Zum 1. Februar hat die Konrad-Adenauer-Stiftung ein Zukunftsmagazin einigen Zeitungen beilegen lassen (herunterladen kann man es hier). Wie dies nahezu natürliches Schicksal solcher Gratisbeilagen ist, lag es zunächst ungelesen rum, entging bei mir aber zum Glück dem Wegschmeißen. Beim ersten Durchblättern und dann auch Lesen zeigte sich, dass das Magazin eine Fundgrube in Hinblick darauf ist, wie sich Konservative eine nahe Zukunft vorstellen, was sie dabei wichtig finden. Aus diesem Grund möchte ich hier einen Lektürebericht zur Verfügung stellen.
Zum Einstieg stellt Sebastian Christ (als politischer Journalist für Handelsblatt und Huffington Post tätig) fest (6/7), dass Zukunft nicht so sehr die Sache der deutschen Politik ist, wenn sie vorkommt dann in einer Wortkomposition zusammen mit Angst. Abgesehen davon könne man Zukunft, noch nicht einmal die Mittelfristige nicht vorhersagen. Wer meine das trotzdem tun zu können, wie die Demographen der Nuller Jahre laufe Risiko letztendlich doch falsch zu liegen. Danach kommen vier Seiten mit Statistiken und Graphiken, deren Tenor ist, dass alles doch so ganz gut wird, sie sind dann auch mit der Überschrift „11 Gründe für Vertrauen in die Zukunft“ überschrieben. Grundschulbildung in Afrika nehme immer weiter zu heißt es da, die Alphabetisierungsraten würden überall steigen, extreme Armut nehme immer weiter ab, Kindersterblichkeit auch, Teilhabe am Fortschritt nehme überall zu, Aussichten für die Jugend würden immer besser, Glück nehme zu.
Dann folgt ein Artikel (12-15), mit vier Seiten der längste, von Herfried Münkler, dem hier offenbar die Rolle eines Stargastes zukommt. Münkler schreibt darüber, wie es mit der EU wohl weitergeht. Vertiefung sei unwahrscheinlich, wahrscheinlicher seien Rückbauszenarien, entweder eins aus Kerneuropa mit Kreisen und Ellipsen oder eins der drei Gruppen Nord-, Süd- und Ostgruppe. Das zweite Szenario sei vermutlich durch Ressentiments der Gruppen untereinander geprägt, für wahrscheinlicher hält Münkler das Kern- und Kreiseszenario.
Dann geht es um liberale und illiberale Demokratie (16-21). Zunächst um die liberale Demokratie, dann darf ein ungarischer EVP-Parteifreund und Berater der ungarischen Regierung (Zoltán Kiszelly) die Vorzüge der illiberalen Demokratie erläutern und erklären, warum liberale Demokratie in Ostmitteleuropa zumindest aber in Ungarn nicht funktioniert. Kiszelly begründet illiberale Politik letztendlich antikapitalistisch, sie versuche zuungunsten des einen obersten Prozents der Einkommenshierarchie und zugunsten der anderen 99 % umzuverteilen. Populismus könne man dem Konzept der illiberalen Demokratie nicht vorwerfen, weil ja jede auf Zustimmung zielende Politik populistisch sei. Jan Fleischhauer der Hauskonservative beim Spiegel darf im Anschluss daran erklären, Ostmitteleuropa habe sich nun von Westeuropa emanzipiert, sei erwachsen geworden, wolle den Westen nicht mehr nachmachen, als hätte es nicht schon in den 90er autoritäre Episoden in der Slowakei oder in Kroatien gegeben. Fleischhauer schließt, in vielem seien die Osteuropäer dem Rest der Welt näher als wir im Westen und meint das sei ein Kompliment. Er scheint an eine Art autoritären Weltgeist des 21. Jahrhunderts zu glauben. Fleischhauer Argumentation zeigt, dass es ein Irrtum ist, zu meinen, der deutsche Konservativismus habe seinen Frieden mit der Demokratie gemacht.
Der dann folgende Länderüberblick über 18 Länder (24-27) ist vergleichsweise uninteressant und könnte in etwa so auch in einem Jahresvorschaueconomist stehen. Dann folgt ein Artikel des Trumpwirdvielleichtgarnichtsoschlimmwerdentypus (28/29) wie man ihn im Dezember und Januar in eher konservativen Zeitungen häufiger lesen konnte. Die Zeit ist über solche Beschwichtigungsversuche hinweg gegangen inzwischen wissen wir, dass Präsident Trump nicht Donald Trump minus Restriktionen durch ein Amt und seine Bindungen und Verpflichtungen, sondern Donald Trump plus Macht ist. Bahnvorstand Pofalla darf im Anschluss was zu Russland schreiben (30/31).
Danach wird es wieder etwas interessanter. Andreas Rödder ein Jetztzeithistoriker schreibt etwas zu transatlantischen Beziehungen (32-35). Rödder beschreibt, was sich nach 1990 zwischen den USA, Westeuropa, den vormaligen Warschauer Pakt Staaten und Russland ereignet hat, wie sich der Westen in dem Dilemma wiederfand mit Russlang gute Beziehungen haben zu wollen und gleichzeitig den Sicherheitsbedürfnissen derjenigen Staaten, die sich gerade aus der russischch-sowjetischen Umarmung befreien konnten, entsprechen wollte. Dummerweise hätten die USA gerade um den Schlüsselzeitraum des Jahres 2000 herum keine Mission verspürt und seien dann ab Ende 2001 in den verunglückten Krieg gegen den Terror gestolpert. Für Russland und Osteuropa hätte die Nato dann ab 2003 kein Interesse mehr aufgebracht und wurde erst hellhörig als Putin sich mit seiner Rede auf der Münchner Sicherheitskonferenz 2007 laut zu Wort zu melden begann und militärisch gegen Georgien vorging. Deutschland tue sich vor derlei Hintergründen schwer, zu wissen, was es solle und wolle. Das ist irgendwie – möchte ich anfügen – im Ergebnis ein bisschen blöd, angesichts dessen, dass aus bekannten Gründen sowohl die USA, als auch das Vereinigte Königreich und Frankreich als richtungsstiftende internationale Player ausfallen.
Dann etwas weiter hinten kommen sechs Thesen zur Bundestagswahl (45-47). Man merkt den Thesen an, dass zu dem Zeitpunkt, als sie geschrieben wurden, Schulz noch nicht angefangen hatte. Die bremsenlosen Nachtfahrten der SPD hatten noch nicht begonnen. Die Thesen lohnen gleichwohl eine kurze Wiedergabe. These 1 behauptet, die Bedeutung von Spitzenkandidaten werde immer stärker und bezieht sich auf die Notwendigkeit einer universellen Sprechfähigkeit der Parteien, es bedürfe guter Wahlkreiskandidaten und eines guten ihnen zuarbeitenden Apparates. Diese These gehört m. E. zu den meistunbegründeten Allgemeinplätzen des politischen Journalismus und übersieht, dass Personalisierung immer wieder in der Politik eine Rolle gespielt hatte (wie eben auch heute). Daten bzw. Big Data so These 2 würden künftig in der Politik eine größere Rolle spielen, nicht so wie in den USA, aber schon mehr, als in der Vergangenheit. Politik und Wahlkämpfen durchlaufe eine Digitalisierung lautet These 3 (den Unterschied zu These zwei kann ich nur mit etwas Schwierigkeiten erkennen). Die Parteien würden wissen wollen, was wirkt lautet die These 4. These 5 sagt, dass Haustürwahlkampf zunehmend an Bedeutung gewinnt und These 6 schließlich, sagt, dass die spannende Frage der Umgang mit dem Populismus sei, darunter versteht die Berliner CDU in dieser Woche erstmals das gemeinsame Anträgestellen mit der AfD; man darf gespannt sein, was da noch kommt.
Auf die Thesen folgt ein Artikel, der sagt, Populismus sei eine Modewelle und eine Reaktion auf das taktische Agieren von PolitikerInnen (48/49), gefragt seien nun klare Haltungen. Das mag in Bezug auf das Agieren von CDU-Kommunalakteuren und ihren mancherorts mangelnden Abgrenzungswillen zu AfD-KollegInnen ein sinnvolles Postulat sein. Danach aber wird es dann wirklich interessant: Harald Welzer und Ruprecht Polenz diskutieren darüber, was für die Parteiendemokratie die anstehenden Aufgaben sind (50-53). Welzer stellt zunächst fest, dass er seine berüchtigte Aufforderung zur Nichtwahl, die er 2013 im Spiegel gestellt hat, nur solange aufrechterhalten sehen wollte, wie es keine ernsthafte rechtspopulistische Partei gibt. Polenz hingegen meint, dass der Satze „das wird man ja wohl noch einmal sagen dürfen“ kein demokratischer Fortschritt ist, in einem Herausschieben der Grenzen des Sagbaren nichts Gutes liegt. Er mein dann später auch, die Parteien hätten ihre Seismographenfunktion in Bezug auf gesellschaftliche Entwicklungen verloren, weil politische Karrieren nur noch Tunnelkarrieren seien, eine Binnenbetriebslogik des Politischen überwiege, nach der es vernünftig erscheine, fehlende Seismographiekompetenz durch Demoskopie zu ersetzen. Zum Schluss wünscht sich Welzer eine neue Kultur der politischen Auseinandersetzung, die das von den Medien so gerne inszenierte Aufeinanderhetzen von Leuten überwindet, dann könnte es auch wieder gelingen, erkenntnisfördernde politische Gespräche zu führen.
Weiter geht es mit einem interessanten Plädoyer für Zwischentöne (54/55); nur so sagt Kubra Gümüsay lassen sich komplexe Probleme bewältigen. Dann folgt ein Artikel über Bots, warum es sie gibt und wie sie als sogenannte Social Bots politische Debatten tangieren (56/57). Die Parteien sollten Weiterbildungen zum Thema Bots anbieten meint der Autor des Artikels, der eine politikberatende Social Media Agentur betreibt, zu dem Vorschlag den politischen Einsatz von Social Bots zu ächten, kann er sich nicht durchringen.
Zwei Artikel zu Fragen der Religion folgen (60-63), beide verweisen darauf, dass weder der Islam, noch die monotheistischen Weltregligionen eine besondere Affinität zu Gewalt aufweisen. Das kann man als eine Reaktion auf in konservativen Kreisen gängige sogenannte Islamkritik lese, die unter dem Mantel, westliche Werte verteidigen zu wollen, nichts anderes als kulturelles Ressentiment pflegt. Es folgen Artikel über Virtuelle Realität(en), Informationsüberfluss in betrieblicher Binnenkommunikation (64-67), danach zwei zur Debatte um ein arbeitsunabhängiges Grundeinkommen (68-71). Zunächst ein Artikel von Götz Werner, der das befürwortet, dann darf ein Wirtschaftswissenschaftler (Michael Hüther, Direktor des Instituts der Deutschen Wirtschaft in Köln) erläutern, dass das dann doch zu viel der Veränderung wäre. Denn, die Grundeinkommen begründende Position zeichne ein technikfeindliches Zerrbild der Arbeitswelt und man wisse doch gar nicht, ob es damit überhaupt funktionieren könne, weil es einfach nicht gelinge, das experimentell zu überprüfen, denn es sei einfach unmöglich Erprobungsinstituionen, die Menschen dazu bringen, sich so zu verhalten, wie sie das in einer sozialen Wirklichkeit täten, zu schaffen. Mit diesem Argument ließe sich Wirtschaftswissenschaft als ein Bollwerk gegen jede Art gesellschaftlichen Wandels ausbauen. Hüthers Artikel schließt mit dem frappierenden Gedanken, dass die Gesellschaft gut ohne Grundeinkommen auskomme, deshalb sollte man es bleiben lassen (und das Desinteresse der Ökonomen an nichtökonomischen sozialen Fragen gesellschaftlich ausschlaggebend machen).
Direkt im Anschluss geht es weiter mit einem Artikel der sagt, dass gesellschaftliche Ungleichheit nicht wichtig ist((72/73), schließlich störten sich die Trump-Wähler nicht an Ungleichheit, sondern am Abgehängtsein. Hier dringt beim Autor die Liebe zu Postfaktischem durch, wenn es in die ideologische Haltung passt. Der Autor ist zwar Historiker nicht Ökonom, er teil aber das soziologische Desinteresse der Ökonomen, anders könnte er nicht so souverän all die Forschungsbefunde ignorieren, die besagen, dass individuelles Glücksempfinden recht wenig von absoluter Einkommenshöhe und umso mehr von der Position in der gesellschaftlichen Einkommenshierarchie bestimmt ist. Sinnvollerweise ist der Artikel mit einer Graphik layoutet, der zu entnehmen ist, dass Bruttoerwerbseinkommen aller Einkommensdezile in den Jahren zwischen 2009 und 2013 gestiegen sind.
Richtig revolutionsaffin wird die Redaktion des Heftes dann, wenn es um die Industrie 4.0 und künstliche Intelligenz geht, eine derartige Revolution ist, wie es scheint, stets genehm und politisch weithin wohlgelitten. Trotzdem ist der Artikel von Sabine Jeschke (74-77) von der RWTH- Aachen informativ. Sie gibt einen guten Überblick über die Situation und worin die Schwierigkeiten der oft mittelständisch organisierten in Deutschland in besonderer Weise vertretenen Technologieproduzenten bestehen. Zum Schluss plädiert sie dafür, Leute die Neuerungen einführen wollen, von der Pflicht zu entbinden, alle möglichen Konsequenzen benennen zu müssen, denn in der Bilanz hätten doch alle durch die industriellen Revolutionen ausgelösten gesellschaftlichen Veränderungen stets zur Erweiterung des Freiraums des Individuums geführt.
Lars Zimmermann Geschäftsführer einer Beratungsgesellschaft für DisruptionsaspirantInnen (an der der Axel Springer Verlag beteiligt ist) fordert im letzten kurzen Text des Magazins dann noch, dass dafür (für das Disrumpieren) Staatsgeld zur Verfügung gestellt werden sollte, weil das im Silicon Valley und in Tel Aviv auch so prima geklappt habe.
Eine konservative Stiftung interessiert sich, was die Zukunft angeht, für Außenpolitik, Konflikte, Fragen von Demokratie, Religion, Digitalisierung, Einkommensverteilung und wirtschaftlicher Disruption, sie interessiert sich weniger für Migration, soziale Ungleichheit, postnationale Politik, Nachhaltigkeit und Umwelt. Soweit, so wenig überraschend.
Überraschenderweise ist die Verwissenschaftlichung der Gesellschaft für die Stiftung nicht von Interesse, Transdisziplinarität interessiert sie genauso wenig, wie die großen gesellschaftlichen Herausforderungen, die in der Wissenschaftspolitik der letzten Jahre einere Rolle spielen. Das Wort Zivilgesellschaft kommt an keiner Stelle vor. Der Bezug auf soziale Gerechtigkeit wird dahingehend hergestellt, dass ihre Thematisierung als störend empfunden wird (72/73). Das lässt viel Platz für abweichende Zukunftsvorstellungen und macht es für mich schwer erkennbar, wie konservatives Denken Teil einer ökologisch werdenden Moderne werden kann. Ich würde mir wünschen, dass an dieser Stelle Veränderung nicht ausgeschlossen ist.