Homöopathie im Anthropozän. Wie man mit wissenschaftlichem Wissen Politik macht und wie besser nicht. Ein Zwischenruf

Parteipolitische Themen habe ich bislang hier nicht angerührt, aus Gründen. Das hat zum einen damit zu tun, dass das hier nicht der Ort ist für parteipolitische Interventionen, zum anderen, weil es zu oft Themen sind, die außerhalb der Grünen Partei nicht von Interesse sind. Bei diesem Thema aber ist das anders, denn es geht dabei auch um das Zusammenarbeiten von Politik und Wissenschaft, genauer um die Frage, wie bringt man wissenschaftliches Wissen in die Politik und was folgt daraus dass die Legitimität wissenschaftlicher Wissens- und Geltungsansprüche so ganz anders zustande kommt als die politischer. Mit anderen Worten, wie fängt man das Problem ein, dass Legitimation in der Wissenschaft auf meritokratischem Wege zustande kommt, in der Politik aber auf demokratischem.

Meine Ausgangsthese dabei ist, dass es da zu einer Verschiebung gekommen ist. Politik ist heute immer mehr und immer wieder mit dinglichen Konsequenzen ihres Entscheidens konfrontiert. Was in der Politik entschieden wird, macht in der Welt der Dinge da draußen einen derartigen Unterschied, dass Rückwirkungen auf die Welt dessen, was es politisch zu entscheiden gilt, eintreten. Und das nicht nur gelegentlich, weil man eine Insel abholzte oder eine Flussniederung trockenlegte, sondern immer, jeden Tag in vielerlei Politikfeldern. Dieses Zeitalter nennen wir heute auch deshalb Anthropozän, weil das, was wir da machen lange wirkt, für Jahrtausende und länger Konsequenzen hat. Politik für dieses Zeitalter habe ich in einem anderen Text anthropozäne Politik genannt (wenn es soweit ist werde ich hier dahin verlinken) D. h., die Kopplung des Politischen mit dem Dinglichen wird im Anthropozän enger, vormals vorhandene Elastizität der Kopplungen ist geschwunden. Daraus folgt, das Wissen nicht mehr selektiv angeeignet werden kann wie früher, sondern als wissenschaftliches dem politischen Entscheiden immer mehr zugrunde liegt. Ignorieren kann man es nicht mehr, Wille zum Unwissen fällt einerseits auf, führt andererseits zu Kollisionen mit den Dingen wie sie sind. Verkehrspolitiker aus Kreisen der CDU und CSU erleben das gerade relativ hart.

Aber diese selektive Verknüpfung mit Wissen, betrifft nicht nur die Politik anderer Parteien, sondern ist – und deshalb ist das Postulat einer anthropozänen Politik auch so wichtig – in die DNA der Politik eingewachsen. Als hätte jede Partei eine Art Wissenslandkarte in den Köpfen ihrer Mitglieder, als würde sich der Wille zum Wissen mit dem zum Unwissen kreuzen und mischen. Das Leugnen eines menschengemachten Klimawandels ist ein weithin rechtes Bemühen, dem es darum geht, alte Moderne, so wie diese Leute glauben, dass sie gewesen sei, zu bewahren. Dafür muss man weiter ignorieren können, dass die alte Moderne ihre Umwelt in Mitleidenschaft nimmt und nahm. Diese politische Freiheit zum Ignorieren ist offenbar so verlockend, dass auch pluralistische Parteien ihrem Lockruf erlegen sind und immer noch erliegen. Heute abend (am 04.11.) wird auf dem sogenannten Autogipfel wieder darum gerungen.

Aber auch die Grüne Partei hat da ihre Zerklüftungen, ihre Überkreuzungen aus Willen und Unwillen zum Wissen. Dazu kommt es dann, wenn Grüne mit Wissen konfrontiert sind, von dem sie lieber nichts wissen wollen. Es sei nicht wichtig heißt es dann, und es lohne nicht Millionen potentielle Wähler vor den Kopf zu stoßen, nur um da einem Anspruch auf die allgemeine Gültigkeit von evidenzbasiertem Wissen zu Entsprechen. Das ist kaum anders, als würde die CDU sagen, wegen eines ¼ Grades Klimaerwärmung lege man sich doch nicht mit Millionen mobilitätsbedürftigen AutofahrerInnen an. Bei einem anderen Thema weisen Grüne, nicht minder von dem Bedürfnis nach Ignoranz angetrieben, darauf hin, dass sich doch eigentlich gar nichts geändert habe, und dass die Gewissheiten, die man vor mehr als 20 Jahren einmal formuliert habe, gälten. Beide Einforderungen eines Rechtes auf strategische Ignoranz sind sich zu ähnlich, als das es möglich wäre, darüber hinwegzusehen.

Beide Steine des Anstoßes haben ihre Ursachen in der Grünen Geschichte. Till Westermayer hat in seinem Blog vor zwei Tagen darauf hingewiesen, dass es in der Grünen Parteigeschichte einen katholischen und eine protestantischen Modus der Zurkenntnisnahme sachlicher Unvereinbarkeiten gegeben habe: Der katholische erlaube Koexistenz in der kognitiven Dissonanz und lasse stehen, was rational nicht vereinbaren lasse, der andere Modus stelle sich dem Problem und versuche, es sachlich zu entscheiden. Mit dem katholischen Modus sei die Partei in der Vergangenheit oft gut gefahren, was erklärt, warum sowohl in der Homöopathie- als auch in der Crispr-Debatte die Vergangenheit so gern aufgerufen wird: In der Homöopathiedebatte heißt es, damals, ja damals waren wir doch immer kritisch, in der Crispr-Debatte auch. Der Satz, „die Konzerne dürfen uns nicht spalten“ ist in beiden Debatten geflügelter Topos. In beiden Debatten sucht eine der Seiten Antworten für die Zukunft in der Vergangenheit und meint Grüne Parteigeschichte determiniere, wie man hier zu entscheiden, zu verfahren habe.

In Hinblick auf anthropozäne Politik fällt hier der Grünen Partei etwas auf die Füße. „Unite behind the science“, Umsetzen, was Wissenschaft sagt, das sind Slogans der Klimabewegung jetzt. Wenn Politik will, dass diese Slogans nicht zu Politkitsch erstarren, kann sie sich zum einen nicht mehr entscheiden, was sie wissen will und was nicht und muss zum anderen soviel scientific literacy aufbringen, dass man weiss, dass man es hier mit einer so fragmentierten wir spezialisierten Nachrichtenlage zu tun hat, aus der keine Gewissheiten aber doch hinreichende Wahrscheinlichkeiten ableitbar sind. Und dass man nicht machen kann und soll, was eine einzelne Wissenschaft (oder ein Bündel von Disziplinen sagt), sondern Ergebnisse ins Politisch Aushandel- und Entscheidbare übersetzen muss. Das ist anstrengend und führt vielleicht dazu, dass die eine oder andere Gelegenheit eine billigen Punkt gegen Gegner*innen zu machen dahinschwindet. Für eine gute Zukunft sollte es aber den Versuch wert sein.