Beef der Fakultäten. Streubomben auf Twitter

Eigentlich wollte ich dazu fast nichts sagen, weil es so gar nicht in meine Kompetenzfelder fällt, aber nun passiert es doch. Ich wusste von Anfang an nicht, ob ich dafür oder dagegen bin, die Ukraine mit Streubombenmunition zu versehen. Initial habe ich dennoch nicht die Eindeutigkeit verstanden, die so viele damit gar nicht Befasste aufzubringen vermochten. Quellen meiner Ambivalenz waren die Widerlichkeit des russischen Angriffskrieges und die Tatsache, dass die Forderung der Ukraine nur deshalb auf den Tisch kam, weil man ihr andere Mittel im Krieg mit der russischen Armee erfolgreich sein zu können verweigert: so längere Strecken fliegende Raketen, bis jetzt F16. Sie kommen gegen die tief eingegrabenen Russen einfach nicht so voran, wie das meiner Ansicht nach gut wäre. Das Argument, USA und Ukraine ließen sich da zu gleichem Level herab wie die angreifenden Russen, überzeugt mich dennoch nicht. Das Sachargument, Streubomben seien gefährlich, beträfen vor allem die Zivilbevölkerung überzeugt mich auch nicht, weil, da fragt ein demokratischer Staat nach, der das eklige Zeug auf seinem eigenen Territorium einsetzen kann, um ein noch schlimmeres Übel überwinden zu können. Ich sehe es nicht als Aufgabe deutscher Kommentatoren, deutscher Politik, Abwägungsentscheidungen demokratischer Akteure, die zudem nur ihr eigenes Territorium betreffen, in einer solch eindeutigen Weise zu kommentieren. Ich könnte das nicht. Aber, wie gesagt, von den betreffenden Einzelfragen habe ich auch nicht viel Ahnung, von dem, was im deutschen Medien und Twitterdiskurs dann passierte allerdings schon.

Nach den apodiktisch Selbstüberzeugten meinungsentrepreneurialen Aktionen etlicher Journalist:innen, norddeutscher Hafenstadtbürgermeister und vieler anderer folgte ein Einsatz von einschlägig qualifizierten Politikwissenschaftler:innen und völkerrechtlich bewanderten Jurist:innen. Insbesondere letztere drehten sich in Spulen, die Ächtung von Streubomben sei doch gar nicht so eindeutig, weil wohl etwa 10 von fast 180 Staaten die betreffende intergouvernmentale Vereinbarung nicht unterzeichnet hätten. Das stimmt, wirkt auf mich auf den ersten Blick aber so, als bestritten Bildungsforscher der späten 1950er Jahre, dass im Schulunterricht verabreichte Prügel pädagogisch schädlich seien, weil es noch Lehrkräfte gebe, die an der Praxis  festhalten wollten. Kurz, insbesondere von etlichen Jurist:innen und sekundierenden Politikwissenschaftler:innen vorgebrachte Sophistereien über die Gültigkeit von internationalen Vertragswerken, ich fand das alles vielfach stussig und rabulistisch.

Auf Twitter, weniger in etablierten Medien (dort überwog mehr Meinungsentrepreneurschip), habe ich dann hier und da Stimmen gesehen, die fragten, warum denn so viele so täten, als begegneten sie das erste Mal einem moralischen Dilemma. Dieses Dilemma hat Elvira Rosert eine Berliner Politikwissenschaftlerin vor zwei Tagen in einem Twitterthread aufgedröselt, muss ich deshalb hier nicht machen. Ein Argumentationslogiker und nicht nur einer auch mindestens ein Jurist merkten auf Twitter an, ob denn ein stereotypes Betonen, dass Ächtung ja nicht vorliege, wenn nicht alle Staaten sie teilten, nicht so überzeugend sei.

Darauf merkten Jurist:innen auch auf Twitter an, ob er denn wirklich relevant sei, weil sie mit ihren Nebenbeipublikationen in Fachzeitschriften womöglich mehr Zitationen hätten als er mit seinen Büchern, von denen sie selbstredend keins gelesen hatten. Ich verbleibe nach solchen Tiefpunkten der Wissenschaftskommunikation eher ratlos. Welchen H-Index braucht man, um sich legitimierweise auf Twittern äußern zu können, so als Wissenschaftler:in? Meiner ist 3, habe gerade noch mal bei Researchgate nachgesehen, das ist natürlich total irrelevant.

Aber ich bin mit der Frage auch nicht befasst, was ich dazu meine, ist also egal.  Bin ich jetzt für oder gegen das Schicken von amerikanischen Streubomben in die Ukraine? Sicher bin ich immer noch nicht, aber tendenziell ja. Sofern sie helfen, dass weniger die russische Agression abwehrende Leute sterben. Aber Klarheit ist etwas anderes.