Sehr kurze Skizze zum Problem des Wissens in der Politik politischer Parteien (auch ein Nachtrag zum Blogbeitrag vor sechs Wochen) und ein bisschen politische Heimatkunde

Fast jede politische Partei beansprucht für sich Wahrheits- und Wissensaspekte anders zu gewichten als andere, denn sie will der Anschauung, wie es um die Welt der Dinge bestellt ist, einen anderen, der Wirklichkeit besser entsprechenden Stellenwert geben. Wo dies nötig ist, will eine gute Partei verhindern, dass Wirklichkeitsbezug von Machtinteresse oder Ideologie beiseitegeschoben wird. Die Frage ist stets, ob das gelingt, ob es gelingt, Macht und das Streben zu oder nach ihr davon abzuhalten, erkenntnisvermittelnde Prozesse zu kolonisieren.

Dies kann umso weniger gelingen, wenn eine Partei ihre Findungsprozesse nach innen wendet und sich mit dem Rücken zu Gesellschaft und Sachverhalten aufstellt. Daraus entstehen epistemische Wagenburgen als Folge davon, dass politische Parteien ihre Selbstidentität vornehmlich aus der Auseinandersetzung mit sich selbst gewinnen. Vor allem wichtig für das Einschätzen von Sachverhalten wird, wie andere Parteimitglieder sie einschätzen. Da wird aus einer Hermeneutik des Wohlwollens, die Dissens als systemnotwendige Substanz des Politischen annimmt und ihre Arbeitsweisen darauf ausrichtet, eine Hermetik des Unwillens, die vor allem Dissens perhorresziert und zur Simulation von Konvergenz neigt. Das ist dann aber nicht die Art von Methodik und Qualifikation gestützte Konvergenz von Expert*innenmeinungen, wie sie in der Wissenschaft überwiegt, sondern eine des Gleichfühlens, des sich Wohlfühlens in einer Gemeinschaft Gleichmeinender. Und dieser Gemeinschaft missfällt Kritik an eigenen Leuten in politischen Ämtern, sie zu äußern gleicht der Verletzung eines Tabus.

Gleichwohl gibt es eine Parallele zur wissenschaftlichen Expert*innenkonvergenz, weil das parteiliche Dafürhalten die Konnotation von wahr und falsch bei der Wissenschaft kopiert. Wer da trotzdem eine dissentierende Stimme erhebt, liegt falsch, stört und muss davon abgehalten werden, Einfluss in den internen Diskussionen zu entfalten. Das ist auch kurzfristig praktisch, weil es das Funktionieren der Parteiorganisation zu gewährleisten scheint, es beschädigt aber die epistemische Resilienz eines parteipolitischen Binnendiskurses, dessen intellektuelle Qualität dann sogar absinkt, wenn falsch liegen und in der Minderheit sein zu Einunddemselben zu werden scheint.

Wie alle Organisationen unterliegen auch politische Parteien einer Spannung von Selbstidentität und Wirklichkeitsbezug, die sie ausgleichen und auffangen müssen. Ein Übermaß an Wirklichkeitsbezug würde Parteien handlungsunfähig machen, weil man vor lauter Abwägen nicht mehr zum Politikmachen käme, gleichwohl darf Wirklichkeitsbezug aber auch nicht beiseitegeschoben werden, womöglich durch ein Übermaß an nach innen gewandter gegenseitiger einander imitierender Beobachtung oder ein opportunistisches Konvergieren in der intellektuellen Komfortzone. Wenn es in solch einer Konstellation weit riskanter ist, in der Minderheit zu sein als in der Sache fachlich falsch zu liegen, wird auch Politik schlecht, u. a., weil Kritik des Wirkens von Amtsträger*innen unmöglich wird. Am Ende fehlen die Worte, wenn es darum gehen würde, zu sagen, ob eineMandatsträger*in erfolgreich oder erfolglos ist. Letzteres zu sagen, ist dann nicht möglich, denn es wäre unsolidarisch und deshalb aus parteilicher Perspektive falsch[1] und in einer Stadtgesellschaft, die dazu neigt, in Hinblick auf professionelle Performanzen wie ihre eigenen Personalvertretung zu agieren gänzlich unstatthaft.[2]

Und das Wissen, das für Politik mobilisierbar ist, wird dünn. Neues, eigenen Erwartungen und parteiorganisationalen Inhaltsvorlieben zuwiderlaufendes Wissen politisch nutzbar zu machen, wird unter solchen Bedingungen schwer. Von außen wird eine solche Entwicklung als ideologisch und, wie z. B. Nachwahlbefragungen rund um die letzte Bremische Bürgerschaftswahl ergaben, als mangelnde Politikfähigkeit ausgelegt. Nach innen wirkt sich eine solche Entwicklung zumeist dadurch aus, dass Alternativen zu Wissen als Quelle von Legitimität gesucht und gefunden werden müssen, weil man als Organisation und Partei verlernt hat, sich mit der Frage, ob Akteure oder Kandidat*innen die nötigen Kompetenzen mitbringen, auseinanderzusetzen.

Nicht Früchte neugiergetriebener Wissensproduktion, sondern die Bedienung inhaltlicher Vorlieben (s. Komfortzonenopportunismus) wird entscheidend, gleich, ob diese fachpolitisch funktionieren. In zahlreichen Weggabelungen wird die Wirksamkeit von Wissen zurückgedrängt und durch andere Kräfte und Momente ersetzt. Jugendliches Alter von Protagonist*innen wird da zu einer zentralen Quelle von Legitimität und Innovationserwartung, Identität zu einer anderen, lautsprecherisches ideologisches Aufblasen und Verschränken von Selbst- und Weltbildern und ein Übermaß symbolpolitischer Kommunikation zu einer dritten. Man fängt dann an, laut darüber nachzudenken, ob man Flughäfen schließen muss oder verabschiedet ein in einer parlamentarischen Deputation auf der Agenda stehendes Umprogrammierungsprojekt von Parkautomaten so, dass daraus ein Geschenk an politische Gegner wird. In beiden Fällen ist in der Sache Richtiges maximal unglücklich und in Wahlchancen minimierender Art und Weise kommuniziert worden. Einer Partei, der solches widerfährt, verliert Wahlen und ist danach nicht einmal in der Lage zu besprechen, womit und warum sie verloren hat.

[1] Nicht selten bricht sich die mit dieser Art Tabuisierung verbundene Stauung von Kritik Bahn, indem die Nicht Eigenen in maßloser Weise mit Kritik überzogen werden. Da kommt es zu Spott, Schmähung von Amtsträger*innen oder zu haltlosem Kalauern wie zum Beispiel derzeit auf dem Social Media Account eines recht bekannten Bremer Oppositionspolitikers, der auf X eigens dafür einen eigenen Hashtag #Bovenschuld kreiert hat.

[2] Vgl. da: https://gruene-bremen.de/carsten-von-wissel-bremen-ist-schoen-aber-woanders-ist-es-auch-nicht-besser/, letzter Zugriff am 23.10.2023.

Eine auf eine ähnlich interessante Tonalität verweisende aktuelle Geschichte aus der Bremer Bauverwaltung ist hier für Leser*innen des Weser-Kuriers zu finden: https://www.weser-kurier.de/bremen/politik/wohnraumnot-planungsbuero-verzweifelt-an-bremer-bauamt-doc7sghjjd8bnmaxxzh9l1.

Zusammenfassend: Dort ist nachzulesen, wie sich eine Bremer Behörde darüber beschwert, dass man als Antragsteller nachfragte, als nach 8 monatiger Nichtbefassung mit einer Bauvoranfrage keine Antwort gekommen war.