Kursorische Gedanken zum Klimaschutzministerium

Als die Grünen vor etwa einer Woche ihr Klimaschutz-Sofortprogramm vorstellten, war die Aufregung groß. Demokratiewidrig, ja, gar totalitär sei der Vorschlag, ein Klimaschutzministerium mit einem Vetorecht auszustatten, falls Gesetzentwürfe vorliegen sollten, die dem Pariser Klimaschutzabkommen widersprächen. Auf Gegenwind musste man also nicht lange warten: Angelegenheit aller Ministerien sagten die einen, Turbo statt Veto beim Klimaschutz die anderen, einer (Lindner) behauptete sogar, das sei vor allem eine linke Gesellschaftsumbauvorstellung und ein anderer (Merz) fand, dieser Vorschlag der Grünen zeige deren „staatsautoritäres Denken“. Wenig, was da aufschwallte, war interessant oder auch nur anregend. Die meisten hatten das Grüne Sofortprogramm auch nicht wirklich gelesen, oder beuteten, die Vagheit aus, die ein Satz wie „sollten Gesetze vorliegen, die nicht Paris-konform sind“ erzeugte aus, um eigene Talking Points an das Publikum zu bringen.

Hier will ich mich nicht mit dem eben genannten eher illiteraten Widerspurch befassen, sondern nur das diskutieren, was interessanter ist. Auf Twitter gelangte ein konservativer Intellektueller zu der Aussage, der Vorschlag laufe dem Wesen des Politischen zuwider, weil dieses aus dem Abwägen bestehe. Wenn auch womöglich unfreiwillig hat er damit zwar nicht das Wesen des Politischen angemessen beschrieben, das besteht aus so viel mehr, als bloß Abwägen, sehr wohl aber das des Konfliktes um solch ein Ministerium. Er beschreibt damit die Kränkung, die dem Politischen widerfährt, wenn es nicht mehr nach eigener Maßgabe Belange wegwägen kann. Bislang war es den nicht mit Umwelt- und Klimaschutz befassten Minister*innen möglich, alles, was das Umweltministerium einbrachte, beiseitezuschieben. Und das ist oft genug, eigentlich immer wieder, passiert. So betreibt die Bundesregierung bis jetzt eine Verkehrspolitik, die so tut, als gäbe es kein Klimaproblem, das es zu adressieren gälte, weil die CSU das vom Verkehrsressort nach Bayern gelenkte Betongeld halt sehr dringend braucht, um interne lokale Machtkonkurrenzen austarieren zu können. Aus Sicht der CSU ist das Freiheit.

Das zweite Argument war, dass Klimaschutz eine Querschnittsaufgabe aller Ressorts sei. Es ist schnell entkräftet, weil Klimaschutz ja schon jetzt eine Querschnittsaufgabe ist, aber halt von keinem Haus als sein zu priorisierender Belangt berücksichtigt worden ist. So war, wie oben beschrieben in der Politik des Bundesverkehrsministeriums wenige davon zu bemerken, dass man sich dort eine Querschnittsaufgabe Klimaschutz zu eigen gemacht hätte. Dort wurde Klimaschutz einfach beiseitegewogen. Etwas mehr auf einer Metaebene war dann noch der Gedanke, man dürfe nicht, wie die Grünen das täten, policy (Politikziele) und polity (Regeln, Strukturen, Erwartungen) miteinander vermengen, weil das die Demokratie beschädige. Ein solches Vorgehen öffne einem Instrumentalismus Tür und Tor. Das Argument verkennt allerdings, dass das auch in einer Demokratie immer wieder geschieht: Wenn Strukturen nicht mehr zu politischen Zielen und Vorstellungen passen werden sie geändert, Landkreise werden zusammengelegt, Regierungsbezirke in einigen Bundesländern abgeschafft. Das muss kontrolliert erfolgen und Grenzen haben, wie die Auseinandersetzungen um das Gerrymandering, das interessenorientierte Zurechtschneiden von Wahlkreisen in us-amerikanischen Bundesstaaten zeigt, aber dieses Grenzen sind nicht so absolut und universell, dass man nicht darüber streiten könnte.

Auch das Bergrecht kennt diesen Effekt des Wegwägens, es darf nach wie vor Braunkohle abgebaggert werden, und der im Kreis der Bundesländer Hidden Klimaschurkereihchampion Niedersachsen erteilt nach wie vor Abtorfgenehmigungen in seinen Mooren[1], als gäbe es kein Klimaproblem. Die Interessen der Gartenbau- und Torfwirtschaft gelten nach wie vor mehr als der Klimabelang. Wenn da nun ein Klimaschutzministerium auf Bundesebene in der Lage wäre, Politikwechsel auf mittleren und unteren Ebenen durchzudrücken, das wäre dann tatsächlich die Brechstange vor der der o. g. konservative Intellektuelle warnte.

Zu einer derartigen politischen Landschaftspflege passt ein Vorschlag, einem Klimabelang Vorrang einzuräumen nicht gut. Man könnte auch nicht mehr so wie bisher von dem Einen (Klimaschutz) erzählen, um dann das Andere (Ausweisung von Flächen zum Torfabbau) zu machen. Vor allem passte der Vorschlag aus Sicht der ihn kritisierenden Parteien nicht, weil es ein Vorschlag der Grünen ist. Mit anderen Worten, es geht der Kritik weniger darum, dass da ein Belang eingebaut werden soll, der gegenüber anderen Vorrang hat (das gibt es bei Finanzen schließlich auch), die Leute stört, dass es sich dabei um einen Belang handelt, der nicht der ihre ist.

Robert Habeck nennt diese Konstellation seit einigen Monaten Konstellation der Antwortlosigkeit. D. h. Politiker*innen verteidigen bei der Klimafrage ihr Recht, sie nicht zu priorisieren und mit der Klimaproblematik verbundene Fragen einfach unbeantwortet zu lassen. Dabei führt eine Suche nach Antwortlosigkeit auf interessante, wenn auch etwas beschattete Pfade: spirituelle Frauenbewegung und die Heidegger Rezeption. Heideggers Zwiespältigkeit habe sei in seiner tiefen Überzeugung begründet gewesen, dass Denken nur dann Denken sei, wenn es in Antwortlosigkeit verharre.[2] Aber der Begriff findet sich auch in der Sprache der Theaterkritik (so z. B. bei Nachtkritik.de) und bezieht sich dort dann einfach nur auf Nichtdialogizität, besagt, dass Leute hier und da mit ihren Fragen unbeantwortet bleiben. Eine Kurzrecherche zum Antwortlosigkeitsbegriff ergibt, dass der Habecksche Begriffsgebrauch epistemischer ist, als das in den meisten anderen Kontexten der Fall ist.

Antwortlos zu bleiben war somit eine arbiträr wählbare Freiheit des Politikbetriebs, der nicht darauf verwiesen war, in jeder Hinsicht schlüssige Antworten zu liefern. Noch heute wird diese Freiheit von einer Berliner SPD Kandidatin für das Amt einer Regierenden Bürgermeisterin der Stadt verteidigt. Sie möchte eine Autobahn durch die Stadt bauen können, ohne sich mit der lästigen Frage, wie dieses Vorhaben zur Klimabedrohung passt auseinandersetzen zu müssen.

Aus dieser Perspektive ist der Grüne Vorschlag, ein Ministerium für Klimaschutz aufzusetzen, und ihm ein Vetorecht am Kabinettstisch zu verleihen, eine Beleidung. Erstaunlicherweise sind die Leute bereit, Gleichartiges im Finanzkontext hinzunehmen. D. h. die Restriktion Geld wird akzeptiert, die Restriktion Klimabewahrung nicht, obwohl Klima eine weit konkretere Materialität aufzuweisen hat als Geld, denn anders als Geld, ist Klima ein messbares Faktum und keine zu nur scheinbarer Materialität auskristallisierte soziale Beziehung. Und nicht zuletzt: Geld oder kein Geld zu haben, ist kein politisches Argument. Ob etwas dem Klima schadet, seinen Wandel beschleunigt sollte hingegen ein politisches Argument sein, weil Klimawandel einfach passiert und sich nicht wie Geld politisch erzeugen lässt. Das wissen diejenigen, die Klimapolitik bekämpfen so gut wie die, die den Wandel des Klimas aufhalten wollen, allein deshalb arbeiten sog. Klimaskepitker so daran, Klimawandel als ein Artefakt des Politischen hinstellen zu wollen.

Ernsthaften Streit gibt es aber eigentlich nicht darum, ob es menschengemachte Erderhitzung gibt, sondern nur darum, wie ihr zu begegnen ist. Denn, und das wissen ja auch alle, es wird kosten, dagegen anzugehen, einfach deshalb schon, weil die Infrastrukturen, die wir haben, fossilistisch sind. Energie CO2-neutral zu erzeugen, ist vielleicht technisch gesehen nicht unbedingt teurer als dies auf fossilistische Art zu tun, aber wenn alle Infrastrukturen fossilistisch sind, schon. Der Streit geht nun darum, wer da bezahlen soll. Sollen diejenigen zahlen, die es können, weil sie das Geld erst einmal haben oder solle es von Anfang an eine Aufgabe der gesamten Gesellschaft sein, sich dem Problem zu stellen. Mir scheint Zweiteres die bessere Option, weil da die Gerechtigkeitspotentiale größer sind. Denn im ersten Fall werden, die die erst einmal zahlen, sehen, wie sie sich bei den Schwächeren refinanzieren können und dass werden sie bestimmt nicht nach Gerechtigkeits-, sondern nach Opportunitätserwägungen machen.

Ende der Antwortlosigkeit des Politischen heißt aber auch noch etwas anderes. Es heißt nicht, wie eine dialogische Metaphorik suggerieren würde, dass nun künftig jede Frage von Politik beantwortet werden müsste, gleich wer sie stellt, wie rabulistisch oder destruktiv sie ist. Vielmehr kommt es auf Güte und argumentativen Gehalt einer Frage an und ob sie sich auf einen relevanten Sachverhalt bezieht. Wenn das aber der Fall ist, sollte der Politik die Freiheit genommen sein, sie nicht zu beachten. Wenn es nicht vernünftig begründbar ist, warum eine Frage nicht beantwortet wird, schuldet die Gesellschaft den Fragenden eine Antwort und wer sollte diese Antwort geben können, wenn nicht die Politik.

[1] Noch immer wird in Niedersachsen auf 10.000 ha. abgetorft. Selbst das in diesem Jahr (2021) geänderte Raumordnungsprogramm des Landes sieht noch neue Vorrangflächen für Torfabbau vor.

[2] Sagt jedenfalls Sabine Klomfaß in der Rezension eines Sammelbandes über Heideggers politische Irrwege (Gottfried Schramm (Hg.) 2000: Martin Heidegger. Ein Philosoph und die Politik; Freiburg: Rombach Verlag; url: https://literaturkritik.de/id/3736, Zugriff am 10.08.2021.)