Remigius Bunia stellt der Ordinarienuniversität als wünschbare Alternative ein Departmentmodell gegenüber. Er will Personal und Budgetverantwortung nicht mehr bei den Lehrstuhlinhaber*innen verortet sehen, sondern bei einem Department nach amerikanischem Vorbild. Die Ordinarienuniversität als deutscher, besser in deutschsprachigen Ländern verbreiteter Sonderweg sei ein Risiko für die Innovationspotentiale der deutschsprachigen Wissenschaftssysteme. Das Lehrstuhlprinzip trage die Verantwortung dafür, dass Forschung hierzulande ökonomisch ineffizient sei. Es bewege sich allerdings nichts, meint Bunia, obwohl doch z. B. der Wissenschaftsrat genau dieses Problem schon 1967 moniert habe und es in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder hochschulpolitische Versuche gegeben habe, den Einfluss der Lehrstuhlinhaber*innen zurückzudrängen. Ja, seit den späten 1990er Jahren kehre die Ordinarienuniversität gar wieder mit voller Wucht zurück, im Zuge der immer bedeutsamer werdenden Drittmittelfinanzierung der Forschung. Während 1960 das Verhältnis von Professoren zu Mitarbeiter*innen 1/3,3 gewesen sei, habe es 2012 bei 1/6,9 gelegen und sei im Zuge der Exzellenzinitiative vermutlich noch extremer geworden. Lediglich 9 % des wissenschaftlichen Personals würden über den Fortgang der Wissenschaft entscheiden.
Die historischen Gründe für diesen Sonderweg sieht Bunia im vorletzten Jahrhundert, in den Naturwissenschaften sei es nach 1850 ein deutsches Erfolgsmodell gewesen, Professoren mit Personal auszustatten, das sei mit dafür verantwortlich gewesen, dass Deutschland ab 1880 zu einer führenden Wissenschaftsnation der Welt aufsteigen konnte. Heute aber würden andere Bedingungen gelten, die Verwaltung von Personal und Mitteln und die Repräsentationspflichten entzögen den Professor*innen Zeit, die sie für originäre Forschung nicht aufwenden könnten. Warum aber passiert nichts, obwohl alle wüssten, dass das so ist, fragt sich Bunia. Quelle des beharrenden Widerstands sei die HRK, meint er, offenbar gehe es Professor*innen darum, das Entscheiden in der Wissenschaft nicht anderen zu überlassen.
Das Spannende an Bunias Argumentation ist nicht zuletzt und neben ihrer Triftigkeit der Umstand, dass sie überhaupt jemand vertritt, denn in der heutigen hochschulpolitischen Konstellation ist sie ein Ticket direkt aus dem Spielfeld heraus. Ihr Kernargument ist weitgehend inkompatibel mit dem Hauptstrom der heutigen hochschulpolitischen Arena. Das ist vermutlich auch der Grund dafür, warum vor einem Jahr die Langversion des Arguments im Merkur hochschulpolitisch weitestgehend unbeachtet geblieben ist.1 Das macht das Argument allerdings nicht falsch, was die Diagnosedimension betrifft. Interessant ist auch die Diagnose, dass die Exzellenzinitiative ältere Bemühungen, das Professorat einzuhegen um mindestens ein Jahrzehnt zurückwirft. Denn sie hebt Professor*innen zusätzlich heraus und verändert das Zahlenverhältnis von Professor*innen zu anderen wissenschaftlich Beschäftigten nochmals zuungunsten der ersteren. Damit wird die Widersprüchlichkeit der deutschen Wissenschaftspersonalstruktur, die darin liegt, dass ausgerechnet diejenigen 10 %, von denen man meint, sie könnten am besten Forschen und Lehren, systematisch von Forschung und Lehre abgehalten werden, indem man sie mit Begutachtungen, Personal- und Budgetplanungen etc. beschäftigt, auf die Spitze getrieben. Gleichzeitig wird fast alle projektförmig organisierte Forschung von denjenigen erledigt, die man für schlechter hält. Das kann nicht ohne Konsequenzen für die wissenschaftliche Qualität projektförmig erzeugter Forschungsergebnisse bleiben, es sei denn das Scharnier zwischen Professor*innen und Nichttenurierten ist aus fachlicher Perspektive unerheblich.
Wie dem auch sei, die Befürchtung, dass Professorat und Innovativitätserwartungen an das Wissenschaftssystem kollidieren können ist nicht neu. Fritz Ringer hatte es in seiner Mandarinestudie 1969 bereits erwähnt, ebenso der Wissenschaftsrat 1967. Der Innovationsgarant Ordinariat hatte sich in dem Moment in einen Reaktionsgaranten verwandelt, als der die Universität tragende Staat nicht mehr monarchistisch, konservativ rechts von großen Teilen der Zivilgesellschaft war. In der Weimarer Republik standen die vormaligen Verteidiger der Wissenschaftslogik plötzlich rechts der Parlamentsmehrheiten, definitiv rechts der Sozialdemokratie und von allem links davon.
Dementsprechend war das Professorat und mit ihm die deutsche Universität nach 1945 diskreditiert, weil eine institutionelle Widerständigkeit gegen den NS-Staat nicht vorzufinden war, dennoch dauerte es nach dem Zweiten Weltkrieg mehr als 20 Jahre bis Hochschulpolitik begann, etwas gegen die Übermacht der Professor*innen zu tun. Dann aber kamen die späten 1960er Jahre und damit auch der Versuch das Professorat insofern zu demokratisieren, als man es ausweitete und sozial öffnete. Viele, die unter anderen Umständen nicht dahin gelangt wären, wurden Professoren. In den 1980er Jahren setzte sich die Auffassung durch, das sei ein Fehler gewesen. Bis es wieder zu einer Öffnung nach unten kam, zur Einführung der Juniorprofessuren sollten etliche Jahre, fast Jahrzehnte vergehen. Bis dahin überwogen Tendenzen einer sozialen Schließung. Die Juniorprofessur wurde dann im Zuge einer Reform akademischen Nachwuchswesens eingeführt, in unterschiedlichen Ländern, an unterschiedlichen Universitäten mit durchaus unterschiedlichen Ausgestaltungsmodi: Mal stand der erste Wortteil Junior- im Vordergrund (Variante a), Tenure und Ausstattung fehlten, diejenigen, die noch vor wenigen Jahren C1-Stellen bekommen hätten, wurden nun einfach Juniorprofessor*innen, mal stand der zweite Wortteil im Focus, es gab Ausstattung, Budget und manchmal auch schnell Tenure (Variante b). Grob gesagt, je ordinarienlastiger eine Universitätskultur war, also je östlicher und südlicher eine Universität in Deutschland gelegen war, desto wahrscheinlicher war es, dass Variante a dominierte.
Warum aber sind die Beharrungskräfte des Professorats so hartnäckig persistent? Man könnte mit Pfadabhängigkeiten argumentieren, damit, dass die Universität ja eigentlich gar keine moderne Organisation sei, sondern eine Hinterlassenschaft des europäischen Mittelalters. Dass, das Professorat ebenso wenig eine moderne Institution sei, es im 17. Und 18. Jahrhundert vielerorts die Erbprofessur als Regelmodell gegeben habe (am ausgeprägtesten in Basel). Dagegen spricht nur, noch im 19. Jahrhundert hat es auch Gymnasialprofessoren gegeben, die Professur war also nicht auf Universitäten beschränkt; die Schule hat Professoren zu Lehrern gemacht, die Universität vermochte dies nicht und es war eine organisationale Entscheidung davon abzusehen. An in der Vormoderne begründeten Pfadabhängigkeiten kann die Persistenz des universitären Professorats also eher nicht liegen.
Noch umstrittener als Bunias Diagnose ist sein Therapievorschlag. Er möchte ein Departmentmodell nach amerikanischem Vorbild. Das Department wäre zuständig für Geld, Personal und Kapazitätsverteilung. Das ist – auf den ersten Blick zumindest – inkompatibel mit den Erfahrungen, die die weitaus meisten mit akademischer Selbstverwaltung auf Institutsebene gemacht haben. Schließlich erlebt man diese vielerorts geradezu als Sinnbild von Zeitverschwendung und Ineffizienz. Man fragt sich dann, was es bringen soll, eine weitere Ebene mit Handlungsmacht und Aufgaben auszustatten oder eine Ebene wiedereinzuführen, die man vielerorts ja gerade erst in den 1990er Jahren abgeschafft hatte. Schließlich ist es auf den ersten Blick schwer zu vermitteln, was Departments von den Fachbereichen der 1870er und 1980er Jahre unterscheidet. Vielfach aber sind Universitätsinstitute bis zur Unkenntlichkeit entmächtigt, bestehen aus zwei bis drei Fachgebieten und haben keinen sinnvoll zu bearbeitenden Entscheidungshorizont und sind deshalb nur eingeschränkt handlungsfähig, damit fehlt eine Übersetzungsinstanz zwischen der noch auf Fakultätsebene dominanten organisationalen Handlungslogik und der auf Institutsebene dominierenden fachlichen. Das klassische zwei bis drei Lehrstühle umfassende Institut mit einer auf ein ganz bestimmtes (Teil-)Feld zugeschnittenen Denomination wie z. B. Tragwerkslehre oder Fachdidaktik der Physik wäre nun auch nicht unbedingt das, was hier gemeint ist. Ein sinnvoller Entscheidungshorizont wäre schon gut, eine Studienrichtung, wenn kein Studiengang und mindestens fünf Fachgebiete zu umfassen wäre auch gut.
Etwas stärker noch wird Bunias Vorschlag, wenn man ihn in den Zusammenhang seiner auf mehr Platz im Merkur vor einem Jahr dargelegten Überlegungen einrückt. Dort hat er, unter Rückgriff auf Lewis Cosers Konzept der gierigen Organisation auch die Universität als eine solche bezeichnet. Gierige Organisation sind Organisationen, die von ihren Mitgliedern mehr verlangen, als es ihren formalen Pflichten entspricht, von totalen Organisationen unterscheiden sie sich durch das Fehlen von Gewalt im Binnenverhältnis, wie Sekten herrschen gierige Organisationen mit einer Mischung aus Sanktionsdrohung, der Evokation schlechten Gewissens und der Vermittlung des Gefühls dauerhaften Ungenügens. Man schreibt dann in der Freizeit, korrigiert studentische Hausarbeiten auch, wenn der Vertrag ausgelaufen ist.
Allerdings geht Bunias dort vorgenommene Parallelisierung von Universität und Sekte nicht ganz auf und das liegt an der in seiner Argumentation fehlenden Unterscheidung von Organisation und Fachgemeinschaften. Denn ohne die Mithilfe der Scientific Communities und ihrer Kräfte wäre die Universität unfähig, eine gierige Organisation zu sein. Niemand wäre bereit, der Gier der Organisation zu entsprechen (ja im Gegenteil Viele, sehr Viele haben ein passiv-aggressives Verhältnis zu ihrer Universitätsorganisation), gleichwohl ist der Wunsch, zu einer Scientific Community zugehören zu wollen so übermächtig, dass er die Leute nachts und wochenends an die Schreibtische treibt. Erst diese Mischung aus organisationalem Dulden des organisational eigentlich Abzulehnenden und individuellen Wünschen der Wissenschaftsgemeinschaft anzugehören, macht es möglich, Leute mit halben Gehältern zu bezahlen und sie trotzdem 50 oder 60 Stunden in der Woche arbeiten zu lassen. Das schaffen sonst nur noch Kultureinrichtungen oder Kirchen.
Die Scientific-Communities stehen nun in einem durchaus nicht spannungsarmen Verhältnis zu den universitären Organisationen, sie können nicht gut mit ihnen, ohne sie aber auch nicht. Das Departmentmodell wäre nun vor diesem Hintergrund als ein Ansatz zu verstehen, das Zusammenschalten von Organisation und Scientific-Community (wieder) logischer auszugestalten als es bislang ist. Derzeit fehlt eine vernünftige Vermittlung von organisationaler und wissenschaftlicher Handlungslogik, weil in Fakultätsverwaltungen und Instituten die Kompetenz dafür fehlt: die Fakultäten sind dem Fachlichen zu fern, in den Instituten wiederum ist das Organisationswissen oft nicht vorhanden, schließlich verstehen viel Wissenschaftler*innen Funktionsweisen und –vermögen der Universität mehr schlecht als recht. Allein deshalb lohnt es sich, über Bunias Vorschlag nachzudenken.
1 Leider hat der Merkur mit seiner Bezahlschranke dazu beigetragen, dass der Artikel online nicht gut zu finden ist, das dürfte bei seiner Nichtverbreitung geholfen haben.