#Lautewissenschaft. Warum sie sein muss

Wissenschaft soll politisch neutral sein in Bezug darauf, was politisch stattfindet, nicht jedoch leise in Hinblick darauf, wie sie als Wissenschaft stattfinden kann. Wenn sich politische Akteure aufmanteln, Grundlagen wissenschaftlicher Wahrheitssuche zu gefährden, muss sie sich laut äußern.[1] Demokratie ist eine dieser Grundlagen, Weltoffenheit eine andere, Antidiskriminierung eine weiter am besten gehen diese drei Dinge miteinander zusammen und bedingen einander. Ohne Demokratie gibt es kein offenes irritiationsbereites Denken, dass Neues entdecken kann, ohne Weltoffenheit entledigt sich Wissenschaft einer ihrer vornehmsten Funktionen, der, kulturelle Bedingtheiten mit ihren Denkschranken hinter sich zu lassen und ohne Antidiskriminierung entgeht Wissenschaft das Denken all der anderen. Zwar kennt Wissenschaft eigene Hierarchien, Kulturen und Unterscheidungen, es kommt aber darauf an, diese zu Kraft und nicht zu Mühlstein werden zu lassen. Und dann ist es auch nicht so, dass die, die es mit der Demokratie anders sehen neutral in Hinblick auf die Wissenschaft wären. Mal wollen sie sie ganz anders, mal wollen sie sie los sein, mal wollen sie eine ganz bestimmte Art von Wissenschaft, die es im schlimmsten Fall gar nicht ist, sei es Hörbigers Welteis- oder eugenische Rassenlehre, Lyssenkoismus oder eine sich Klimaskepsis nennende Pseudowissenschaft der Zurückweisung jeglicher Relevanz  menschengemachten Athmosphärenwandels . All diese Ideen hatten Vorläufe in der Wissenschaft vorangegangener Jahrzehnte, oder vermochten wenigstens  diesen Eindruck zu erwecken und entbehrten insofern nicht zu jedem Zeitpunkt jeglicher wissenschaftlicher Plausibilität für alle, gleichwohl kamen in drei von vier Fällen solche, politisch opportunistisch motivierte Wissenschaftsmodelle mit dem Ende der sie tragenden autoritären Konfigurationen an ihr wohlverdientes Ende. Was meines Erachtens zeigt, dass nichts davon jemals ein ernstzunehmender Beitrag zum demokratisch-gesellschaftlichen Diskurs war.

Wenn diese Abläufe eins zeigen, dann, dass Politik und Wissenschaft so souverän in Hinblick aufeinander nicht sind. Politik folgt zwar anderen Wahrheitserfahrungsweisen als Wissenschaft ist aber insofern nicht unabhängig von Wissenschaft, als sie wissenschaftsleugnend und -verdrängend keine gute sein kann. Wissenschaft wiederum wird haushalterisch von der Politik mit Geldmitteln versehen und ihr wird mit gesetzlichen Regelungen begegnet. Und dann sind Wissenschaft und Politik auch deshalb nicht souverän voneinander, weil Politik, ob sie will oder nicht, die Ereignisketten beeinflusst, die zu der Medialisierung der Kraft erfahrener Wahrheit führen, die wir wissen nennen. Wissen ist insofern nicht mehr als die medialisierte Kraft von Wahrheit und das, was für Medialisierung zur Verfügung steht, prägt die Ereignisketten, die aus den Wahrheitserfahrungen der wenigen Forschenden das Wissen der Vielen macht. Und diese Ketten sind prekär, stets fragil und um nicht disrumpiert zu werden auf Demokratie angewiesen.

Auch aus diesem Grund haben sich demokratische Gesellschaftsformationen als epistemisch überlegen erwiesen, eben weil ihnen eine auf Macht basierende zentrale Steuerung fehlt, die Ereignisketten der Wissensgenese in ihrem Interesse zu beugen neigt. Wissenschaft kann sich deshalb nicht ambivalent in Hinblick auf die Frage zeigen, ob Demokratie jetzt und in Zukunft sein soll. Das gilt für ihre Organisationen, aber auch für die, die sie ausmachen. Wissenschaft soll, muss deshalb laut sein, wenn es darum geht, ob Politik demokratisch bleibt.

Wissenschaftspolitik macht vor diesem Hintergrund nur als demokratische Sinn. Sie muss auf innere Demokratisierung des wissenschaftlichen Betriebes und seiner Organisationen hinarbeiten und darauf, dass Wissenschaft an der Demokratie ihrer sie umgebenden Gesellschaft teilhat. Dabei gilt es Spannungsverhältnisse zu adressieren, weil Wissenschaft selbst im Kern nicht demokratisch, sondern meritokratisch verfasst ist. Nichtdemokratische Wissenschaftspolitik ist, die, wie im vorangegangenen Blogtext beschrieben bloße Wissenschaftspolizey ist, wäre keine der Demokratie.

Und auf einer Metaebene kann Wissenschaft und ihre demokratische Politik der Demokratie helfen. Weil sie von Anfang an darauf ausgelegt ist, Spannungsverhältnisse auszuhalten. Jede wissenschaftliche Disziplin unterliegt der Spannung zugleich zu viel und zu wenig zu umfassen. Dies gilt auch für Politik, die immer zum gleichen Zeitpunkt zu viel und zu wenig potentielle Themen hat. Immer fehlt ein Thema in der politischen Arena, und ist Fortschritt in der Politik dadurch gekennzeichnet, dass bisher Unbesprochenes ihr Gegenstand wird, aber zugleich ist nicht alles politisch, denn wäre es so, wäre zugleich nichts mehr politisch. Politisch können tatsächlich auch nur diejenigen Sachverhalte sein, bei denen sich begründete zweite, dritte oder vierte Meinungen haben lassen. Kann es diese nicht geben in Hinblick auf eine Sachverhalt, dann ist der Sachverhalt auch nicht geeignet Gegenstand politischen Streits zu sein. Daraus resultieren mitunter Kränkungsmomente im politischen Raum, die von konvergierenden Expert*innenmeinungen in wissenschaftlichen Räumen ausgehen. Zugleich wird deutlich, dass Politik da ihren Raum hat, wo es diese Konvergenz von Expert*innenauffassungen nicht geben kann, also dort, wo es im Kern um Divergenzen philosophischer Grundauffassungen geht. Diese sind, sofern sie, den Standards der Gesellschaft entsprechend  begründbar streitig sind, der Ausgangspunkt des Politischen. Diese Grenze zu verschieben ist manchmal sinnvoll, manchmal nicht. Insofern gilt der Refrain des alten Dorau-Songs[2].

[1] Genau deshalb freue ich mich, dass die Wissenschaftseinrichtungen der Stadt, in der ich meistens bin, genau das getan haben: https://www.bremen-research.de/services/pressemitteilungen/demokratie-vielfalt-weltoffenheit-

 

[2] Url: https://www.youtube.com/watch?v=7QPs7PiNxPk