Vorausblick auf 2024

Anders als auf Facebook möchte ich hier mal keinen Jahresrückblick 2023, sondern einen Jahresausblick auf das Kommende vornehmen. Dafür habe ich die Gelegenheit ein bisschen mehr Zeit zu haben, weil ich nun wirklich ohne jede Art politischer Amtsverpflichtung in das bald anfangende Jahr starten kann, nirgendwo muss ich Agenden festlegen, Protokolle schreiben, Räume buchen oder Leute einladen, das befreit auch von etwaigen Rücksichtnahmen, die sich weniger darin manifestierten, wie ich über Themen schrieb, aber gelegentlich darin, worüber ich schrieb. Bis auf weiteres wird mich in den ersten Jahren des kommenden Jahres interessieren, wie Wissenschafts- und Hochschulpolitik von ihrer Verwaltungsaffinität befreit werden kann. Ich werde deshalb nachsehen, wie Jaques Rancières Unterscheidung von Politik und Polizei, eigentlich Policey,* auf die beiden genannten Politikfelder angewandt werden könnte und was das für eine Wissenschaftspolitik bedeuten würde. Ausgangsverdacht dabei ist, dass Wissenschafts- und Hochschulpolitik, besonders die in Bremen, aber bei weitem nicht nur da, in der Hauptsache Policey ist. Meine Frage dürfte dann sein, wie sie demokratische Politik werden kann.

Theoretischer Ausgangspunkt dabei ist meine Lektüre politischer Epistemologie im zuendegehenden Sommer. Selten hat die Lektüre nur eines Buches bei mir so viel neue Fragen und auch einen Wandel grundlegenden Verständnisses, in dem Fall des Verhältnisses von Wissenschaft und Politik ausgelöst. Bis dahin war ich davon ausgegangen, dass Wissenschaft und Politik zwar miteinander verwobene, ja verstrickte, im Kern aber voneinander unabhängige Sphären seien. In der einen gehe es um Wahrheit und Plausibilitäten in der anderen um Macht und Legitimitäten, beides sei durchaus auch miteinander verschränkt, letztlich aber folgten beide Bereiche distinkten Eigenlogiken. Zwar gab es für mich Fragen angesichts dieses Modells, insbesondere in Hinblick darauf, was Wissen ist und wie es sich zu Wahrheit verhält (und was diese ist), diese erschienen mir aber aufgrund meines soziologischen Trainings in einem am von Pragmatismus und Praxistheorie geprägten Umfeld von minderer Wichtigkeit zu sein. Tenor war in etwa, das wir Soziolog*innen sowieso nicht rausbekämen, was Wahrheit ist und genau genommen auch nicht dafür zuständig seien, zu bestimmen, was diese ausmachen könnte. Wahrheitstheorie sei vielleicht eine Sparte der Wissenschaftstheorie und damit in der Domäne der Philosophie.

Die Lektüre von Frieder Vogelmanns überarbeiteter von Suhrkamp unter dem Titel „Wirksamkeit des Wissens. Eine politische Epistemologie“ veröffentlichte Habil** hat mich dann aber auf eine andere Spur gesetzt und veranlasst, das Zusammenspiel von Wissenschaft und Politik anders, nämlich im Sinne einer nichtsouveränen politischen Epistemologie zu denken. Danach sind Politik und Wissenschaft an einem sehr viel früheren Punkt miteinander verschränkt. Wenn Wahrheit als erfahrbare Kraft aus sozialen Praxen emergiert, ist selbstverständlich entscheidend, welche Art Praxen sozial verfügbar ist und wie sehr Praktiken einer Gesellschaft von Macht und Herrschaft, also politischen Aspekten betroffen sind. In diesem Sinne ist Erkenntnis nicht souverän vom Sozialen. Auch aus diesem Grund waren in vergangenen Jahrhunderten die Zeitfenster, in denen Wahrheit, die Jahrhunderte vielleicht Jahrtausende überdauern konnte, zu emigrieren vermochte klein und vergleichsweise kurz und aus demselben Grund geraten autoritäre Gesellschaften in Probleme, was die Wissensproduktion betrifft.

Was aus solchen Überlegungen wissenschaftspolitisch folgt, weiß ich heute noch nicht, will es aber wissen. Mir scheint das wichtig, weil im Zuge einer Verwissenschaftlichung der Gesellschaft oder einer Epistemisierung des Politischen Wissenschaft immer mehr umkämpft sein wird, also wie schon vor 20 Jahren immer noch eine Stunde der Wahrheit ist, offenbar will die einfach nicht vorbeigehen. Nur, sieht die Welt heute immer weniger aufgeräumt aus, als sie vor 20 Jahren noch zu werden schien.

An das Polizeyprojekt wird sich dann die Frage anschließen, was eigentlich das Wissen der Politik ist, mit der heute die Jagd nach den Mehrheiten genährt werden kann. Für mich formuliert sich aus bekannten Gründen diese Frage als die Frage danach, was eigentlich Grünes politisches Wissen ist. In Auszügen habe ich diese Frage schon hier und da gestreift***, das muss ich mehr und intensiver machen.

* https://www.suhrkamp.de/buch/jacques-ranciere-das-unvernehmen-t-9783518291887

** https://www.suhrkamp.de/buch/frieder-vogelmann-die-wirksamkeit-des-wissens-t-9783518299722

*** https://evidenzbasierte-politik.de/2022/07/19/sone-und-sone-wissenschaft-wo-gruene-ueber-wissenschaftspolitik-streiten/