Ein spekulativ skizzenhafter Versuch über politische Parteien

Parteien bewegen sich in einem Spannungsdreieck dreier Leistungen, die sie gegenüber ihren Mitgliedern erbringen: Sie halten Sinnhorizonte bereit (1), sie streben es an zu regieren (2) und sie wollen soziale Macht innehaben (3). Macht und Regieren scheinen auf einen ersten Blick auf Gleiches hinauszulaufen, nicht jedoch in der Demokratie. Regieren bedeutet Zugriff und Einfluss auf die Exekutive zu haben, Macht innezuhaben aber bedeutet, Menschen dazu zu bringen, Handlungen, die sie sonst nicht vornähmen zu vollziehen. Deshalb ist es in einer Demokratie möglich, als Partei Kontrolle über den Regierungsapparat zu haben, aber keine oder nur wenig soziale Macht. Macht, meint in der Logik des Parteiinnerlichkeitsdreiecks nicht hard, sondern soft Power. Sie soll hier als Einfluss auf Denk- und Verhaltenswahrscheinlichkeiten verstanden werden Man besitzt sie nicht, vielmehr wirkt sie auf soziale Beziehungen ein. In nichtdemokratischen politischen Systemen ist soziale Mach und Regieren in aller Regel Dasselbe, weshalb solche Systeme oft Doppelstrukturen wie Politbüro und Kabinett ausbilden.

Sinnhorizonte sind durch Wissens- und Narrativbezüge konstituiert, Begrenztheit und Reichweitenbeschänktheit thematisiert der Begriff Sinnhorizont gleich mit. Parteien bieten Beschreibungen dessen an, wie die Gesellschaft, die Welt beschaffen ist, was sein soll und was die größten vordringlich anzugehenden Probleme (verstanden als zu Handeln veranlassende Abweichungen von Soll und Ist) sind. Probleme sind nicht für alle Parteien gleichermaßen Probleme ja, manchmal noch nicht einmal für alle Parteien vorhanden. Je nachdem, wie konfliktiv ein politisches System verfasst ist, haben Parteien nicht einmal gemeinsame Probleme, so hatten konservative und sozialistische Parteien in vielen politischen Systemen des 19. Jahrhunderts keine gemeinsamen politischen Probleme, auch in den gegenwärtigen USA haben Republikaner:innen und Demokrat:innen in vielerlei Hinsichten keine gemeinsamen politischen Probleme. Wo den einen Armut ein abzustellendes Übel war, war sie im Interesse der anderen, weil sie vielleicht das Verfolgen von Interessen ihrer Klientele einfacher machte, wo den einen Cancel Culture und das Entfremden der College Studierenden von ihren Herkunftsfamilien ein gravierendes Problem ist, ist den anderen Rassismus, Polizeigewalt, Ungleichheit und Umweltzerstörung ein Problem. Heute ist es also immer noch ein Problem, politische Problemdefinitionen so zu fassen, dass sie zumindest für das gesamte demokratische Parteienspektrum gelten können. Bei von außen auf das Politische zukommenden Problemen fällt das noch relativ leicht, in dem Zuge, wie sie als politische reformuliert werden, werden sie allerdings in aller Regel kontingent und konfliktiv.

Ihrer Qualität nach verändern sich die Sinnhorizonte der Parteien im Laufe der Zeit. So gibt es seit Jahrzehnten eine Tendenz, dass sie wissenschaftlicher werden, in der sozialwissenschaftlichen Literatur wurde diese Tendenz als Verwissenschaftlichung von Politik, neuer als Epistemisierung des Politischen beschrieben. Vormals originär politische Fragen werden dabei zunehmend als Wissensfragen reformuliert, als Fragen deren Beantwortung entweder richtig oder falsch ist. Im politischen Handgemenge sind es zumeist die anderen, die die Fragen dann falsch beantworten.

Regieren ist der Zugriff auf Ministerien und Behörden. Nicht alle Parteien wollen unter Umständen gleichermaßen regieren, manchmal genügt es einer Partei, mitzuregieren oder nur zum Teil zu regieren. So war für die Grünen Regieren in dem Sinne, eine Bundes- oder auch nur Landesregierung anzuführen, lange Zeit nicht wirklich vorstellbar oder auch nur gewünscht. Für manche Grünen Landesverbände ist das immer noch so.[1]

Parteien unterscheiden sich auch dahingehend, welchen Bezug sie zum Regieren haben. Manche kommen ihrem Selbstverständnis nach vom Regieren, wie in der Bundesrepublik und immer noch einigen Bundesländern die CDU/CSU,[2] für die ist es ein Problem (also eine Abweichung von der Normalerwartung) nicht zu regieren. Für andere ist die Vorstellung, eine Regierung führen zu sollen eher ein Zumutung, weil es bedeuten würde, Verantwortung für Dinge zu übernehmen, mit denen man nichts zu tun haben will oder sich mit Fragen beschäftigen zu müssen, die man nicht beantworten will. Regierungsbeteiligung kann sich sogar negativ auf soziale Macht (in der internationalen Politik spräche man von Soft Power) auswirken. Und Regieren kann sich negativ in Hinblick darauf auswirken, welche Sinnhorizonte eine Partei ihren Mitgliedern auf glaubwürdige Weise anbieten kann, andererseits bedeutet Regieren, Parteimitgliedern Karrieren anbieten zu können. Wenn dies möglich ist, ist die Qualität der Narrative, die als Sinnhorizont im Angebot sind, u. U. etwas weniger wichtig; jahrelang war die CDU ein gutes Beispiel für diesen Effekt, sie konnte dermaßen Karrieren anbieten, dass sie es sich leisten konnte, die Partei zu sein, die der Sache nach am wenigsten wollte. Dieser Effekt war allerdings dann wieder so lange aufrechterhalten worden, dass diese Partei auch jetzt, mit fehlendem Zugriff auf Ministerien des Bundes, immer noch als diejenige dasteht, die wenig will und eigentlich nicht weiß, was sie will, bzw. wollen soll. Dementsprechend kommt es bei dieser Partei auf Sinnsuche zu von außen eigentümlich aussehenden Identitätsanmutungen, wenn zum Beispiel der Eindruck erzeugt wird, man würde gesellschaftlichen Zusammenhalt an dem Untergang entgegentaumelnde Technologiepakete (wie das der verbrennungsmotorgetriebenen Individualmobilität knüpfen wollen).

Macht, hier schließ sich fast ein Kreis, hat mit Wissen, mit Verhalten zu tun. Als politische lässt sie sich zunehmend schwer im Widerstreit zu oder auf Basis der Ignoranz von Wissen konzeptualisieren, deshalb all der Streit um Expertise, die Verletzungen, die von Bogner in seiner Epistemisierung des Politischen beschrieben worden sind, vielleicht auch Populismus als Gekränktheitsreaktion auf das von Bogner Beschriebene. In vormodernen Zeiten waren Macht und Wahrheit allzu oft das Gleiche, moderne Wissenschaft hat diese Dualität aufgehoben. Heute ist es Gegenstand anschwellenden Streites; wie es um einen Zusammenhang von Macht und Wirklichkeit bestellt ist.

Wenn eine politische Partei neue Sachverhalte mit Wirklichkeitsbezug in das politische Systeme hineinnimmt, wie die Grünen das mit dem Umweltbelang seit etwa 1980 getan haben, kann eine Solche Partei Macht entfalten, ohne an der Regierung zu sein. Sie ist dann in der Lage, andere Parteien dazu zu bringen, sich in Hinblick auf das Thema, das mit der neuer Partei verbunden ist, zu positionieren.

 

Die Wechselwirkungen

Das Verhältnis in dem die drei Bezüge zueinander stehen ist kompliziert. Optisch symbolisieren lassen sie sich vielleicht am besten, wie in diesen Spinnengrafiken, die man manchmal auf den Rückseitenetiketten von Craftbieren findet, dort ist malzig, hopfig, citrig  etc. aufgetragen. Manche dieser Eigenschaften schließen einander aus, führen, wenn sie nebeneinander auftreten zu unharmonischen Geschmackserlebnissen und tun damit füreinander nichts, jedenfalls bei Bieren. Das beiseitegblendet, ermöglichen und restringieren die Topoi bei Parteien einander gegenseitig. In Hinblick auf Sinnhorizonte tendieren Parteien dazu, ihre Mitglieder und Klientele in eine intellektuelle Komfortzone zu bringen, was gelegentlich Auswirkungen auf Macht, die gesellschaftliche Soft Power einer Partei hat und auch das Regieren erschweren kann. Ersteres kann passieren, wenn verfügbares Wissen beiseiteignoriert wird, weil es Mitglieder vielleicht zu sehr herausfordern, aus ihrer intellektuellen Komfortzone bringen würde. Ein Parteidiskurs ist dann in extremeren Fällen gar gezwungen, sich Alternativer Fakten zu bedienen, was keinesfalls nur populistischen Parteien wiederfahren kann. Daraus ergeben sich Muster einer strategischen Ignoranz, die an Muster alter Politik, als arbiträres dem Machterhalt oder -erwerb dienenden Ignorieren von Wissen noch einfacher möglich war. Oder es kann die Wissensbasis einer Partei beschädigen, was besonders auffällig ist bei einer Partei, die so abhängig ist von ihrer Wissensbasis, wie zum Beispiel die Grünen das sind. Sollte sich eine solche Konstellation verfestigen ergeben sich daraus Probleme für die Fähigkeit zu sachbezogener Innovation, die genau deshalb nicht thematisiert werden können, weil diese Thematisierung Mitglieder aus der intellektuellen Komfortzone herausbrächte.

Regieren wird durch Komfortzonenneigungen gelegentlich erschwert, weil Parteien es allzuoft nicht schaffen eine Diskussion darüber zu installieren, ob Regieren ihnen eigentlich gelingt und die aufs Schild gehobenen Leute ihre Jobs gut machen, ihre Häuser gut führen. Alternativ ist es auch möglich, dass eine Komfortzonenneigung eine Partei dazu bringt, sich selbst in Hinblick auf Optionen zu beschneiden, so dass am Ende möglicherweise immer wieder nur ein und derselbe Koalitionspartner zur Verfügung steht.

Macht, Soft Power wird dadurch zum Teil auch beschädigt, wenn sich ganze oder auch nur halbe Scientific Communitys genötigt sehen, sich von einer Partei abzuwenden, weil sie zum Ergebnis kommen, dass eine Partei einfach nicht redlich und nicht auf dem Stand der Wissenschaft mit Wissensbeständen umgeht. Das betrifft nicht nur konservative Parteien, die möglicherweise aus Gründen strategischer Ignoranz das Anstreben klimapolitischer Konsequenz scheuen, sondern auch Grüne, die sich nicht in der Lage finden, unvoreingenommen z. B. gentechnologische Entwicklungen in den Blick zu nehmen.

Regierungswissen schließlich kann einerseits sehr befördernde Auswirkungen auf die gesellschaftliche Macht einer Partei haben, kann aber auch andererseits eine Partei intellektuell Fluten, bis dahin, dass ein Eindruck entsteht, das Wissen einer Partei sei mit diesem Regierungswissen identisch. Solche Effekte können eintreten, wenn eine Partei sehr lange regiert und vor dem Hintergrund jahrzehntelangen Regierens dazu neigt, staatliche Strukturen zum Bearbeiten eigener Sinnhorizonte einzusetzen. So hat in etwa die CSU über Jahrzehnte ein System installiert parteiinterne Regionalkonflikte mittels des Einsatzes von Bundesgeldern für Straßenbau zu befrieden, wofür sie den Zugriff auf das Bundesministerium für Verkehr brauchte. Und auch die im Bund langjährig regierende CDU hatte die Neigung entwickelt Bundesministerien zur Befriedung parteiinterner Konflikte einzusetzen.

[1] Auch die Bremer Grünen sind in den Wahlkampf zur Bürgerschaftswahl 2023 mit einer Spitzenkandidatin, die nicht Regierende Bürgermeisterin werden will, in den Wahlkampf gezogen.

[2] So zum Beispiel in Bayern und Sachsen, bis 2011 in Baden-Württemberg, aber auch die SPD in Bremen und Hamburg.