Als Friedhelm Nonne ehemaliger Kanzler der Universität Marburg im Dezember sein kleines Böll-Papier zur ausstehenden Wissenschaftszeitvertragsgesetz vorlegte, war es höchste Zeit, auch aus grünnahem Umfeld endlich einmal eine einschlägige Positionierung zu bekommen. Der sogenannte Stakeholder-Dialog des BMBF war im Dezember seit einigen Monaten im Gange, so recht, wissen, wer da wie welche Stakes hält, konnte man allerdings nicht und die bisherigen Selbstpositionierungen des Ministeriums gaben und geben ja immer noch keinen Anlass, voll allzutiefer Vertrauenserwartung auf den Prozess zu blicken. Und schließlich drängt die Zeit: Mit einem Referentenentwurf aus dem BMBF ist laut Äußerung eines der Brandenburgs „irgendwann im Winter“ zu rechnen.
Viel zeitnahe Resonanz im vorweihnachtlichen Dezember gab es dann allerdings auch nicht auf Nonnes Papier, was da an Reaktionen kam, war leicht zu übersehen. Entweder waren es Schweigen (aus dem BMBF, von der HRK oder von den Bundestagsfraktionen der Regierungsparteien)[1] z. T. aber wurde Nonne kritisiert, weil er am Mythos der Gefahr wissenschaftsbetrieblicher Fehlbesetzungen mitstricke, aber die Gefahr von Fehlbesetzungen bei Leitungsämtern in Hochschulen gar nicht thematisiere. Letzteres tat er tatsächlich nicht, musste es aber auch nicht, weil sein Papier um etwas anderes ging. Kritikanlass im Kern war dann wohl auch eher, dass Nonne sich mit seinem Papier zwischen die Stühle gesetzt hatte. Sein Grundansatz ist recht nah an dem, was schon vorher von der Jungen Akademie gesagt worden ist, d. h. er will einerseits die Promotion (R1) regeln, für die Postdocphase nur noch eine Befristung für die ersten Jahre nach der Promotion (R2) vorsehen und für die Stufen R 3 und R4 Entfristungsoptionen sehen, aber anders als die GEW oder das Netzwerk für gute Arbeit in der Wissenschaft nicht ganz jegliche Befristung nach der Dissertation abschaffen wollen. Interessant an Nonnes Position ist aber, dass er als Kanzler a. D. einen umfassenderen Blick auf die Misere und ihre Praxis hat[2] und, weil er nicht nur (wie bereits viele andere) auf die Promotions- und die Postdocphase blickt, sondern auch auf die Dauerbeschäftigungsphase nach all den Befristungen und das ist etwas, was bis jetzt kaum jemand gemacht hat, aus Gründen.
Für die Promotionsphase wünscht sich Nonne einen Vierjahreszeitraum, möchte aber Promovierende umfassend von qualifikationsfremden Aufgaben entlastet sehen. Angesichts einer durchschnittlichen Promotionsdauer von 5,7 Jahren fachübergreifend ohne Medizin und vor dem Hintergrund der begründeten Auffassung, dass dieser Zeitraum zu lang ist, scheint mir das ein vernünftiger Vorschlag zu sein.[3] Nichtpromovierte sollen demnach nur noch mit dem Grund Erstellung einer Dissertation befristet werden können, d. h. im Gegenzug all die Projektbefristungen aus Gründen, dass Geld einfach nur für eine begrenzte Dauer da sei, gehen dann nicht mehr. Weiterhin will Nonne Dienstleistungsaufgaben in der Lehre auf das 2. und 3. Jahr des Beschäftigungszeitraums beschränkt sehen.
Einen generellen Verzicht auf befristete Beschäftigung Promovierter auf Haushaltsstellen will Nonne nicht, stattdessen sieht er wie die Junge Akademie 2022 eine zweijährige. Orientierungsphase vor, in der sich entscheiden soll, ob und auf welchem Pfad jemandem eine Dauerperspektive im Wissenschaftssystem angeboten werden soll. 60, besser 80 % der Professor*innenstellen sollen seiner Meinung nach als Tenure Track-Stellen vergeben werden, auf die Habilitation will er ganz verzichten, allerdings soll es weiter die Möglichkeit geben Stellen auch mit bereits Berufenen zu besetzen.
Für einen Sechsjahreszeitraum auch nach der Dissertation soll es nach Nonne auch Qualifikationsstellen für Promovierte geben. Formale Ziele soll es hierfür jedoch nicht geben, vielmehr will Nonne, dass es individuell vereinbarte und den Fachkulturen angepasste Zielstellungen geben soll. Dieser Sechsjahreszeitraum soll ein Zwischenassessment nach drei Jahren umfassen, in dessen Rahmen sich erweisen soll, ob das Erreichen einer dauerhaften Beschäftigung im Wissenschaftssystem absehbar ist. Nach diesen sechs Jahren soll es nur dann die Möglichkeit einer weiteren dreijährigen Befristung geben, wenn eine Anschlussbeschäftigung aus Drittmitteln gewährleistet ist.
Der interessanteste Aspekt an Nonnes Papier sind aber nicht seine Vorschläge in Hinblick auf die Beschäftigung von Doktorand*innen und Postdocs, sondern das, was er zu Professuren zu sagen hat. Denn anders als die meisten Papiere zum Thema sagt Nonne klar, dass es davon im deutschen Wissenschaftssystem zu wenige gibt und schlussfolgert daraus auch etwas. Und anders als zum Beispiel der Wissenschaftsrat, schaffte es Nonne auch das Dogma der deutschen Diskussion, die Idealisierung und Hagiographierung der Professur als Problem zu benennen. Er vermeidet damit die die toxisch deutsche Mischung aus Verknappung einerseits und Überhöhung andererseits. Denn bisher hat niemand, wenn man einmal von der JA absieht, ernsthaft vorgeschlagen, die Anzahl der Stellen für Professor*innen auf Kosten der Anzahl der Stellen für befristet Beschäftigte zu erhöhen. Professor*innen wollen das nicht, weil sie damit ihre Ausstattung schwinden sähen, Ministerien wollen das nicht, weil befristet beschäftigte Wissenschaftler*innen das Material ihres Wirkvermögens sind. Aus diesem Grund schlägt zum Beispiel der Wissenschaftsrat so etwas nicht vor, und die Hochschulrektorenkonferenz auch nicht. Professorinnenprogramme werden zwar gemacht, nicht jedoch in dem Umfang der geboten wäre.
Ohne es zu sagen, legt Nonne damit den Finger auf das Hauptproblem wissenschaftspolitischer Findungsprozesse in Deutschland, dass sie zu wenig daran orientiert sind, eine bestmögliche Wissensproduktion zu gewährleisten und zu sehr auf die Bedürfnisse von Organisationsspitzen gut durchzukommen, ausgelegt sind. Deutsche Wissenschaftspolitik steht sich damit immer wieder selbst im Weg, legt ein zu großes Gewicht auf organisationale Strategie und ein zu kleines auf Daseinsvorsorge für eine gute Wissensproduktion. Das reicht zum Teil so weit, dass diese ausschließlich subsidiär verstanden, an die niedrigstmögliche Instanz durchgereicht wird. Geschäftsführende Direktoren, Institutsleitungen werden damit für gute Arbeitsbedingungen von Wissenschaftler*innen verantwortlich gemacht, während die Organisationen der Wissenschaft sich nur für sich selbst verantwortlich wähnen.
Genau das ließ sich schließlich auch gut bei allem Streiten über die Arbeitsbedingungen in der Wissenschaft beobachten. Bis heute fühlt sich niemand in einer Ergebnisverantwortung. Alle reagieren stets nur auf die anderen und können nicht anders, als sie tun. Dem Geschäftsführendem Direktor bleibt nichts anderes übrig, als der neuberufenen Person eine quantitativ umrissene Zielvereinbarung in Sachen Drittmitteleinwerbung aufzudrücken, der Dekan kann natürlich nicht anders, als diese durchzuwinken und die Hochschulleitung hat natürlich nur eine Erwartung kommuniziert und ist ja sowieso nicht für die konkrete Ausgestaltung wissenschaftlicher Arbeitsbedingungen verantwortlich und so weiter und so fort.
So ist auch niemand konkret dafür verantwortlich, dass es zu viele Promovierende, zu wenig Professor*innen gibt und niemand macht sich daran endlich ernsthaft daran, nichtweisungsgebundene Personalkategorien neben oder unter der Professur konkret auszudiskutieren. Dies scheint eine weitere Facette der toxisch deutschen Überhöhungsverknappung der Professur zu sein. Insofern ist, was das Wissenschaftszeitvertragsgesetz betrifft auch von dieser Reformrunde nicht allzu viel zu erwarten, weil nach wie vor alle Beteiligten genau dasselbe wollen und nicht wollen, was sich schon immer gewollt und nichtgewollt haben. Ob über dieses Wünschen und Blockieren gesprochen werden wird, ob die Warums und die Motive auf den Prüfstand kommen, das ist auch meiner Sicht die eigentliche Frage, die man an den aktuellen Prozess stellen müsste. #ichbinHanna hat da für eineinhalb Sommer mal ein Fenster aufgestoßen inzwischen ist es wieder zuer und bei allem was ich höre, ich bin nicht sicher, ob die Regierungsfraktionen im Bundestag bereit sind, es wieder zu öffnen.
[1] Schweigen ist in solchen Fällen, wenn jemand Dinge auf den Tisch legen will, über die man selbst nicht reden will, immer noch die bewährteste und am billigsten zu habende Machtstrategie.
[2] Interessant ist das alles schließlich auch, weil Nonnes Kollegenkreis mit der berüchtigten Bayreuther Erklärung 2019 eine ganz anders klingende Positionierung vorgenommen hat. Mir ist damals zu diesem Papier wirklich nicht viel eingefallen s.: https://sciencepolicyaffairs.de/was-es-zur-bayreuther-erklaerung-der-universitaetskanzlerinnen-zu-sagen-gibt-ein-poebeltext/ .
[3] Ich selbst lag mit meiner Promotionsdauer genau in diesem Rahmen, habe allerdings in den ersten zwei Jahren meiner 5,5 Jahre bezahlter Promotionszeit im Wesentlichen Dinge erledigt, die mit meinem Qualifikationsziel nichts zu tun hatten.