so, dass Demokratie verzichtbar wäre, denn sie ist nicht nur ein moralisches Gebot, weil sie ermöglicht, Stimmen, auch marginalisierte, zu hören, sondern sie ist eben auch ein Entdeckungsverfahren für gute Argumente. Sie ist mit der Hoffnung verbunden, dass sich im Wettstreit der Ideen und Wissensansprüche das am wenigsten Schlechte durchsetzt. Das ist umso wahrscheinlicher, je besser Institutionengefüge gebaut sind. Es geht nicht, wie bei der Wissenschaft darum, zu möglichst wenig angreifbaren Aussagen zu kommen, aber darum, Positionen zu finden, die intersubjektiv vermittelbar sind und Regelungen begründen können, nach denen wir ohne Furcht leben können und wollen.
Deshalb kommt die aktuell zu sehende Diskursverschiebung mit einem Preis. Wir verlernen aus einer Vielzahl von Gründen und Motiven Argumentqualitäten zu würdigen. Wir wissen immer weniger, was ein gutes Argument ist und sind immer weniger in der Lage, schlechte Argumente nicht zu Geltung kommen zu lassen, weil sie schlecht sind. Denn uns fehlen die Argumente, das zu sagen, vielleicht finden einige es auch unhöflich.
Die Unterscheidung von Wissen und Meinen ist zunehmend geschleift, alles scheint irgendwie gleichwertig. Sprecher*innenrollen sind da dann eine Hilfskonstruktion, überhaupt noch an ein bisschen Wissen zu kommen, wem man denn (noch) zuhören soll. Entweder wird das Ohr dann Autoritäten geschenkt, auf der anderen Seite vielleicht Marginalisierten. Ob das Hand und Fuss hat, was diese Instanzen sagen, können wir nicht wissen, weil Kriterien, das zu beurteilen abhanden gekommen sind.
Für eine gesellschaftliche Wissensordnung hätte das unselige Konsequenzen. Wir wüssten auch nicht mehr, was wichtig ist. Relevanzzuschreibung kann ja weder aus Autorität eines Sprechenden noch aus Marginalität kommen, im schlimmsten Falle, wäre jeder Stimme, egal, was sie sagt, für unterschiedliche Leuten anzuhören. Lernen, also das Verändern mentaler Verknüpfungen und Erwartungen, wäre auf Zuhören oder Gehorchen reduziert. Beides wäre nicht wirklich modern, ersteres autoritär und zweiteres liefe auf Herumschwimmen hinaus.
Wenn wir uns aber alle an anderen Stimmen orientieren, haben wir uns einerseits nichts mehr zu sagen und wäre es andererseits zu vielen gleichgültig, was andere sagen. Eine solche Gesellschaft der beziehungslosen Kommunikationsinseln, kann nicht das sein, was uns durch eine hochgradig interdependente Moderne durchkommen lässt. Erst recht nicht, wenn in dieser Moderne politisches Handeln so viel mehr Konsequenzen haben kann, als es das vor 200 oder auch 100 Jahren haben konnte.
[1] Und nein, das hat nichts mit Franziska Giffey zu tun, da war die Arbeit wirklich nicht gut und es ist wirklich gesichertes Wissen, dass sie nicht sauber gearbeitet hat.